von Ulrich Siebgeber

Marian Adolf: Die unverstandene Kultur. Perspektiven einer Kritischen Theorie der Mediengesellschaft, Bielefeld (transcript) 2006, 286 S.

Steigerung des Bewusstseins

Ein Hauch von Schlichtheit umweht dieses bei transcript erschienene, hübsch verpackte Büchlein, das vollmundig eine kritische Medienwissenschaft fordert und mit einiger Emphase einmal mehr die irgendwie kritische These von der (Medien-)Kultur als »sozialem Prozess« - gegen wen? die Konsumenten? - zu deklinieren verspricht. Kritisch wirkt aber vor allem die Häufigkeit, mit der das Wörtchen ›kritisch‹ den schlecht redigierten, von redundanten Zitatketten wie von tückischen Wasserläufen und Sickerzonen durchsetzten Text heimsucht. Die intendierte Anknüpfung an die Kritik der Kulturindustrie alter Frankfurter Provenienz und die marxistischen Wurzeln der Cultural Studies findet mangels eigener theoretischer Masse nicht statt, ebenso wenig eine begriffliche Auseinandersetzung mit dem radikalen und weniger radikalen Konstruktivismus, der, wie in kritischen Kreisen üblich, als Beschreibungsfundus herhalten muss, um den Ernst der Lage zu unterstreichen. Das Abnicken alter und neuer Befunde ergibt keine Theorie.

Lektüre als Faradayscher Käfig: man sieht die Blitze lodern und weiß nicht, wie einem geschieht. Es geschieht aber nichts. Oder doch? O-Ton des Verfassers:

»Ich ergänze daher die analytischen Ausführungen daher (!) mit einer Agenda, einem Anlageplan für unsere kognitiven und kulturellen Kapitale (!) zum Zweck der gemeinschaftlichen Erschaffung einer gerechteren Wirklichkeit:

  • Steigerung des Bewusstseins, dass die Kreation von Wirklichkeit ein fortwährender und kollektiver Prozess ist;
  • erkennen, dass daraus eine ethische Verantwortung erwächst;
  • Verständigung herstellen, wie dieses neue Bewusstsein einen kreativen Prozess begründen kann;
  • basierend auf dieser Einsicht barrierefreie und umfassende Kommunikation ermöglichen;
  • somit gesellschaftliche Kommunikation als utopisches gemeinschaftliches Projekt zur Hervorbringung einer besseren Gesellschaft neu verstehen.«

Das läuft auf den Satz hinaus: wenn wir tot sind, sind wir alle klüger. Wenn der kollektive Prozess aller gegen alle endlich so barrierefrei geführt werden kann, dass die Kreation von Wirklichkeit als gemeinschaftliches Projekt in den Köpfen der Beteiligten aufscheint, ist es, wie die Geschichte und die Medien lehren, an der Zeit, sich aus ihm zu verabschieden. Und keinem fällt auf, dass in so harmlos daherkommenden Seminarsätzen der Einzelne immer und immer wieder dem Lager zugeführt wird - kurz geschoren, unterernährt und auf Trab gebracht von Leuten, die nichts zu verlieren haben als ihre Druckfehler. Soviel zum Legasthenieproblem in einer Disziplin, die sich zuguterletzt »eine der spannendsten (!) und wichtigsten (!) zeitgenössischen Gesellschaftswissenschaften« nennen lassen muss. Was mögen demnach die anderen treiben?

 

Notizen für den schweigenden Leser

Kultur / Geschichte

  • von Ulrich Schödlbauer

    Keine Kulturmacht liegt dem Menschen näher als das Vergessen... so nahe, dass er sie bei seinen Berechnungen regelmäßig vergisst. So vertraut ist ihm die dauernde Bedrohung aus den Tiefen des eigenen Unvermögens, Eindrücke, Dinge, Assoziationen und Gedankenflüsse dauerhaft und verlässlich festzuhalten, dass er nicht anders zu denken vermag, als sei Kultur die unwandelbare Verfügung über alles, was je überliefert wurde. Im kulturellen Gedächtnis, so denkt er

