von Don Albino
Die Sonne, sagt man, scheint über Gerechte und Ungerechte. Ob die Regel auch dann gilt, wenn die Gerechten die Ungerechten und die Ungerechten die Gerechten sind, je nachdem, ob man den Medien Glauben schenkt oder der Realität, also wieder den Medien, zählt zu den Ungewissheiten, welche, gleichsam vom Paradies her, die Menschheitsgeschichte begleiten, und soll uns daher heute nicht wirklich kümmern. Die Wirklichkeit befindet sich eben im Zwiespalt, wie schon das gute alte Wetterhäuschen andeutet, bei dem bekanntlich auf der einen Seite ein Mann und auf der anderen eine Frau herausschaut. Es soll uns, zumindest heute nicht, täuschen, dass die Frau ein freundliches und der Mann ein grimmiges Wetter verheißt. Wir schreiben Montag, den ersten Bruar – das Fe lasse ich, als rostendes Stück Vorgeschichte, weg –, jenseits meines Frühstücksomelettes erhebt sich in fotogener Majestät der Sonnengott Helios aus der Kälte: ein unwiderlegliches Zeichen dafür, dass die Union, wie sie noch immer genannt wird, wieder in ihre ererbte Position als Haupt- und Staatspartei einzurücken gedenkt.
Zugegeben, der Podest, den ihr der Wähler gebaut hat, ist schmal, aber breit genug, um zu Illusionen Anlass zu bieten, zum Beispiel der, die gestrige Wahl gewonnen zu haben. Dabei hat sie sie nur nicht verloren. Wie gewonnen, so zerronnen. Welche Wahl, fragt der mobile Zeitgenosse, den es juckt, sich endlich wieder, nach all den Sondersendungen, aufs Rad zu schwingen und dem Mief zu entrinnen – welche Wahl? Der einzige, der hier die Wahl hatte, war der sogenannte Wahlsieger, und er hat sie noch immer: die Wahl zwischen zwei Unredlichkeiten, nämlich der, entgegen allen Schwüren mit den sogenannten Rechten zusammenzugehen, und der, entgegen allen ›inhaltlichen Festlegungen‹ mit den sogenannten Linken zu koalieren. So gesehen ist das Bild von der Brandmauer, wie es sich in den letzten Jahren eingebürgert hat, ganz falsch. Die Union steht zwischen zwei Feuern. Sie hat bloß die Wahl, sich die Finger gleich zu verbrennen oder später, und wie man Politiker so kennt, ist die Versuchung groß, die Sache auf später zu verschieben. Außerdem hat man’s ja versprochen und was man versprochen hat, das muss man … halt!
Die Union – ich mag den Ausdruck, er erinnert mich an mein saftiges Schinkenomelette, obenhin mit Rucola bestreut, vor allem, wenn man die Kehrseite außer Betracht lässt –, die Union hat es im Alleingang geschafft, den Wählern die Wahl gründlich zu versalzen, und zwar aus Unentschiedenheit. Jedenfalls gehe ich davon aus, dass es Unentschiedenheit ist und nicht Unvermögen, was in ihrem Inneren brodelt. Vielleicht ist auch beides dasselbe, ich will darüber nicht rechten. Sie hat den Wählern die Entscheidung aus der Hand genommen und muss sie jetzt selbst treffen. Das hat sie davon. Endlich muss sie sich entscheiden, wortbrüchig oder sachbrüchig zu werden – alle Wahlanalytiker sehen und sagen es und schließlich begreift es auch der düpierte Wähler, wenn er es nicht längst vor dem Betreten der Wahlkabine begriffen hatte. Aber er hat ja, wie man hört, die Demokratie gewählt und es ist die schöne Botschaft gerade dieser Wahl, dass die Beteiligung daran so in die Höhe gegangen ist. In dieser Hinsicht ist also alles gut gegangen.
