
Geschichte zwischen Fakten, ›Schwarzen Legenden‹ und Mythen
von Johannes R. Kandel
›Religion‹: ›Gerechter Krieg‹ und ›heiliger Krieg‹?
Eine allgemeine Bemerkung vorweg: Zwar lässt sich die mittelalterliche Geschichte als eine fast ununterbrochene Folge von Krieg beschreiben, aber entgegen manchen Behauptungen war im Nahen Osten zwischen 1095 und 1291 nicht immer Krieg. Der französische Historiker Jean Richard hat errechnet, dass es von 1192 bis 1291 – in der unruhigsten Phase der Lateinischen Königreiche – immerhin 80 Friedensjahre gegeben hatte. Im Vergleich dazu gab es im französischen 17. Jahrhundert nur 21 Jahre ohne wichtige Kriegshandlungen und nur 7 Jahre völligen Friedens (Die Kreuzzüge in Augenzeugenberichten, 19722, S. 18.). Es gab längere Phasen von Waffenstillständen, allerdings keine dauerhaften ›Friedensverträge‹. Ein klassischer Fall für eine friedliche Übereinkunft war der Vertrag, den Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen am 18. Februar 1229 in Jaffa mit dem ägyptischen Sultan Al-Malik Al-Kamil schloss. Der Vertrag sah die Rückgabe von Jerusalem und dem unmittelbaren Umland an die Kreuzfahrer und einen zehnjährigen Waffenstillstand vor. Bei den Christen stießen diese Vereinbarungen auf nur verhaltene Freude, während die Muslime trauerten: »Die ganze islamische Welt war tief getroffen und trauerte um den Verlust Jerusalems«, schrieb der Chronist Ibn Wāsil (Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht, 1973, S. 328ff.). Die ruhigen Phasen nutzten beide Seiten für Sicherungsmaßnahmen (Festungsbau, Verstärkung von Stadtmauern, etc.) und Aufrüstung für die nächsten Kämpfe (Kriegstechnik, Rekrutierung neuer Truppen). Al-Kamil war schon vorher mehrfach zu Zugeständnissen bereit gewesen, insbesondere als der Fünfte Kreuzzug 1218-1221 Ägypten bedrängte und er zu dieser Zeit mit innerislamischen Kämpfen zu tun hatte. Es war somit keineswegs sein generöser Friedenswille, der ihn veranlasste, Friedenstauben aufsteigen zu lassen. Die Kreuzfahrer hatten alle Angebote zurückgewiesen, weil sie ihren strategischen Zielen zuwiderliefen. (Tyerman, God’s War, 2007, S. 639).
Problemanalyse des Gegenwärtigen und Bedarfe zur Erneuerung
von Michael Klein
Prognosen sind wie Kaffeesatzlesen. Aber was die Zukunft der derzeitigen Ampelregierung angeht, ist es nicht so schwer, ihr Ende begründet vorherzusagen. Auf jeden Fall im Jahr 2025, dem Jahr der nächsten Bundestagswahl, aber 2024 wäre ebenfalls ein geeignetes Datum – aus guten Gründen.
Bis zum Ende des Jahres 2024 wird es in Deutschland fünf Landtagswahlen (Bayern, Hessen, Brandenburg, Sachsen, Thüringen) und die Wahl zum Europaparlament geben. Diese Wahlen werden für die Ampelparteien nach heutigem Stand desaströse Resultate liefern, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern und bei der EU-Wahl. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Die Stimmung im Land wird sich im Winter 2023/24 durch weitere Heizungs- und Energiedebatten weiter verschlechtern. Und das sture Beharren auf den Fehlern der bisherigen Politik erzeugt noch mehr Fehler in der künftigen Regierungspolitik. Das macht die Vorhersagen für 2024 aber sehr leicht.
