von Ulrich  Siebgeber

Birgit Lermen/Günther Rüther (Hrsg.): In Gottes Namen? Zur kulturellen und politischen Debatte um Religion und Gewalt. Eine Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., 179 S., St. Augustin 2004

In Gottes Namen? Neues über Religion und Gewalt

 

Dass auch Gewalt eine Interpretation der Wirklichkeit darstellt - diese nicht nur Historikern und Erziehern geläufige Einsicht einer Versammlung von Religions- und Literaturwissenschaftlern abzuverlangen sollte nicht zu schwer sein, vor allem dann nicht, wenn der Tagungsgegenstand ein Phänomen betrifft, das prinzipiell nicht gerade zu den unerforschtesten zählt. Religiöser, religiös-politischer und 'religiös motivierter' Fanatismus ist weder ein besonderes Kennzeichen des Islam noch ist es gerechtfertigt, dem Islam in pharisäerhaft anmutender Weise eine besondere Anfälligkeit dafür zu attestieren.

Der von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene Tagungsband, der christliche Beiträge zur kulturellen und politischen Debatte um Religion und Gewalt versammelt, was heißt, dass er diese Debatte teils fortzusetzen, teils zu kommentieren beansprucht, bleibt aus weiß Gott welchen Gründen gegen diesen einfachen Gedanken weitgehend immun - nur so ist zu erklären, dass viel guter Wille, die einschlägigen Gewalttexte der drei monotheistischen Grundbücher historisch zu relativieren oder durch den Appell an eine verantwortliche Interpretationspraxis zu verhindern, dass sie in zeitgenössischen Kontexten als unmittelbare Handlungsanweisungen 'missverstanden' werden, neben einem erstaunlichen Agnostizismus zu stehen kommt, sobald es um konkrete Spannungsursachen, politische Strategien, militärische Doktrinen, kulturelle Identitäten und, nicht wahr, um ökonomische Interessen geht oder gehen müsste. Was wäre denn Gewalt, die nicht die Wirklichkeit interpretierte? Und was wäre eine Wirklichkeit, die solche Interpretationen hervorruft und begünstigt? Was wären ferner Strategien, die Gewalt nicht mit Gewalt oder Gegengewalt beantworten? Die Autoren dieses Bandes schweigen dort, wo sie zu reden beginnen müssten, sie sind dort beredt, wo ihnen die Analyse der Gegenwart nicht abverlangt wird. Dass Religionen den Frieden kennen und den Krieg, dass sie das Menschenopfer kennen und seine Substitution, dass sie die Mildtätigkeit kennen und die Meute, dass sie den Hochmut des Glaubens kennen und seine Demut, dass sie ein besonderes Verhältnis zum Blut unterhalten, dem vergossenen und dem dargebotenen - darüber lässt sich trefflich parlieren, während draußen die Menschen sterben, friedfertig oder gewaltsam, eliminiert im Namen dieses oder jenes Gottes, der Freiheit, der Gerechtigkeit, des Zorns, der Vergeltung, der Prävention oder irgendeiner Verheißung. Nur zu! 'Gott weiß es besser' ist als Satz nicht mehr und nicht weniger ausdeutbar und wendbar als andere. Dass der letzte Beitrag des Bandes mit ihm ausklingt, stimmt alle versöhnlich: die Davongekommenen und die Ausgeschlossenen, die Hüter des Glaubens und seine Verächter. Im Namen Gottes - vielleicht. Sicher ist es nicht.

 

Notizen für den schweigenden Leser

Kultur / Geschichte

  • von Ulrich Schödlbauer

    Keine Kulturmacht liegt dem Menschen näher als das Vergessen... so nahe, dass er sie bei seinen Berechnungen regelmäßig vergisst. So vertraut ist ihm die dauernde Bedrohung aus den Tiefen des eigenen Unvermögens, Eindrücke, Dinge, Assoziationen und Gedankenflüsse dauerhaft und verlässlich festzuhalten, dass er nicht anders zu denken vermag, als sei Kultur die unwandelbare Verfügung über alles, was je überliefert wurde. Im kulturellen Gedächtnis, so denkt er