Dass man wählen geht, um die Demokratie zu wählen, hat den Nebeneffekt, dass einer, der am Wahltag zu Hause geblieben ist, die Demokratie nicht gewählt hat. Natürlich erhebt sich die Frage, ob da nicht die Parteien, allen voran die Union, die nur sich selbst gewählt haben, in Wahrheit auch zu Hause geblieben sind, im Wetterhäuschen sozusagen, und die Wähler im Regen stehengelassen haben: draußen vor der Tür wie den armen Borchertschen Kriegsheimkehrer, der nichts weiter will, als dass wieder geordnete Verhältnisse eintreten. ›Geordnete Verhältnisse‹ heißt: Wer Links wählt, bekommt Links, und wer Rechts wählt, bekommt Rechts. ›Die Mitte wählen‹ ist in dieser Hinsicht immer Rosstäuscherei, wie die Geschichte der Großen Koalitionen hinreichend belegt. Große Koalitionen sind Notkoalitionen, in denen man zusammenlegt, weil es anders nicht mehr geht. Ist die Not verschwunden, werden sie zum Ruhekissen für Diäteneinstreicher. Nichts gegen Diäten! Sie helfen, das Leben erträglicher zu gestalten.
Das Omelette ist fast verspeist, da kommen einem so Gedanken wie der, dass, so gesehen, die US-Amerikaner das robustere Parteiensystem besitzen: Demokraten und Republikaner, mehr braucht’s nicht und mehr ist auch nicht vorgesehen. In Deutschland haben die Demokraten die Republikaner, Reps genannt, gerade noch rechtzeitig nach Hause gejagt. Seither wählt man halt Demokraten und bleibt unter sich. Das hiesige System (ich betrachte mich da eher als Fremdling) ist vermutlich die direkte Folge davon, dass man keine als dubios erachteten Republikaner zulassen will, wobei man ausklammert, dass es auch demokratische Republikaner geben soll. Reden wir nicht von Trump, bleiben wir allgemein. Die Berliner Republik ist nicht die Bonner Republik ist nicht die Weimarer Republik – die schon gar nicht. Das impliziert bereits, dass Republikaner ohne Zusatz wohl eine Art Staatsfeinde sein müssen, vaterlandslose Gesellen im Grunde, die nicht wissen, wohin sie gehören. Es gibt zu viele Republiken. Wer will, sucht sich eine aus und findet an ihr sein Vergnügen.
Neulich las ich die Theorie, in Mehrparteiensystemen – aha! – tendierten die Parteien ohnehin dazu, in der Mitte zusammenzukommen und zu einem Gesinnungsbrei zu verschmelzen. Das ist, mit Verlaub, Kohl. Selbst wenn, wie gern behauptet, sich die Parteien den Staat zur Beute machen, bleibt der Staat Staat. Das heißt, irgendeine Art von Feind oder, vornehm gesprochen, Gegner muss her, damit das Volk, pardon, die Bevölkerung sich hinter ihre legitime Regierung schart. Die logische Folge besteht darin, dass alles auseinanderfällt, sobald erst alle dasselbe wollen. Ein Mehrparteiensystem, in dem alle Parteien mit allen können, bloß mit der einen nicht, die dann doch gewählt wird, ist dann eben ein verkapptes Zweiparteiensystem.
Die Frage ist also: Kann die Union –? Und falls sich herausstellen sollte, dass sie dann doch nicht kann, obwohl sie so gerne wollte, dann muss sie halt mit der anderen Seite und wir haben in Wahrheit wieder nur zwei Parteien. Aber ich will Sie und mich nicht mit der Wahrheit behelligen. Die Wahrheit der Politik ist der Katzentisch – an ihm Platz nehmen heißt, auf seinen Sitz im Leben Verzicht zu leisten. Hand aufs Herz: einer christlichen Partei würde das nicht übel anstehen, vor allem, wenn sie keine Partei, sondern eine Union ist, also in Wahrheit zwei. Zwei Katzen, zu einer vereint, ersetzen sich gegenseitig die Welt, es gibt keinen Konflikt, den sie nicht untereinander austragen könnten, ganz ohne Wähler. Bloß demokratisch muss es zugehen, sonst gilt es nicht und der amerikanische Freund erhebt mahnend den Finger.
Und nun: aufs Rad!