von Herbert Ammon

Von Olaf Scholz’ historischer Leistung als Bundeskanzler wird – außer dem Verlöschen der Ampel – nur sein Beitrag zur politischen Rhetorik in Erinnerung bleiben. Nach Putins Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sprach er bedeutungsschwer von einer ›Zeitenwende‹. Danach bereicherte er das politisch-mediale Vokabular mit dem plebejisch klingenden ›Doppelwumms‹.

Um Scholzens Nachlass, genauer: um die Bewältigung jener Zeitenwende, die nunmehr, akzentuiert durch Selenskyis Abfuhr im Weißen Haus, in Trumps Bemühen um einen Deal mit Putin im Raum der Tatsachen sichtbar wird, kümmert sich seit Beginn der Koalitionsverhandlungen die künftige schwarz-rote Regierung unter Friedrich Merz. Noch wissen wir nicht, wie die Regierungsämter verteilt werden sollen. Gut, Pistorius bleibt, aber bleibt auch Faeser, und wer löst Annalena und Habeck ab?

Doch bereits jetzt, noch nicht im Amt, exekutiert Merz selber, in Kooperation mit dem abgewählten Scholz, einen ›Doppelwumms‹, der über dessen rhetorischen Kraftakt weit hinausgeht. Die bis zu den Februar-Wahlen von Merz nur noch formal verteidigte, erst 2009 ins Grundgesetz hineingeschriebene Schuldenbremse soll mittels der im noch fungierenden Bundestag verfügbaren Zweidrittel-Mehrhheit im Bundestag nicht etwa nur gelockert, sondern mit einem zusätzlichen ›Sondervermögen‹ – für die Verteidigung unserer wehrhaften Demokratie – komplett ausgehebelt werden. Merz spricht von Staatsausgaben in Höhe von 800 Milliarden Euro, die FAZ gar von 900 Milliarden.

Damit würde die deutsche Staatsverschuldung ab 2025 auf die Rekordhöhe von 3,4 Billionen Euro steigen. Es ist völlig offen, ob nationalstaatlicher Keynesianismus anno 2025 noch ökonomische Erfolge zeitigt. Kann exorbitante Schuldenaufnahme – gedacht für Investitionen in Rüstung, Infrastruktur, Wissenschaft und Bildung (!?) – der seit Jahren stagnierenden Wirtschaft tatsächlich die nötigen Wachstumsimpulse geben, um danach wieder Schulden abzubauen, oder löst sie nur einen neuen Inflationsschub aus?

Wir können derzeit nur Folgendes prognostizieren: Der deutsche Energiebedarf wird weiterhin nicht ohne Importe (französische Kernenergie, amerikanisches Flüssiggas, russisches Öl auf Umwegen) gedeckt werden können. Und nur mit Ironie – im Rückblick auf die Zerstörung von Nord Stream 2 – ist zu vernehmen, dass bereits über ein amerikanisch-russisches Konsortium verhandelt werde, welches die unzerstörte Ostsee-Pipeline Nordstream 1 wieder in Betrieb setzen soll. Selbst im Falle, dass dank neuer Verträge wieder russisches Gas nach Deutschland strömt, würde danach Gas so teuer bleiben wie schon heute, jedenfalls deutlich teurer als vor der Zeitenwende 2022.

Es bleibt sodann die Frage nach der Kreditaufnahme für die Verteidigung, zur Sicherung von Frieden und Freiheit sowie zur Bewahrung unserer Werte vor dem KGB-Mann, Imperialisten und Schröder-Freund Putin. Kenner der Materie, das heißt des Zustandes der Bundeswehr, die wir – als reale Friedensdividende – nach Mauerfall und Wiedervereinigung progressiv abgebaut haben, meinen, dass die Wiederherstellung der deutschen ›Kriegstüchtigkeit‹ (Boris Pistorius) nicht von heute auf morgen, sondern nur über Jahre hin zu bewerkstelligen sei. Bis dahin müsste Putin – nach Unterwerfung oder vollständiger Annnexion der Ukraine – auf jede weitere Expansion Richtung Westen verzichten, vor der uns kriegstüchtige Experten wie Kiesewetter, Strack-Zimmermann und Hofreiter ständig warnen.

Wohin also werden die Hunderte von Verteidigungsmilliarden fließen? Vermutlich nicht nur, wie erhofft wirtschaftsstimulierend, in die deutsche – sowie im Rahmen der neuen ›Koalition der Willigen‹ – in die europäische Rüstung. Wahrscheinlicher ist, dass mit dem Geld Waffensysteme vorerst anderswo – nicht zuletzt in den USA – eingekauft und an die Ukraine geliefert werden sollen.

Über die weitere Verteilung der Milliarden im neuen Wehretat – etwa für grüne Werbekampagnen für mehr Freiwillige (m/w/d) in der pazifistisch gestimmten Gesellschaft oder – im Falle der von Söder, Joschka Fischer und der AfD geforderten Wiedereinführung der Wehrpflicht – für in Bangladesh gefertigte Uniformen will ich hier nicht spekulieren. Ob und wann Einheiten der real existierenden Bundeswehr zur Friedenssicherung – in einem noch gänzlich unklaren europäischen Szenario – in die Ukraine entsandt werden sollen, sind Fragen, die an eine künftige schwarz-rote Regierung – sowie an die kampfbereiten Staaten in der EU – zu richten sind. Es bleibt zu hoffen – Gewissheit gibt es in Fragen der großen Politik nicht –, dass bis dahin Trump und Putin einen Deal ausgehandelt haben. Dann könnte Merz auf die eine Hälfte des proklamierten Doppelwumms verzichten.

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