von Christoph Jünke
Biografien waren einst den großen Männern der Geschichte vorbehalten und galten – je nachdem, welcher Weltanschauung man anhing – mal als die Krönung der geschichtswissenschaftlichen Kunst und mal als deren zu vernachlässigendes Hinterteil. Mit dem nachhaltigen Einbruch einer die strukturellen Klassengrenzen in Frage stellenden und auf allgemein menschliche Emanzipation zielenden Geschichtsschreibung ›von unten‹, und mit dem parallelen, sich damit gelegentlich überschneidenden, Aufstieg einer sich auf Strukturen konzentrierenden Geschichtsschreibung, kamen sie dann weitestgehend aus der Mode. Doch Moden ändern sich bekanntlich – und die Biografie ist mächtig en vogue Bei dem seit vielen Jahren vor sich gehenden Boom einer Rückkehr zur Biografie dürfte es sich aber weniger um einen schlichten Pendelschlag rückwärts handeln, als vielmehr um eine mindestens partielle Überwindung der beiden alten Dichotomien. Denn was eine Vielzahl dieser unterschiedlichsten Arbeiten auszeichnet, ist gerade ihre Verbindung von Sozial- und Individualgeschichte. Unverkennbar schlägt sich in ihnen die Tendenz nieder, Geschichte von der Strukturebene auf die Ebene realer Menschen und ihrer Rolle in der Geschichte herunter zu brechen – ein Ansinnen, das nachvollziehbar auch damit zusammenhängen dürfte, dass Menschen von einem solchen Blick Rückschlüsse erwarten über den eigenen Ort ›in der Geschichte‹ und die eigenen Möglichkeiten, ›Geschichte zu machen‹.
139 plus minus eins
von Christoph Jünke
Es gibt nur wenige Fragen, die die menschliche Vorstellungskraft in solche Höhen und Tiefen zu treiben vermögen wie die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und doch stellt sie sich als ewige, als zutiefst menschliche Frage realiter nicht jeden Tag. Im Alltagstrott nicht sehr beliebt, drängt sie sich in den Zeiten individueller wie kollektiver Krisen, in Zeiten des individuellen wie kollektiven Bruchs und Überganges geradezu auf. Ob individuell oder kollektiv, ob in der Pubertät, der Midlife-Krise, vor dem Lebensabschluss oder in Zeiten passiver wie aktiver revolutionärer Gesellschaftstransformationen: »Die große Sinnfrage taucht meist in Zeiten auf, in denen bislang als gesichert geltende Rollen, Überzeugungen und Konventionen in eine Krise geraten.«
von Christoph Jünke
Wahlabstinenz, politische Apathie und Politikerverachtung haben sich im Alltagsleben unserer Gesellschaften nachhaltig verankert. Dass die Bürgerinnen und Bürger demokratiemüde geworden seien, heißt es nicht ganz zu Unrecht. Dass wir es hierbei mit einem Reflex auf die demokratiemüden ökonomischen, politischen und kulturellen Eliten und deren massiv vorangetriebene Demokratieaushöhlung zu tun haben, wird jedoch allzu gern verdrängt. Nicht so in Jacques Rancières Hatred of Democracy (franz. Original: La haine de la démocratie, Paris 2005).
GLOBKULT Magazin
herausgegeben von
RENATE SOLBACH und
ULRICH SCHÖDLBAUER
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