von Karl-Heinz Klär

Ihr Lieben,

haltet Ihr die außenpolitische Berichterstattung dieser Tage in den großen deutschen Medien noch aus? Ich nicht mehr. Ich frage mich nur noch: Genügt es jetzt als Qualifikationsnachweis, den US-Präsidenten für einen Vollidioten zu halten, um das Publikum in immer neuen und doch immer gleichen Artikeln und Videos hinter die Fichte führen zu dürfen?

Mein Urteil über die Person Trump bildete ich mir während des US-Wahlkampfs, es fiel vernichtend aus. Die Anti-Trump-Koalition, die sich hinter Hillary Clinton versammelte, fand ich allerdings kaum weniger bedenklich. Sie besteht anhaltend aus dem militärisch-industriellen Komplex inklusive den Geheimdiensten, aus Wall Street, Silicon Valley samt einer sehr spezifischen intellektuellen Coterie in Think Tanks, Universitäten und Einflussmedien, sie ist nicht nur in USA zu Hause, sondern hat Ableger weltweit. Als traditioneller Sozialdemokrat kann ich mit beiden Seiten nichts anfangen, ich beobachte sie aus der Distanz, wie der Ethnologe den faulen Zauber der Schamanen und Regenmacher beobachtet.

Auf den ›faulen Zauber‹ komme ich nicht von ungefähr.

Fangen wir mit der sog. G7 an. Diese Einrichtung aus dem Jahr 1975 liefert seit der Bildung der G20 im Jahr 1999 kaum noch einen nennenswerten Ertrag für die Weltpolitik. Sie dient vielmehr dem Zweck, einmal im Jahr einen gehörigen Rummel um die sog westliche Wertegemeinschaft zu veranstalten und deren weltweite Geltung unter Führung der USA ideologisch zu untermauern. Das war zuletzt im Jahr 2014 gut erkennbar, als die Sieben den vorübergehend achten Partner, die Russische Föderation, rauswarfen. Wenn man den faulen Zauber weglässt, war die G7 nach 1989 der politische Überbau über dem neoliberalen Washington Consensus: ›Marktdemokratie‹ weltweit, also unbeschränkten Waren- und Kapitalverkehr, Privatisierung, Liberalisierung, Deregulierung im gestreckten Galopp der Flexibilisierung als Standardprogramm, gerne mit Rechtsstaat, Sozialstaat muss nicht sein, jedenfalls nicht so toll.

Diesem Verein hat Trump am Wochenende ein Abschluss-Kommuniqué versagt. Danach Fassungslosigkeit, Entrüstung, Zorn, Empörung, Wehklagen querbeet in den deutschen Medien, eine Stimmung wie kurz vor dem Weltuntergang: Was fällt diesem Kerl ein?! Selbst Hüter des deutschen Bundesbankschatzes rieten in ihrer Verzweiflung, nun auf die Forderungen des Französischen Präsidenten in Sachen EU einzugehen.

Nur, was ist dem Kerl tatsächlich eingefallen? Eine gute Entschuldigung für seinen Rückzieher vom Kommuniqué bestimmt nicht, aber sonst doch nur das Übliche, oder? Trump hat in Kanada seinen bekannten Stiefel gemacht: USA zuerst, Ihr seid mir schöne Freunde, Ihr missachtet die US-Interessen, Ihr lasst Euch von uns aushalten, dafür bescheißt Ihr uns auch noch, ohne Euch komme ich billiger weg und alleine sowieso weiter, wer braucht Feinde, wenn er solche Freunde hat? Et cetera. Das ist nicht nett, klar, und dass die US-Importe aus den sechs Partnerländern die US-Sicherheitsinteressen gefährdeten, ist grober Unfug. Auch ist es machtpolitisch nicht klug, den faulen Zauber der sog. westlichen Wertegemeinschaft auf offener Bühne zu demolieren, wo sich doch unter diesem Deckmantel demokratische Gesellschaften so wunderbar formieren und Konkurrenten ausschalten lassen... Die Missachtung multilateraler Übereinkünfte ist sogar ein politisches Verbrechen. Und man versteht auch den Seufzer: Warum fordert der Mann seine Gefolgsleute nicht in einer Weise, die es ihnen erlaubte, das Gesicht zu wahren? »Was gäben wir ihm nicht alles...?«

Aber bitte, Trumps Ansatz stammt nicht aus einer fernen Galaxie. Weltpolitik ist in aller Geschichte vor allem Interessen- und Machtpolitik gewesen. Selbst die Vereinten Nationen und die Charta der Menschenrechte sind nach dem 2. Weltkrieg nicht vom Wertehimmel gefallen, sondern in einer günstigen machtpolitischen Konstellation von einigen klugen und tatkräftigen Leuten durchgesetzt worden. Nun hat jedoch der faule Zauber des Werte-Sprechs nach 1989 in Politik und Medien so um sich gegriffen, dass Trump mit seinem Interessen-Sprech auffällt wie einer, der im Hawaii-Hemd zur Beerdigung geht. Das alte politische Establishment rümpft die Nase, und diese Geste soll dem Publikum genügen. Dabei wäre es doch auch in Deutschland Zeit, wieder ernsthaft über Interessen zu reden und sich dem ehrenwerten Handwerk der politischen Analyse zu widmen, statt unentwegt selbstgerecht bis heuchlerisch drauflos zu moralisieren. Cui bono wie in der römischen Republik: Wer hat diese Interessen, wer hat jene, wer verschleiert die seinen durch faulen Zauber und warum?

