von Markus C. Kerber

Jacques Attali, der ehemalige Berater von Mitterrand und Pariser Vordenker, der sich nie gescheut hat, seinen Deutschlandhass öffentlich zu machen, riet allen französischen Regierungen, Deutschland dazu zu zwingen, gemeinsame Schulden der EU zu akzeptieren. Das Ziel dieses Unterfangens sei nicht nur, die Verschuldungskapazität der EU in eine neue Dimension zu bringen, sondern ein für alle Mal Deutschland an eine französisch dominierte EU zu fesseln. Klug – um nicht zu sagen hinterlistig – wie Attali ist, hatte er erkannt, dass sich Deutschland damit der wesentlichen Option, die gerade nach dem Lissabon-Vertrag allen Mitgliedsländern zusteht, faktisch begeben würde: Der Möglichkeit, aus der EU auszutreten (Vgl. Art. 50 EUV). Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die Europäische Union zu verlassen, hat der Brüsseler Bürokratie vor Augen geführt, was passiert, wenn – zu Recht oder zu Unrecht – ein Volk der Meinung ist, dass es die Kontrolle über sein eigenes Schicksal verloren hat.

Wenn indessen durch einen ›Wiederaufbaufonds‹ von gigantomanischen Ausmaß, der erst ab 2027 – und nicht etwa von Griechenland und Zypern, sondern von den etwas bodenständigeren Mitgliedsländern der EU – zurückzuzahlen sein wird (jedenfalls bürgen dieselben für die Rückzahlung), dann wird der Austritt für ein Land von der Größenordnung Deutschlands umso schwieriger. Denn Deutschland würde die EU nie verlassen können, ohne zuvor die verbliebenen Altschulden zu regeln. Und die verbleibenden Mitglieder um den Club Med (Frankreich, Italien, Spanien) würden Deutschland nicht gehen lassen, ohne eine Regelung dieser Frage zu Lasten Deutschlands zu erzwingen.

Die Argumente der von-der-Leyen-Kommission, das Geld würde aus dem Haushalt der EU zurückgezahlt, sind eine bewusste Täuschung und erreichen die Dimension politischen Betrugs. Denn erstens muss der EU-Haushalt gewaltig erhöht werden. Dies ist nur durch eine Steigerung der Beiträge der Mitgliedsländer möglich, die allesamt gegenüber diesem Postulat zurückhaltend bleiben werden. Hält diese Zurückhaltung an – dies ist jedenfalls bei den südlichen und osteuropäischen Ländern mit Sicherheit zu erwarten – dann wird die Kommission auf die ›Alternativlosigkeit‹ der Erzielung neuer Eigenmittel hinweisen. Auf diese Weise hätte sie die in Art. 114 II AEUV eindeutig verbotene Steuererhebung durch die Union umgangen. Der von-der-Leyen-Vorschlag ist also nicht nur in flagranti ein Verstoß gegen das Anleihefinanzierungsverbot des Art. 311 AEUV der Europäischen Union, sondern er ist der bisher gelungene Versuch jener Kreise, die Frau von der Leyen – seitdem sie Verteidigungsministerin ist – aus Frankreich steuern, um Deutschland an die EU zu ketten und unserem Land nur noch die Möglichkeit zu lassen, durch immer größere Beitragszahlungen und Bürgschaften den Kollaps sowohl des Euroblocks als auch der gesamten EU zu verhindern.

Bereits die Bezeichnung der von-der-Leyen-Initiative als ›Wiederaufbaufonds‹ ist eine grobe semantische Täuschung, die nur von denen nicht erkannt wird, die sich irrtümlicherweise als langfristig Begünstigte der Brüsseler Geldgeschenke betrachten. Es gibt nämlich in Italien, Spanien, Portugal – ganz zu schweigen von Frankreich – nichts, was wieder aufgebaut werden muss. Weder die Corona-Krise noch vorhergehende Krisen haben die Infrastruktur dieser Länder zerstört, haben Gebäude hinfällig werden lassen oder diese Länder daran gehindert, ihre Streitkräfte mit hochmodernen Waffen auszurüsten. Das, was dagegen in diesen Ländern danieder liegt, ist zum einen die Wettbewerbsfähigkeit (mit Ausnahme von Portugal) und der Zustand der öffentlichen Finanzen. Wir werden sehen, wie weit Frau von der Leyen mit der Wiederaufbaulüge kommt. Sie hofft jedenfalls angesichts des Verteilungsschlüssels der üppigen Gelder, die bisher skeptischen bis ablehnenden ost-mitteleuropäischen Staaten durch üppige Zuweisungen bestechen zu können. Dabei fällt der Milliardenbatzen, der Polen zuteilwerden soll (ca. 64 Mrd Euro), besonders ins Auge. Welcher Regierungschef – so auch der kluge Premierminister Morawietzki – wird auf die Möglichkeit verzichten, ganz unverdient einen solchen Milliardenbetrag für sein Land loszueisen und in einem Zug alle Rechtsstreitigkeiten mit der EU-Kommission, insbesondere die Verfahren nach Art. 7 EUV, zu bereinigen. Dem von-der-Leyen-Plan liegt also die Vorstellung zugrunde, dass sich die Kritiker der Brüsseler Bürokratie, die heute überwiegend in Ost-Mitteleuropa sitzen, werden kaufen lassen.

