von Ulrich Schödlbauer

Die Vorstellung einer eifrig auf CO2-Vermeidung geeichten Volkswirtschaft, künftig von einer Armada schwerölgetriebener Gastankschiffe mit dem Stoff beliefert, ohne den, jedenfalls ›auf mittlere Sicht‹, nichts mehr geht, während auf dem Grunde der Ostsee die eigens zu diesem Zweck ersonnene Pipeline verrottet, ist von schwer überbietbarer … leider verbietet sich das Wort ›Komik‹ an dieser Stelle, nein, sie ist überhaupt nicht komisch, es ist bitterernste Satire, geschrieben von kundiger rot-grüner Hand, unter wohlwollender Mittäterschaft der Partei, deren Motto da lautet: Im Ernstfall für die Freiheit. Wobei die Herkunft des Tankergases teils eine Satire auf die Freiheit, teils, bei Betrachtung der Förderart, auf den Umweltgedanken schlechthin darstellt. Umwelt war gestern. Heute wird regiert.

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Russland ist nicht der Ukrainekrieg, Russland ist nicht Putin, Russland ist Russland: eines der großen Länder des Globus, die stets in Betracht kommen werden, gleichgültig, ob als Militärmacht oder als Wissenschaftsstandort oder als schier unerschöpfliches Rohstoffreservoir oder auch nur als energischer Nachbar im europäischen Haus. Darüber hinaus ist es strategischer Gegner der USA und, in ihrem Schlepptau, des Länderkonglomerats, das sich selbst auf den Namen Europa getauft hat und in Treue fest zu seiner westlichen Vormacht steht. In Russland gefördertes Erdgas mag zwar automatisch auch die Familienkasse der Putins füllen, aber es ist nicht mit diesem Vorgang identisch. Es gehört zum Reichtum der Erde, den die Menschheit verprasst, weil er ihr das Leben bequem macht und nebenbei dafür sorgt, dass die Superreichen reicher werden.

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Wer heute die Kanzlerin Merkel schmäht, weil sie ›uns‹ in Abhängigkeit vom russischen Gas gebracht hat, der sollte sich daran erinnern, dass sie damit den grünen Wunschtraum einer atomstrom- und kohlefreien Energiewirtschaft überhaupt erst in den Bereich der Machbarkeit gerückt hat. Ihr braucht alternative Energie? Voilà, Freund Putin wird dafür sorgen. Russisches Gas statt bestehender Kern- und Kohlekraftwerke, das war der Deal. Die SPD war mit dabei und die Grünen hörten geflissentlich weg. Wer heute noch nicht begriffen hat, dass die ›Windenergie‹ einpacken kann, wenn die Grundversorgung nicht anderweitig gesichert ist, dem ist ohnehin nicht zu helfen. Er ist wahrscheinlich auch für die Impfpflicht.

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Dass die so zwangsläufig entstehende strategische Abhängigkeit von Russland den USA ein Dorn im Auge sein würde, war ohnehin von Anfang an klar. Den üblichen Zynikern kam der Einspruch Donald Trumps daher ganz gelegen: Man konnte sich mokieren, wo man hätte nachdenklich werden müssen. Biden mag die Rechnung präsentiert haben, ausgeschrieben wurde sie unter Trump. Was die Deutschen nicht bedachten, war der nicht unerhebliche Umstand, dass die westliche Russland-Politik in Washington und nicht in Berlin gemacht wird. Nur im Entwerfen sind die Deutschen, wie immer, vorne mit dabei. Nun haben sie einen neuen Feind an der Backe und müssen aufpassen, dass hier nicht eine Todfeindschaft heranwächst, nein, unter Missbrauch historischer Erinnerungen, willkürlich herangezüchtet wird, die alles zunichte machen kann, was an Konstruktivem in Europa nach dem großen Kriege geleistet wurde, der in Russland der vaterländische heißt.

