
von Ulrich Schödlbauer
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Schmierig: angesichts der laufenden Massaker auf Äquidistanz gehen.
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»Unschuldige Frauen und Kinder« – die Allerweltsformel impliziert, dass alle anderen ›schuldig‹ sind und die Konsequenzen (›wie ein Mann?‹) zu tragen haben. Schuld woran? Man hätte es gern gewusst: vorgestern, gestern, heute, morgen und übermorgen.
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Zusehen … wie Medienschaffende angesichts des Unerträglichen diskret das Palästinensertüchlein zücken, um sich vor Rührung zu –: Déjà-vu.
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Das fehlende Erstaunen der ›zivilisierten Welt‹ über die Mordspur ihrer Aufbauhilfen-Empfänger im Land der Anderen sagt mehr aus als die obligaten Bekundigungen des Abscheus. Soviel zur Phänomenologie des Anderen.
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Man kann Fanatismus nicht kaufen. Man kann ihn nur für sich laufen lassen, indem man ihm die nötigen Mittel zukommen lässt. Auszuschließen ist die Gefahr, ihm in die Quere zu kommen, nie. Deshalb rät das Machtkalkül, seinen Führern Exil zu gewähren und das Fußvolk sich von Zeit zu Zeit verschleißen zu lassen.
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Wissen und Wollen sind in der Politik dasselbe. Darin besteht ihr unsäglicher Kern. Je flacher die Rede, desto distinkter die Politik.
von Ulrich Schödlbauer
Am Dritten sind wir alle vereint.
Zu dem da fällt mir nichts mehr ein. Keine Sorge, ich werde mich nicht selbst Lügen strafen. Zu den Zuständen, die nur deshalb herrschen, weil niemand sie abstellt, ist aus meiner Sicht vorerst alles gesagt. Ich widerspreche nicht, wenn andere meinen, man müsse alles Gesagte immerfort wiederholen, damit es endlich ins Volk oder in die Psyche der Entscheidungsträger vordringt. Wenn ich mich nicht daran beteilige, dann deshalb, weil auch mich Pflichten binden. Damit wir uns recht verstehen: Das bedeutet keineswegs automatisch, es gäbe hier und heute Besseres zu tun. Ganz sicher bedeutet es das nicht – schon deshalb nicht, weil das da einschließt, dass nichts Besseres bleibt, gleichgültig, ob zu tun oder zu lassen. Allenfalls der Betrachtung bleibt es erlaubt, verstohlen auf ein Besseres hinzuweisen, das hinter den Kulissen oder darüber schwebt, ohne dass mit Sicherheit gesagt werden könnte, ob es sich um eine Fata Morgana handelt oder ein Inbild, denn Sicherheit – damit kehre ich auf vertrauten Boden zurück – Sicherheit existiert nirgends. Deutschland zerfällt – die Phrase ist allgegenwärtig. Auch Phrasen können wahr sein.
von Helmut Roewer
Wenn Sieger die Grenzen willkürlich verschieben, werden Bewohner, die lange friedlich zusammenlebten, plötzlich zu Außenseitern, Ausgestoßenen und Feinden. Aus diesem Reservoir pflegen sich Geheimdienste zu bedienen. Das folgende Beispiel führt uns nach Galizien. Dort wechselte in den letzten 110 Jahren vielfach die Herrschaft. Heute gehört Galizien zur Ukraine. Noch.
Ein hoffnungsvoller Anfang
Der Held dieser Geschichte heißt Basil Diduschok oder – je nach Ort, Zeit oder Betrachter – etwas anders mit Nachnamen: Diduschek oder Diduszok oder Дидушeк, und mit Vornamen: Basilius oder Wassil oder Wassilij. Er kam gut ein Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende, 1889, in Galizien zur Welt. Angaben, denenzufolge der Geburtsort in der Gegend von Lemberg lag, sind irreführend. Lemberg, das damals auch offiziell noch Lemberg und nicht Lwiw oder Lviv oder Lwow oder Lwów hieß, gehörte zur österreichischen Reichshälfte der Donaumonarchie. In deren Armee muss Diduschok seinen Wehrdienst geleistet haben und zum Reserveoffizier ernannt worden sein, denn sonst wäre es schlecht möglich, dass er auf einem Bild aus dem Ersten Weltkrieg mit den Dienstgradabzeichen eines k.u.k. Hauptmanns zu sehen wäre – es sei denn, das Bild wäre ein Fake aus späteren Jahren.
von Heinz Theisen
Wir befinden uns – so formulierte es Peter Scholl-Latour im Jahre 2009 – in der absurden Lage, dass die letzten Staatswesen der ›weißen Menschheit‹, die notfalls noch in der Lage wären, ein mächtiges Militärpotential gegen die geballte Wucht Asiens aufbieten zu können, einen »stupiden Bruderkrieg« untereinander austragen, unter Vernachlässigung ihrer existentiellen geostrategischen Interessen. (Peter Scholl-Latour, Russland im Zangengriff, Putins Imperium zwischen NATO, China und Islam, Berlin 2009, S.399) Die Zwischenrolle der Ukraine zwischen West und Ost hätte durch dritte Wege eines Föderalismus nach innen und der Neutralität nach außen überwunden und sogar ins Positive eines Brückenbaus gelenkt werden können.
von Boris Blaha
Das Bonmot stammt von Nietzsche: »Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein«. Wer diesem Blick nicht standhält, kann nicht verstehen, was auf dem Spiel steht. Wenn einer nach 25 Jahren im Ausland heute nach Deutschland zurückkommt, erkennt er sein Land nicht wieder. Im Zug bittet der Schaffner eine Gruppe von Fahrgästen, kurz auf seine weibliche Kollegin aufzupassen, er müsse nach vorne, um die nahende Ankunft in der nächsten Station durchzusagen. Ein Blick in das Gesicht seiner Kollegin verrät: Wenn sie morgens ihren Dienst im Zug antritt, weiss sie nicht, ob sie abends körperlich und seelisch unversehrt nach Hause kommt. Ist man ausgestiegen, empfangen selbst die architektonisch reizvollen Bahnhöfe den Heimkehrer mit dem Charme vermüllter Hinterhöfe, die nach Urin stinken. Die Menschen wirken gehetzt und unwillig, es herrscht eine misstrauische und unterschwellig aggressive Stimmung. Die meisten ziehen die Schultern ein.
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Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2023 Monika Estermann: Lascaux