von Herbert Ammon
I.
Wir sind entrüstet: So unterschiedliche Persönlichkeiten wie Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der weitgereiste Jubilar Peter Scholl-Latour, selbst der als geistig eigenständig bislang wenig bekannte CDU-Politiker Armin Lascheth, last but not least Alice Schwarzer, äußern Verständnis für Putin und dessen Vorgehen auf der Krim.
Die Alt-Feministin Schwarzer, in ihrem Gewissen selbst anscheinend unbelastet von Steuersünden in Millionenhöhe, fordert Nachsicht für Putins feminismusfernen Herrschaftsstil. Man müsse Russland Zeit geben. Auch in Deutschland, so die historische Erkenntnis der Emma-Herausgeberin, habe die Durchsetzung der Demokratie »zweihundert Jahre gedauert«. So bedenkenswert letztere Information für die politische Bildung in Deutschland künftighin sein mag – alle anderen Reden der »Putin-Versteher« (sc. -innen) klingen für deutsche Demokraten (sc. -innen) schier unerträglich.
Was wir unter Anleitung des nouveau philosophe Bernard-Henri Lévy auf dem Majdan lernen konnten, war die kämpferische Durchsetzung der Menschenrechte in Kiew und in der Ukraine. Die Richtigkeit der vorherrschend grünen Sicht der Dinge erweist sich in diesen Tagen: Kaum ist, der korrupte - und womöglich homophobe - Präsident Viktor Janukowitsch vom Volk verjagt und aus Kiew geflohen, da steht schon derselbe alte Pate Rinat Achmetow hinter dem neuen Präsidenten Arseni Jazenjuk. Während die aus der Charité nach Kiew zurückgekehrte »Gasprinzessin« (Scholl-Latour) Timoschenko ihre spezifischen demokratischen Überzeugungen kundtut, wird der »weiße Sascha«, gestern noch einer der wackeren Streiter des »Rechten Sektors« auf dem Majdan, heute für die Demokratie untauglich, kurzerhand erschossen. Timoschenko, in der Berliner Charité wundersam genesen, wägt, wenn schon nicht in digitaler Vertraulichkeit ihre Worte, so ihre Wahlchancen im ukrainischen Frühlingsmonat Mai. Der hierzulande beliebte Weltmeister Vitalij Klitschko geht mutmaßlich leer aus.
II.
Vor diesem Hintergrund lag es nahe, dem Publikum von GlobKult neue Lesefrüchte zur politischen Bildung aus meiner Hauptinformationsquelle Yahoo! zu präsentieren. Gerade heute, 26.03.2013, 18.02h bietet Yahoo! (German edition) wieder Stoff genug, u.a.: »Angelina Jolie extrem abgemagert«; »Timoschenko will Präsidentin werden«; »Schmidt nimmt Putin in Schutz: Sanktionen ›dummes Zeug‹«; »Helmut Berger: Busengrabscher vor laufender Kamera«. Zu erfahren ist auch, dass aufgrund spezifischer gesundheitlicher Risiken »Fremdgehen schlecht« sei...
Für politische Bildung mit und nach Yahoo! wie stets unentbehrlich die »Trends des Tages«: Sie bewegen sich um diese Tageszeit zwischen Michael Schumacher (Platz 1), Kurzreise (Platz 6), Helmut Schmidt (Platz 7) und Sebastian Vettel (Platz 8).
III.
Da in der Ukraine und anderswo (in Weißrussland sowie in Somalia, in der Zentralafrikanischen Republik, in Ceuta und Melilla, in Nord-Korea usw. usw.) die Menschenrechte auf dem Spiel stehen, sei an dieser Stelle ein Artikel aus der gestrigen Berliner Zeitung - nicht zu verwechseln mit der BZ, dem alten Leib- und Magenblatt der Einwohner der westlichen Stadtteile aus dem Hause Springer - empfohlen. Womöglich finden ihn GlobKult-Fans online unter dem Titel »Auf Fett tut es weniger weh als auf Muskeln«. Unter dieser Überschrift wurde die Leserschaft auf eine Aktion zur Beförderung der Menschenrechte aufmerksam gemacht, die unter dem Motto »Human Rights Tattoo« am Mittwoch, 26.3., 16 bis 20 Uhr im Keller des Burgerbraters und Clubs »White Trash Fast Food« in der Schönhauser Allee anberaumt war.
In dem Burgerbrater-Club befindet sich auch das Tattoostudio No Pain No Brain. Eben dort, so dürfen wir aus dem Bericht folgern, fand gestern am späten Nachmittag das genannte Event statt. Es handelt sich um eine Kampagne, die von dem niederländischen Künstler Sander van Bussel ersonnen wurde. Der Künstler verfolgt die Idee, auf dem Körper von 6773 Menschen in aller Welt – bislang bei 23 Events in den Niederlanden, in Spanien, Kenia und Südafrika – jeweils einen Buchstaben der englischen Version der UN-Charta der Menschenrechte (vom 10. Dezember 1948) tätowieren zu lassen. Jeder Teilnehmer lässt seinen »fertigen [auf dem gewählten Körperteil aufgetragenen (?)] Buchstaben – fotografieren und gibt eine kurze Erklärung zu seiner Motivation für das Tattoo ab. Beides wird auf der Internetseite von ›Human Rights Tattoo‹ veröffentlicht.«
Die individuelle und körpergerechte Applikation der Buchstabenfolge der Menschenrechtsproklamation war den kunstsinnigen Händen der 29 Jahre alten Tattookünstlerin Toni Lou anvertraut. Toni Lou ist eine Engländerin, die sich seit dem 17. Lebensjahr in dieser Branche verwirklicht. Sie empfiehlt Tätowierungen auf Fett vorzunehmen, wo es - augenscheinlich auch dank Erfahrung mit eigenen Körperformen - weniger weh tue als auf Muskeln oder auf Knochen. Sie selbst will sich keinen Buchstaben der UN-Charta stechen lassen: »Bei mir wäre es nichts Besonderes mehr.«