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Die heutige Generation muss, wie frühere, vieles erst lernen, darunter das Selbstverständliche, das in schier endlosen Merkel-Jahren in den untersten Schubladen verschwand, weil der grüne Zeitgeist es so bequemer hatte und man ihn als Transmissionsmedium für Machtinfusionen brauchte, deren Ziele langsam deutlicher über dem Horizont aufflackern. Alle Macht den Mächtigen! Lange Zeit reichte das zum Regieren, doch seit die wirklich Mächtigen, sprich die Reichen und vor allem die Superreichen den Globus sichtbar gestalten möchten, herrscht hier ein anderer Wind. Wenn Geld, Macht und Recht miteinander verschmelzen, dann ergibt das, zum Erstaunen der ewigen Weltverbesserer, auch eine Art von Sozialismus, genug jedenfalls, um die sogenannte Linke in Bedeutungslosigkeit dahinschmelzen zu lassen.

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Seltsamerweise hat keiner der fleißigen Kommentatoren gefragt, warum Putin gerade jetzt die Ukraine mit Krieg überzieht. Wo alle Bescheid wissen, obwohl jeder etwas anderes zu wissen glaubt, liegt hier der Punkt der geringsten öffentlichen Aufmerksamkeit. Man kann daraus schließen, dass dieser Krieg lange in der Luft lag und eigentlich niemanden überrascht hat. Zu tun, als sei Krieg in Europa etwas so Neu-Unerhörtes, dass nur die Nazi-Barbarei als Vergleichs- und Anknüpfungsgeschehen in Frage kommt, gehört natürlich zur üblichen Heuchelei. Es ist eine sogenannte ›Erzählung‹, geeignet, müde Krieger munter zu machen – jedenfalls seit Joschka Fischer einst für das Kosovo die Kriegstrommel rührte. Doch zwischen dem In-der-Luft-Liegen und dem Ausbruch eines Krieges liegt ein Abgrund, tief wie der Marianengraben.

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Warum jetzt? Wer mit öffentlich zugänglichen Quellen und einem schmalen Zeitbudget auskommen muss, spürt die Versuchung, den leichteren Weg zu wählen und das Nichtwissenkönnen zu kultivieren. Wer weiß schon, was zwischen den Mächtigen vorgefallen ist? Wer weiß schon, was die Ukraine gerade jetzt mit dem Nato-Beitritt kokettieren ließ und welche Aufrüstungsschritte, atomare eingeschlossen, im Hintergrund dabei anstehen? Wer weiß schon… Nun ja, einiges weiß man schon. Schließlich ist der ›Umbau der Weltwirtschaft‹ keine kleine Größe und tangiert die Interessen nicht allein der westlichen Länder. Da werden mit Sicherheit Rechnungen präsentiert, von deren Existenz das Publikum keine Ahnung besitzt. Dass die Geostrategen ihr ätzendes Spiel bei alledem spielen, ist bekannt, aber es erklärt selten den Zeitpunkt des Geschehens. Auch die russische Politikmaschine birgt ihre Geheimnisse.

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Corona war gestern, Impfopfer sind heute. Was langsam in die Köpfe der Leute, in Russland wie anderswo, einzusickern beginnt, hat das Zeug dazu, den Grundstoff aller Herrschaft verdampfen zu lassen, das relative Vertrauen darauf, dass auch schlecht regiert zu werden allemal besser ist als die Unwägbarkeiten der Anarchie. Dabei bedeutet Anarchie vor allem Rechtsunsicherheit, also gerade das, was sich im Gefolge der sogenannten ›Maßnahmen‹ ausgebreitet hat und durch Impfpflicht auf Dauer gestellt werden soll. Der Gedanke, es könne beim staatlich forcierten Impfen auf ein staatenübergreifendes Massensterben hinauslaufen, ist drauf und dran, die Massen zu ergreifen, um es ins Wort einer vergangenen Epoche zu fassen. Wie viel davon schon heute im frenetischen Leugnen des bereits Bekannten mitgehört werden muss, darf offen bleiben. Es käme dem Verlust von Herrschaftsansprüchen gleich, in dieser prekären Situation nicht das Äußerste zu wagen, und sei es ein begrenzter Krieg – teils, um vom heimischen Entscheidungselend abzulenken, teils, um Tote auf Tote zu häufen und damit im Handumdrehen eine gänzlich andere Situation zu schaffen.