Trump erweckt in einem guten Moment den Eindruck, als wolle er sich ein Beispiel an einem Großen der Zeitgeschichte nehmen. Michail Gorbatschow und die Seinen ließen 1989 den Ostblock sausen, weil sie es als Russen leid waren, ein Verbundsystem aufrecht zu erhalten und zu sichern, dessen Profiteure lange aufgehört hatten, an die Zukunft des Kommunismus zu glauben. Gorbatschows Russen meinten, alleine besser da zu stehen und weiter zu kommen. Etwas Vergleichbares reklamiert Trump. Nun kann man lang darüber streiten, ob die zu Grunde liegenden Einschätzungen, damals und heute, triftig waren und sind, das lasse ich jetzt beiseite. Ich will auch nicht abwägen, wie treffend oder oberflächlich die Analogie ist. Aber in einem Punkt bin ich ohne weitere Erörterung sicher: Militärisch könnten die USA ein großes Geld sparen, viel mehr noch als die Russen nach 1989, wenn sie aus dem Denken in Systemgegensätzen ausbrächen, handfeste Politik machten und ihren militärischen Aufwand ihren realen Sicherheitserfordernissen anpassen würden.

Der US-Militär-Haushalt beläuft sich aktuell auf jährlich 700 Milliarden US-$, er ist damit größer als die Militärhaushalte von Russen, Chinesen, Japanern und Europäern zusammengenommen. Seine Höhe steht in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu dem Aufwand, den die Verteidigung von Grund und Boden, Leib und Leben der US-Bevölkerung verlangt. Der 700-Milliarden-Haushalt ist vielmehr das finanzielle Aufgebot einer imperialen Macht, die diesen Status als einzige Macht inne hat und in den überkommenen Strukturen aufrechterhalten will. Aber stimmt die Rechnung denn? Auch das will ich nicht erörtern, doch so viel kann man getrost sagen: Wenn überhaupt, dann stimmt sie nur bei Beibehaltung der überkommenen Strukturen.

Hier wird es interessant.

Ich komme jetzt zu Trump und Kim und ihrem »erbärmlichen Treffen«, wie Stefan Kornelius, Außenpolitikchef der Süddeutschen, den Vorgang in Singapur verächtlich nennt. Dieses Treffen ist nämlich die deutlichste Abkehr von den überkommenen Strukturen, die Trump bisher vorführen konnte, und lässt im Lager der Trump-Gegner sämtliche Alarmglocken läuten. Denn wenn diese Art von Ausgleich und Abrüstung tatsächlich realisiert würde und dann Schule machte, müssten sehr viele Leute, die weltweit von den erwähnten 700 Milliarden US-$ direkt oder indirekt leben und Nutzen ziehen, ihr Leben ändern. Dann wäre dieser Aufwand endgültig nicht mehr zu rechtfertigen, und es käme womöglich auf ein einflussreiches Bevölkerungssegment im Westen zu, was die Eliten des verflossenen Sowjet-Blocks nach 1989 bitter erfahren mussten: Ihre Expertise wird nicht mehr gebraucht, eine neue Welt ist angesagt. Das wäre dann das definitive Ende der Nachkriegsordnung.

Aber ist es wirklich das, was Trump vorhat? Er selbst hat doch gerade erst den Militäretat gewaltig erhöht und rasselt gerne mit dem Säbel! Das stimmt, und ich bin kein Hellseher. Was ich allerdings unzweideutig erkenne, ist das ungeheure Befremden, ja, die Angst der Trump-Gegner, es könne exakt so sein und, horribile dictu, gelingen. Diese Angst bewegt in USA den militärisch-industriellen Komplex, bewegt die Konzerne des Finanz- und des datensammelnden Kapitals samt der intellektuellen Coterie in Think Tanks, Universitäten und Einflussmedien seit dem Tag, da im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 die Ahnung aufkam, Hillary Clinton könne gegen Trump verlieren. Man kann das mächtige Aufgebot und den erbitterten Kampf gegen Trump nicht verstehen, wenn man diese Angst nicht ermisst, sie ist existenziell, und sie lässt nicht nach, auch wenn Trump sie hier und da zu besänftigen sucht.

Zurück zum Ausgangspunkt und ein Schluss. Was spätestens nach G7 und Singapur in den großen Medien aufzubereiten und zu analysieren wäre, bleibt tabu. Stattdessen wird dem Publikum obstinat bedeutet, es genüge zu registrieren, dass Trump ein Vollidiot ist, der das Einmaleins der internationalen Politik nicht beherrscht. Widerspruch kommt in Deutschland von Herrn Gauland, womit für die Teilhaber an der herrschenden Meinung klar ist, dass man sich weiter keine Gedanken zu machen brauche.

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.