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  • von Don Albino

    Wer schreibt, hat Gegner. Das ist ganz normal. Weniger normal, doch gar nicht selten ist Feindschaft, vor allem dann, wenn sie ins zweite und dritte Jahrzehnt geht: Dann wird sie mehr als lästig, bei manchen sogar gesundheitsbedrohend, vor allem dann, wenn sie sich auf flächendeckende Ignoranz stützen kann. Beschimpft statt gelesen – das trifft häufiger die guten als die miserablen Schriftsteller, weil … nun ja, weil es deutlich einfacher und überdies schneller geht. Es benötigt auch

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Politik / Gesellschaft

  • von Severus Magnos

    Atze ist auch so einer. Kennen Sie Atze? Nein? Dann haben Sie was verpasst! Der Typ ist ein echtes Vorbild – seit Jahren alimentierter Künstler, eigentlich Bürgergeldempfänger, weil seine »kreativen Jahre« schon lange im Museum der Vergangenheit verstauben. Sein einziger Kumpel ist ein kleiner Hund, der ihn komplett an der Leine hat. Wenn Matze vor ihm steht und mit rehbraunen Kulleraugen um Futter bettelt, dann kann er einfach nicht »Nein!« sagen. Gleich denkt er daran, wie

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  • von Jobst Landgrebe

    Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Markt für Mobiltelefonie stetig gewachsen, nach einiger Zeit gab es keine Telefonzellen mehr, und seit zehn Jahren verzichten immer mehr Privatpersonen auf einen Festnetzanschluss, da die meisten ein Mobiltelefon haben – ohne Mobiltelefon ist die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben deutlich schwieriger. Videoübertragung hat einen sehr hohen Bedarf an Datenübertragung geschaffen, der schließlich zur Einführung des 5G Mobilfunkstandards

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Souverän für Amerika

  • von Ulrich Schödlbauer

    Als Ionas mit einem gewaltigen Rülpser aus dem Bauch des Wals entlassen wurde, da fand er sich nicht, wie oft behauptet, an einem abgelegenen Gestade wieder, sondern im Zentrum einer volkreichen Stadt. Der Wal, geplagt von seinem Gedärme, war die Flüsse hinaufgeschwommen, solange sie ihm passierbar dünkten. Hier aber, vor einer adlergeschmückten Brücke, hatte er den point of return erreicht und verabschiedete sich von der staunenden Menge mit einer gewaltigen Fontäne,

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Iablis. Jahrbuch für europäische Prozesse

Besprechungen

  • von Johannes R. Kandel

    David L. Bernstein, Woke Antisemitism. How a Progressive Ideology Harms Jews. New York/Nashville, 2022 (Post Hill Press, Wicked Son Books), 213 Seiten

    David L. Bernstein hat ein bedeutsames Buch geschrieben, das einen häufig unterschätzten oder gänzlich verdrängten Aspekt woker Ideologie beleuchtet: den mehr oder weniger krassen Antisemitismus! Nicht erst seit den widerwärtigen Ausbrüchen antisemitischen Hasses an US-amerikanischen Universitäten nach dem 7. Oktober 2023, ist

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  • von Felicitas Söhner

    Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten

    Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), 2. Auflage 2025

    Einst stellte Noam Chomsky die Frage: »Who rules the world?« Bis heute gibt es darauf eine klare und eindeutige Antwort: Solange keine Weltregierung existiert, niemand. Allerdings hat sich, so weit westliche Machtprojektion reicht, eine etwas andere Auffassung festgesetzt. Sie lautet: Wer sonst als die

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  • von Herbert Ammon

    Jörg Baberowski: Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich, München (Verlag C.H.Beck) 2024, 1370 Seiten

    Hierzulande löst der Name Carl Schmitt – assoziiert mit der Negativfigur des ›Kronjuristen des Dritten Reiches‹ – gewöhnlich nur moralische Entrüstung aus. Grundlegend für Schmitts politische Theorie sind Begriffe aus dem Leviathan, dem Werk des Verteidigers des Stuart-Absolutismus Thomas Hobbes. Entgegen dem demokratischen Selbstbild – der im

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Manifesto Liberale

 

Herbert Ammons Blog: Unz(w)eitgemäße Betrachtungen

Globkult Magazin

GLOBKULT Magazin
herausgegeben von
RENATE SOLBACH und
ULRICH SCHÖDLBAUER


Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G

 

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