Diese korruptive Zustimmungsmechanik legt die eigentliche Gefahr des von-der-Leyen-Plans für die geistige Freiheit Europas bloß. Die Kommission will sich unter missbräuchlicher Ausnutzung einer mittelschweren Pandemie selbst ermächtigen, die Finanzierung – contra legem – zu revolutionieren und gleichzeitig mit dem so ›gestohlenen‹ Geld sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gefügig zu machen. Vor einer Europäischen Kommission, die über 750 Milliarden Euro – davon 500 Milliarden in Gestalt von verlorenen Zuschüssen – zu entscheiden hat, kuschen alle Mitgliedsländer, insbesondere diejenigen, die sich wie Polen mit einem Verteidigungshaushalt von acht Milliarden Euro zufriedengeben müssen. In dessen Folge werden alle Mitgliedsländer – besonders diejenigen, die auf signifikante Zuschüsse aus Brüssel stets hoffen konnten – ihren Lobbyismus in Richtung Brüssel verstärken. Das Europäische Parlament, bisher schon Vorzimmer der Kommission, wird endgültig zu einer großen Lobbyblase verkommen. In dieser Lobbyblase wird rechenschaftslos das Geld Dritter verteilt. Aus dem Bericht des langjährigen französischen Europabeamten, Jacques Lovergne, wird deutlich, dass die Kommission schon mit ihrem jährlichen Etat von 140 Milliarden und seiner Verteilung in den Mitgliedsländern heillos überfordert ist. Wie der Rechnungshof in tausend Seiten langen Berichten (die niemand liest) belegt, ist die Brüsseler Kommission außerstande, die Gelder, die sie in die Mitgliedsländer überweist, zu kontrollieren. (Vgl. das unter Pseudonym erschienene Buch, Didier Modi, »Der europäische Albtraum«, Edition Europolis 2018.)

So wird es auch bei von der Leyens ›Wiederaufbaufonds‹ gehen. Denn von Friedrich August von Hayek wissen wir, dass eine staatliche Instanz wie die Europäische Kommission, die sich Hüterin der Verträge nennt, gar nicht wissen kann, in welchen Branchen zukunftsträchtige Investitionen vorzunehmen sind. Es wird einem Angst und Bange, wenn man daran denkt, dass Frau von der Leyen und ihr Brüsseler Kabinett Städten, Regionen oder anderen Gebietskörperschaften vorschreiben wollen, welche Investitionen sie zu treffen haben, um Europa ›grüner‹ zu machen oder die ›digitale Revolution‹ zu akzelerieren. Der von-der-Leyen-Plan ist also nicht nur ein Schlag gegen den deutschen Steuerzahler sowie die anderen Nettozahler und Hartwährungsländer der Europäischen Union sondern eine subtile Form politischen Betrugs unter dem Vorwand der sogenannten Corona-Krise. Eine solche Manifestation politischer Anmaßung hat es bisher in Europa noch nie gegeben.

Das unkritische Echo, welches diese Anmaßung in der eigenen Partei, der CDU, von Laschet bis Merz gefunden hat, verrät sehr viel über den Gleichschaltungsprozess der politischen Meinung in Deutschland. Es belegt leider: Die CDU ist eine Linkspartei geworden, in der kein Platz mehr ist für liberale EU-Kritiker. Aber noch ist die Selbstbestimmung der Deutschen nicht verloren. Denn die Gruppe der Widerständigen ist in ihrem Willen, sich der Abdankung der deutschen Demokratie entgegenzusetzen, ungebrochen. Nur eins ist jetzt schon sicher, wenn 2027 nach den Plänen der Europäischen Kommission mit der Tilgung der EU-Anleihen begonnen werden soll, werden die Akteure, die heute den Weg in die Schuldenunion weisen und damit die Zukunft Europas verbauen, nicht mehr an der Macht sein. Dies ist eine Befürchtung, weil sie dann kaum noch zur Rechenschaft gezogen werden können. Aber es ist auch der Keim neuer europäischer Hoffnung.

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