von Herbert Ammon

Den 31.Oktober 2011 gilt es als Geschichtsdatum im planetarischen Zeitalter festzuhalten. An jenem Tage, um 23.59 Uhr libyscher Zeit (22.59 Uhr MEZ) endete das  am 17. März d. J. beschlossene UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen.

Das UN-Mandat hatte die Errichtung einer Flugverbotszone vorgesehen, um das Vordringen der Truppen des Diktators Muammar al Gaddafi gegen die mutmaßlich von der ›Arabellion‹ inspirierten Rebellen in der Cyrenaika zu stoppen und einem mutmaßlichen Massaker an der Zivilbevölkerung in Benghasi vorzubeugen. Während man unter einer »Flugverbotszone« (no-fly-zone) Bombardements auf Flughäfen sowie den Abschuss von Kampfflugzeugen verstehen könnte, wurde das Mandat von den sich beauftragt fühlenden NATO-Staaten USA, Frankreich, Großbritannien, Italien stets breiter ausgelegt, so dass außer Militärgerät aller Art und Bodentruppen Gaddafis auch dessen Residenz in Tripolis elektronisch zielgerecht getroffen wurde. Außerdem trugen zum Erfolg der als demokratisch-pluralistisch deklarierten Aufständischen, zu denen noch rechtzeitig bisherige Gefolgsleute des langjährigen Machthabers überwechselten, nicht näher spezifizierte Spezialkräfte (zuständig für Aufklärung, Zielmarkierung, Ausbildung etc.) bei.

Nothing succeeds like success. Im September ließen sich die Befreier David Cameron und Nicolas Sarkozy im befreiten Tripolis feiern, im Oktober feierten die Rebellen mit Freudenschüssen ihren Sieg in Sirte, der Stadt an der Großen Syrte.

Am 20. Oktober 2011 wurde Oberst Gaddafi, laut englischsprachiger Wikipedia nicht Oberst, sondern nur Leutnant, auch nicht an der britischen Militärakademie in Sandhurst ausgebildet, sondern nach Abschluss der libyschen Militärakademie nur zu »weiteren Studien« in Europa (»He did in fact receive four months' further military training in the United Kingdom, and spent some time in London«), von libyschen Freiheitskämpfern (keine -kämpferinnen) in seiner Heimatstadt Sirte gefangen, auf einen Pritschenwagen geladen und sodann mit seiner eigenen »goldenen« Pistole (vergoldet, nicht aus deutscher, sondern aus belgischer Produktion) zu Tode gebracht. Menschenrechtsorganisationen, die den Siegeszug der zu Wasser, zu Luft und zu Lande NATO-gestützten Befreiungsarmee verfolgten, rassistische Lynchmorde an Schwarzafrikanern registriert und vor Racheakten gewarnt hatten, stießen in Sirte auf eine ganze Anzahl von kurzerhand exekutierten Gaddafi-Getreuen.

Dem von antikolonialistischen Sentiments, von wechselnden Großmachtträumen und  allgemeiner Unberechenbarkeit beseelten Gaddafi, dem Unterstützer der ETA, der IRA und der FARC, dem Freund von Nelson Mandela, Hugo Chavez und Jörg Haider, hat der Abschied von Terror, Massenvernichtungswaffen und revolutionärer Weltbeglückung nicht mehr helfen können. Auch dass Gaddafi, ein Moslem ganz eigener Sorte, seit den neunziger Jahren mit westlichen Geheimdiensten, mit CIA und M16, gegen den vordringenden Djihadismus kooperierte und  als einer der ersten vor Osama bin Laden warnte, hat ihm am Ende nichts genutzt. Noch weniger, dass er den Amerikanern ihre frühere Unterstützung für bin Laden gegen die Sowjets vorhielt. 

Mission accomplished, Einsatz beendet. Nach dem Ende Gaddafis scheint es müßig, über die hinter aller Moral verborgenen tieferen Gründe der blutigen Befreiungsaktion zu spekulieren. Verspricht sich der Westen vom Nationalen Übergangsrat und den neuen Machtverhältnissen verlässlichere Partner im Ölgeschäft? Ging es darum, den Chinesen beim Kampf ums Öl  zuvorzukommen? Ging es auch um Militärstützpunkte? Man wird sehen.

»Bei ihrem siebenmonatigen Einsatz in Libyen hat die NATO keine eigenen Verluste erlitten«, hieß es in einer AFP-Meldung am 31. Oktober über den Auftritt von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Tripolis. »Zu der Zahl der Opfer ihrer Angriffe macht die Allianz keine Angaben. Nach eigenen Angaben flog die NATO mehr als 26.300 Lufteinsätze und bombardierte fast 6000 Ziele.«

Über derlei Erfolgsmeldungen treten Berichte über den Charakter des Befreiungsregimes in den Hintergrund. Es ist zu erfahren, der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abd al-Dschalil habe die angekündigte, an der Scharia auszurichtende Ordnung bereits präzisiert: Die Verehelichung mit bis zu vier Frauen werde wieder erlaubt sein, Ehescheidung seitens einer Frau nur bei Krankheit oder Unfruchtbarkeit des Partners. Al-Dschalil diente die letzten vier Jahre unter Gaddafi als Justizminister. Als Richter unterschrieb er zahlreiche Todesurteile, darunter auch die gegen die wegen angeblicher HIV-Infektion von Kindern angeklagten bulgarischen Krankenschwestern.

Wie es weitergeht in Libyen? Jedenfalls ist  nicht anzunehmen, dass im Falle der Durchsetzung einer derartigen neuen Werteordnung und einer etwa dagegen neu aufflammenden Rebellion die NATO erneut um den Schutz der Zivilbevölkerung besorgt sein könnte. Dass die Banken in Libyen künftig nach islamischen Prinzipien operieren sollen, könnte manchen von den Erschütterungen der Finanzmärkte und der Euro-Krise verstörten Bürger gar als finanztechnische Ideallösung erscheinen. Doch vielleicht sollten wir uns auf eine neue Fluchtbewegung und zahlreiche Asylbewerber schon jetzt einrichten.

Schwarzmalerei? Die letzte Nachricht aus Tripolis  verheißt Gutes: Zum neuen Regierungschef  hat der Übergangsrat soeben Abd al Rahim al Kib gewählt, einen an der North Carolina State University promovierten Professor für Elektrotechnik, der ab 2000 an der American University in Sharjah, einem der sieben Vereinigten Arabischen Emirate lehrte. Al Kib, vom Übergangsrat als »Mann der Mitte« dargestellt (FAZ v. 02.11.2011), erklärte nach seiner Wahl: »Wir garantieren, dass wir eine Nation aufbauen, die die Menschenrechte respektiert und die es nicht akzeptiert, wenn diese verletzt werden. Aber wir brauchen Zeit.«
Bezüglich der neuen Werteordnung In Libyen dürfen wir also wieder hoffen. Wir müssen indes noch warten, bis die Freiheitskämpfer alle ihre Waffen abgeliefert haben.

 

Abb.: Gaddafi-Protest in Benghazi, Juli 2011 (Wikimedia Commons)

Notizen für den schweigenden Leser

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  • von Ulrich Schödlbauer

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Iablis. Jahrbuch für europäische Prozesse

Besprechungen

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  • von Felicitas Söhner

    Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten

    Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein

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    Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), 2. Auflage 2025

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  • von Herbert Ammon

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Manifesto Liberale

 

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