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  • von Don Albino

    Wer schreibt, hat Gegner. Das ist ganz normal. Weniger normal, doch gar nicht selten ist Feindschaft, vor allem dann, wenn sie ins zweite und dritte Jahrzehnt geht: Dann wird sie mehr als lästig, bei manchen sogar gesundheitsbedrohend, vor allem dann, wenn sie sich auf flächendeckende Ignoranz stützen kann. Beschimpft statt gelesen – das trifft häufiger die guten als die miserablen Schriftsteller, weil … nun ja, weil es deutlich einfacher und überdies schneller geht. Es benötigt auch

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Politik / Gesellschaft

  • von Severus Magnos

    Atze ist auch so einer. Kennen Sie Atze? Nein? Dann haben Sie was verpasst! Der Typ ist ein echtes Vorbild – seit Jahren alimentierter Künstler, eigentlich Bürgergeldempfänger, weil seine »kreativen Jahre« schon lange im Museum der Vergangenheit verstauben. Sein einziger Kumpel ist ein kleiner Hund, der ihn komplett an der Leine hat. Wenn Matze vor ihm steht und mit rehbraunen Kulleraugen um Futter bettelt, dann kann er einfach nicht »Nein!« sagen. Gleich denkt er daran, wie

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  • von Jobst Landgrebe

    Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Markt für Mobiltelefonie stetig gewachsen, nach einiger Zeit gab es keine Telefonzellen mehr, und seit zehn Jahren verzichten immer mehr Privatpersonen auf einen Festnetzanschluss, da die meisten ein Mobiltelefon haben – ohne Mobiltelefon ist die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben deutlich schwieriger. Videoübertragung hat einen sehr hohen Bedarf an Datenübertragung geschaffen, der schließlich zur Einführung des 5G Mobilfunkstandards

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Souverän für Amerika

  • von Ulrich Schödlbauer

    Als Ionas mit einem gewaltigen Rülpser aus dem Bauch des Wals entlassen wurde, da fand er sich nicht, wie oft behauptet, an einem abgelegenen Gestade wieder, sondern im Zentrum einer volkreichen Stadt. Der Wal, geplagt von seinem Gedärme, war die Flüsse hinaufgeschwommen, solange sie ihm passierbar dünkten. Hier aber, vor einer adlergeschmückten Brücke, hatte er den point of return erreicht und verabschiedete sich von der staunenden Menge mit einer gewaltigen Fontäne,

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Iablis. Jahrbuch für europäische Prozesse

Besprechungen

  • von Johannes R. Kandel

    David L. Bernstein, Woke Antisemitism. How a Progressive Ideology Harms Jews. New York/Nashville, 2022 (Post Hill Press, Wicked Son Books), 213 Seiten

    David L. Bernstein hat ein bedeutsames Buch geschrieben, das einen häufig unterschätzten oder gänzlich verdrängten Aspekt woker Ideologie beleuchtet: den mehr oder weniger krassen Antisemitismus! Nicht erst seit den widerwärtigen Ausbrüchen antisemitischen Hasses an US-amerikanischen Universitäten nach dem 7. Oktober 2023, ist

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  • von Felicitas Söhner

    Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten

    Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), 2. Auflage 2025

    Einst stellte Noam Chomsky die Frage: »Who rules the world?« Bis heute gibt es darauf eine klare und eindeutige Antwort: Solange keine Weltregierung existiert, niemand. Allerdings hat sich, so weit westliche Machtprojektion reicht, eine etwas andere Auffassung festgesetzt. Sie lautet: Wer sonst als die

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  • von Herbert Ammon

    Jörg Baberowski: Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich, München (Verlag C.H.Beck) 2024, 1370 Seiten

    Hierzulande löst der Name Carl Schmitt – assoziiert mit der Negativfigur des ›Kronjuristen des Dritten Reiches‹ – gewöhnlich nur moralische Entrüstung aus. Grundlegend für Schmitts politische Theorie sind Begriffe aus dem Leviathan, dem Werk des Verteidigers des Stuart-Absolutismus Thomas Hobbes. Entgegen dem demokratischen Selbstbild – der im

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Manifesto Liberale

 

Herbert Ammons Blog: Unz(w)eitgemäße Betrachtungen

Globkult Magazin

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herausgegeben von
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ULRICH SCHÖDLBAUER


Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G

 

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