
von Hans von Storch
Der menschengemachte Klimawandel geht mit zwei Herausforderungen einher: Einmal mit der Begrenzung des aktuell sich entwickelnden Klimawandels durch Beendigung der Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre bzw. durch Herausnahme solcher Gase (›negative Emissionen‹), und zum anderen mit der Ertüchtigung von Gesellschaften und Ökosystemen, mit dem eingetretenen Klimawandel umzugehen. Ersteres nennt man auch Mitigation des Klimawandels, Letzteres Anpassung an den Klimawandel. Eine rational bestimmte Politik wird versuchen, jenes Maß an Mitigation und an Anpassung zu wählen, das den Gesamtaufwand für beides minimal hält – ein Kosten-Nutzen-Ansatz, der schon Anfang der 1990er Jahre von Klaus Hasselmann vorgeschlagen wurde.
von Michael Klein
Unsere kulturelle und soziale Gegenwart wird von Begriffen wie woke*, trans*, gender*, divers* usw. beherrscht. Sie stammen aus radikalen sozialen Bewegungen, haben ihren Weg in soziologische Seminare von US-Universitäten geschafft und werden inzwischen in der ganzen westlichen Welt als quasireligiöse Heilslehren verbreitet. Dass diese Lehren die Menschheit tatsächlich in bessere Zeiten führen, darf nachhaltig bezweifelt werden. Wie die Gegenwart, in der wir leben, zu bewerten ist, zeigt sich erst mit größerem Zeitabstand. Dann erst liegt Geschichte vor. Es ist deshalb besonders wichtig, gegenwärtige Entwicklungen in Gesellschaften nach definierbaren Maßstäben zu beurteilen. Im Folgen geschieht dies vor dem Hintergrund der Aufklärung und des Kritischen Rationalismus, das zu dem Besten gehört, was das Abendland je hervorgebracht hat.
von Heinz Theisen
Einen Endsieg der Ukraine mögen wir uns im Herzen wünschen, aber mit dem Verstand können wir ihn nicht wollen. Russland ist die zweitstärkste Atommacht der Welt und je erbärmlicher und erfolgloser die konventionelle russische Kriegsführung wütet, desto größer wird die Gefahr taktischer Atomschläge. Eine Kapitulation Russlands ist aus der Perspektive der Selbstbehauptung der russischen Führung kaum denkbar.
Andere Gefahren sind ausbleibende Weizenlieferungen nach Afrika und der wirtschaftliche Niedergang Europas. Die dauerhafte Kappung aller Verbindungen zwischen Russland und Europa, wie sie in den Wirtschaftssanktionen auf den Weg gebracht wurden, steht dem Aufbau einer multipolaren Weltordnung entgegen. Sie droht sowohl Russland als auch Europa zu Anhängseln einer bipolaren Ordnung zwischen China und den USA zu machen oder einem Zeitalter endloser Nullsummenspiele den Weg zu bereiten.
von Ulrich Schödlbauer
George Friedman, den breiten Kreisen weniger vertraut als der Boxer George Foreman, aber in der abgehobenen Welt der geostrategischen Berater ein Schwergewicht, hat den USA eine dreifache Krise attestiert: eine ökonomische, eine institutionelle und eine konstitutionelle. Für jede von ihnen zeichnen unterschiedliche Faktoren verantwortlich, aber gemeinsam haben sie das Zeug dazu, Epoche zu machen, d.h. eine Zäsur zu bilden, nach der die Welt ein anderes Aussehen haben wird. Wohlgemerkt, eine Welt, denn drunter machen es die USA nicht, wie einige europäische Staaten, darunter der hiesige, es gerade nicht zu ihrer reinen Freude erfahren. Welch Glück, dass Friedman, gestützt auf eine Zyklenlehre, die wohl uramerikanisches Gottvertrauen voraussetzt, den Zeitraum der Tripelkrise aufs laufende Jahrzehnt begrenzt – ein neuer Präsident wird erscheinen und alles wird gut werden.
von Lutz Götze
Vom ›Jargon der Eigentlichkeit‹ zur Phrasendrescherei der ›Gendersensibilität‹
Dagmar Lorenz hat, vollkommen zurecht, auf die enge Verbindung des Jargon der Eigentlichkeit, verfasst von Theodor W. Adorno in den Jahren 1962-64, mit der gegenwärtigen Debatte um »geschlechterneutralen« oder »gendersensiblen« Sprachgebrauch hingewiesen (FAZ 13.10.22). Zentrale Passagen der Argumentation Adornos – gerichtet gegen Martin Heideggers und seiner Schüler Jargon – sind:
»In Deutschland wird ein Jargon der Eigentlichkeit gesprochen, mehr noch geschrieben, Kennmarke vergesellschafteten Erwähltseins, edel und anheimelnd in eins; Untersprache als Obersprache. Er erstreckt sich von der Philosophie und Theologie nicht bloß Evangelischer Akademien über die Pädagogik, über Volkshochschulen und Jugendbünde bis zur gehobenen Redeweise von Deputierten aus Wirtschaft und Verwaltung… Er verfügt über eine bescheidene Anzahl signalhaft einschnappender Wörter. Eigentlichkeit ist dabei nicht das vordringlichste; eher beleuchtet es den Äther, in dem der Jargon gedeiht, und die Gesinnung, die latent ihn speist… Der des Jargons Kundige braucht nicht zu sagen, was er denkt, nicht einmal recht es zu denken: das nimmt der Jargon ihm ab und entwertet den Gedanken. Eigentlich: kernig sei, daß der ganze Mensch rede… Diese (die Aura) paart sich mit einer Unverbindlichkeit, die sie inmitten der entzauberten Welt disponibel oder, wie es wohl in paramilitärischem Neudeutsch hieße, einsatzbereit macht… Die Stereotypen des Jargons versichern subjektive Bewegtheit. Sie scheinen zu garantieren, daß man nicht tue, was man doch tut, indem man sie in den Mund nimmt: mitblökt; man habe es sich selber, als unverwechselbar Freier, errungen. Das formale Gehabe von Autonomie ersetzt deren Inhalt.«
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Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2023 Monika Estermann: Lascaux