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›Darum geht’s nicht.‹ Der gelegentlich von Maßnahmenkritikern gewagte Hinweis, die Regierungen forcierten den Krieg in der Ukraine, um vom Covid-Desaster abzulenken, wird in den gediegenen Medien einhellig als Idiotie zurückgewiesen – als Beispiel dafür, in welch absurde Höhen sich Verschwörungstheorie zu schwingen vermag. Umso auffälliger die Bruchlosigkeit, mit der an der neuen Front die seit Covid zur publizistischen Agenda gehörende Massenhysterisierung fortgeführt wird. Schwer zu sagen, wie weit die publizistischen mit den militärischen Frontverläufen zusammengehen. Immerhin gemahnt das übergangslos einsetzende Freiheitspathos an die sprichwörtliche Orgel, in deren Brausen die Stimmen der Warner vor einem neuen Totalitarismus sang- und klanglos untergehen, sofern letztere sich nicht ohnehin mit einem hurtigen Schwenk auf Linie gebracht haben.

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Das mögen Mitnahmeeffekte sein. Richtig ist: je autoritärer die Regierung, desto stärker das mitlaufende plebiszitäre Element, vertreten durch den aktuellen Stand der Meinungsumfragen. Ist auf die offiziellen Meinungsbilder kein Verlass mehr, dann liegt darin ein neuer Grund zur Beunruhigung. Eine zur Propaganda verkommene Presse blendet das Volk – jedenfalls eine Zeitlang –, eine erheuchelte Zustimmung zur Regierung die Regierenden. Ein Techniker der Macht wie Putin mag den Augenblick gekommen gesehen haben, mit einem Schlag eine innen- wie außenpolitische Schieflage zu bereinigen und das Volk, diese an ein paar Parametern laufende und dennoch unberechenbare Größe, auf Linie zu bringen. Wenn das der Fall ist, dann hat er mehr denn je als Vertreter der globalen politischen Klasse denn seines Landes gehandelt, nach dem Motto: Dieser Krieg wird so lange dauern, bis Corona aus den Köpfen der Leute verdampft ist.

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Pünktlich ist mit der Ankündigung des amerikanischen Präsidenten, North Stream II definitiv zu verhindern, eine Barriere gefallen, die bis dato zwischen den strategischen Parteien – und schroffen ökonomischen Konkurrenten – zur Rücksichtnahme angehalten hatte. Das düpierte Russland musste zur Kenntnis nehmen, dass die zwischen den Globalisierungsfreunden vom Potomac und dem an der Moskwa kursierenden Denken in Einflusszonen à la carte mäandernde Merkel-Politik ein abruptes Ende gefunden hat: Die neue deutsche Regierung besitzt weder das Stehvermögen noch den Willen, dieses ›Erbe‹ zu bewahren oder gar weiterzuführen. Dafür rettet sie sich in eine Bündnisloyalität, die dem Land augenblicklich nützt, aber bei sich verschärfender Krise selbst zum Problem werden könnte.

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Die angekündigten hundert Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr sind der Preis für die Rückkehr ins Bündnis: Seht her, die Zeit der Eskapaden ist vorbei. Werden sie klug eingesetzt und entsteht daraus wirklich jene schlagkräftige Armee, welche geeignet sein könnte, die militärischen Kräfteverhältnisse im mittel-osteuropäischen Raum signifikant zu verschieben oder neu ›zu ordnen‹, wie es im Bürokratendeutsch heißt, dann kann man die Uhr danach stellen, dass die Nachbarn im Westen und Osten ›mit Besorgnis‹ auf das mächtiger werdende Deutschland schielen und ihre Sicherheit in Gefahr wähnen werden – unerklärlicherweise, da alle Welt weiß, dass von Deutschland nur Frieden ausgeht für alle Zeit und in alle Himmelsrichtungen, ganz wie von der über alle russischen Verdächtigungen erhabenen Nato. Bleibt zu hoffen, dass dann das neue Russland nicht Deutschland heißt. Noch verfügt Amerika über andere Mittel, den Scheinriesen in der Mitte Europas eng zu führen. Vorerst garantiert ein ziemlich sinnloser Krieg, dass es dabei bleibt.