Geschichte zwischen Fakten, ›Schwarzen Legenden‹ und Mythen – Teil I
von Johannes R. Kandel
In Gesprächen über Religion und Gewalt im Christentum dauert es nicht lange und es wird mit erhobenem Zeigefinger auf die ›Kreuzzüge‹ hingewiesen. Sie sollen als starkes Argument dienen, die Religion und insbesondere das monotheistische Christentum zu verurteilen. Hier zeige sich doch der wahre Charakter dieser Gewaltreligion: religiöse Hysterie, Machtstreben, Geldgier, Landhunger, Verrat, Eroberungen, brutale Gewalt gegen die Unterworfenen, Massaker, Zwangsbekehrungen, Ausbeutung und Sklaverei. Häufig wird, ausgehend von den Kreuzzügen, die ›blutige Spur des Christentums‹ bis in die Gegenwart gezogen. Anklagend wird darauf verwiesen, dass die Kreuzzüge noch bis weit in das 19. und 20. Jahrhundert positiv beurteilt wurden. Im ›Zeitalter imperialer französischer Orientpolitik, nationalstaatlicher Stauferverklärung und preußisch-deutschen ›Platz an der Sonne‹- Ehrgeizes‹ (Schmugge, Deus lo vult?, 2008, S. 93) seien sie überwiegend als Ausdruck des Kampfes für hohe, ›heilige‹ Ideale, fromme Leidenschaft und ritterliche Tapferkeit interpretiert worden, gleichwohl seien sie letztlich nur – von sehr weltlichen Motiven getrieben – eine »Lizenz zum Töten«, ein »Töten im Auftrag der Kirche« gewesen (Wippermann. Kreuzzüge im Mittelalter und der Moderne, 1997). Das sollte nicht nur für die Kreuzzüge in den Nahen Osten vom 11. bis zum 13. Jahrhundert gelten, sondern auch für die mit päpstlichen Aufrufen und begleitendem Segen gegen die Muslime in Spanien (Reconquista), die ›Ketzer‹ (Albigenser in Südfrankreich) und Heiden in Osteuropa (Slawen, Wenden) gerichteten bewaffneten Unternehmungen.
von Herbert Ammon
Geschichtspolitik im Zeichen des Krieges
I
Wir – die Bundesrepublik Deutschland in und mit der Nato – befinden uns zwar noch nicht im Krieg, wie unsere Außenministerin Baerbock in einem ihrer faux-pas meinte. Nichtsdestoweniger findet hierzulande – nicht erst seit Beginn von Putins ›militärischer Spezialoperation‹, sondern seit dem Kiewer Maidan 2013/14 und der darauffolgenden Annexion der Krim – ein Meinungskrieg statt. Parteinahme ist geboten. Es gilt, die Guten von den Bösen zu unterscheiden, was im Falle des auch ob seiner KGB-Praxis notorischen Putin einfach scheint. In einem solchen Krieg eine um Analyse und mögliche Konfliktlösung bemühte Position einzunehmen, bedeutete moralische Feigheit, schlimmer noch: es handelte sich um Putinismus, um Verständnis für das Böse. Ist die Sache derart geklärt, setzt die Suche nach den Wegbereitern und Parteigängern des historisch Bösen ein.
von Max Ludwig
Im angelsächsischen Raum wird das klassische politische Spektrum bei den alternativen Medien von Neomarximus (Grayzone, New Left Review) über bürgerlichen Liberalismus (UKColumn) bis hin zu rechtsradikalen, rassistischen Ultrakonservativen (Unz Review) noch abgebildet, wenn auch nicht immer auf dem höchsten kulturellen Niveau. Dort gibt es spätestens seit der Pseudo-Pandemie in jedem Lager Dissidenten, die den Zustand des Westens alle ähnlich sehen: Wir leben in einer Oligarchie, das Naturrecht wird in Frage gestellt, demokratische Partizipation gibt es nur noch zum Schein, der Rechtsstaat ist schwer beschädigt, die Normensysteme zur Beschränkung staatlicher Gewalt sind erodiert, die Marktwirtschaft ist in weiten Teilen Oligopolen gewichen, die Migration wird als Instrument zur Zerstörung der Nationalstaaten eingesetzt. Großunternehmen des Finanz- und Digitalisierungssektors, aber auch anderer Branchen, bilden mit dem Staat korporative Strukturen aus, die an klassische faschistische Staaten erinnern, was Sheldon Wolin bereits 2010 ›Inverted Totalitarianism‹ genannt hat. Für alle sichtbar etabliere sich, wie schon im klassischen Zeitalter des Totalitarismus, ein Gesinnungsstaat, der Neonormen erlasse und deren Einhaltung mit äußerster Härte einfordere.
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Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2023 Monika Estermann: Lascaux