von Herbert Ammon
Laut Grundgesetz bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz in seinem Ampel-Kabinett diesen Auftrag mit Durchsetzungsvermögen wahrnähme, ist schwer zu erkennen. Die treibende Kraft in der Ampel – wie in nahezu allen Bereichen von Politik und Gesellschaft in diesem unserem Lande – sind die von unbefleckten Idealen bewegten Grünen. Dass die ökologisch-materielle Familienaffäre – für Kenner der grünen Netzwerke ein keineswegs überraschender Fall von Nepotismus – des entlassenen Energiestaatssekretärs Patrick Graichen die Grünen in den Umfragen ein paar Prozente gekostet hat, fällt politisch nicht ins Gewicht. Seit Merkel ist deutsche Politik nur noch grün. An diesem Faktum wird sich auch solange nichts ändern, wie Scholz und Lindner an der Ampel festhalten.
Wirtschaftsminister Robert Habeck, als Literaturwissenschaftler und Kinderbuchautor ökologisch, nicht ökonomisch versiert, hält auch nach Graichens Entlassung am deutschen Weg zur Klimarettung fest. Graichens Nachfolger Philipp Nimmermann, so Habeck, ›wird mit seiner Stringenz die Energiewende, die Wärmewende und die Transformation voranbringen.‹ Wenn es um ihre Ideale geht, nutzen die Grünen die Instrumente der Macht.
Während Strom aus französischen und polnischen Atomkraftwerken sowie Kohle aus Kolumbien importiert werden, setzt das von der Ampel beschlossene grüne Klimaprogramm das von Inflation und schwachen Wachstumsraten betroffene Volk unter ökonomischen Druck. Immerhin zeigt Habeck plötzlich Verständnis für einige von Energiesorgen geplagte Industrieunternehmen. Er will die – bislang maßgeblich von der hoch subventionierten Energiewende verursachten – Stromkosten in der Stahl- und Chemieindustrie mit einem Preis von sechs Cent pro Kilowattstunde mindern. Auch wenn das Geld dafür aus dem Wirtschaftsstabilitätsfonds kommen soll, heißt das nichts anderes als neue Subventionen für grüne Stromerzeugung. Widerspruch regt sich derzeit noch bei der FDP, die indes aus Liebe zur grünen Ampel die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke widerspruchslos geschehen ließ.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) propagiert eine Erweiterung des Familienbegriffs, der grüner, bunter und absurder nicht sein kann. Laut dem Gesetzentwurf aus seinem – mutmaßlich grün-divers bemannten/befrauten – Ministerium gilt die nach Lust und Jahreszeit variable Geschlechtszugehörigkeit, jedoch nicht im Kriegsfall. Dann müssen vor allem Männer wieder als Männer und Frauen als Frauen – letztere der Bundeswehr bislang ohne gerechte Geschlechterparität vertreten – an die Front. Der Ernstfall ist zum Glück noch nicht eingetreten, denn entgegen der von der grünen Außenministerin Baerbock kurzzeitig vertretenen Ansicht, befinden ›wir‹ – gemeint war die Nato – uns noch nicht im Krieg mit Russland.
Nach eigenem Bekunden betreibt Annalena Baerbock in dem – unlängst durch Abhängen eines letzten Bismarck-Porträts grün und rötlich gereinigten – Auswärtigen Amt ›feministische‹ Außenpolitik. Dank umfassender medialer Unterstützung kommt sie damit in der deutschen Öffentlichkeit durch, auch wenn ihr Auftritt in Beijing von ihrem chinesischen Amtskollegen Wang Yi als westliche Anmaßung kühl abgewehrt wurde. Immerhin gelang ihr beim kräftigen Händeschütteln mit dem Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate ein energie- und wirtschaftspolitischer Erfolg. Grüner Strom, gewonnen aus Flüssiggas, kommt künftig – nicht ganz klimaneutral – auch aus den VAE, nicht nur aus Katar und den USA. Klar, grüne Energiepolitik. Unklar ist nur, was daran feministisch sein soll.
Lieblingsthema grüner Außenpolitik ist die Migration mit dem Ziel, die Bundesrepublik Deutschland noch bunter zu machen. Kritiker aus den eigenen Reihen – nach dem Austritt Boris Palmers bleibt nur noch der grüne Landrat im mainfränkischen Miltenberg als Stimme der Vernunft – kommen gegen den grün-medialen Mainstream nicht an. Während Scholz zum zentralen Thema deutscher Innenpolitik schweigt und die FDP – am Thema vorbei – für mehr ›Fachkräfte aus Drittländern‹ plädiert, gehört Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zu den innigsten Verbündeten der Grünen im Kabinett. Unbeeindruckt von der Debatte auf EU-Ebene und den längst auf Kurswechsel dringenden EU-Staaten, verfolgt die Ampel im Zeichen einer seit Jahren verschleppten Asylpolitik die grün-linke Leitidee der multikulturellen ›Bereicherung‹. Das Land soll sich grundlegend ändern, und Karin Göring-Eckardt, Frontfrau des grün-protestantischen Milieus, ›freut sich darauf‹.
Einst wurde den Grünen unter der Spottbezeichnung ›Ökopaxe‹ nachgesagt, sie seien die späten Erben der deutschen Romantik. Was die – ihrer Herkunft nach bunt gemischten – Grünen stark machte, war ihre vermeintlich vorbehaltlose Friedensliebe und mehr noch ihr massenwirksamer militanter Kampf gegen die Atomenergie als Menschheitsbedrohung. Die Vorstellung eines unzweifelhaften Pazifismus wurde spätestens im Kosovo-Krieg anno 1998 von Gerhard Schröders grünem Außenminister Joschka Fischer wortstark weggefegt, als dieser den Nato-Einsatz der Bundeswehr im zerfallenen Jugoslawien mit der geschichtliche Lehre ›aus Auschwitz‹ begründete. Was vom Pazifismus der Gründergeneration übrig blieb, ist die oben zitierte, eilig korrigierte Erkenntnis von Annalena Baerbock.
Ob das grüne Erfolgskonzept ›Atomkraft? Nein danke!‹ linken oder rechten Ursprungs ist, sei als Frage dahingestellt. Immerhin ist dieser Gründungsmythos aus den 1980er Jahren mit der Stilllegung der letzten Kernkraftwerke im April 2023 deutsche Praxis geworden. Gleichwohl, dass die Grünen mit Naturromantik nichts im Sinn haben, beweisen – von den weiter laufenden, CO2 ausstoßenden Kohlekraftwerken abgesehen – die gigantischen Windräder, verankert in enormen Beton/Stahl-Fundamenten, mit denen auch in den letzten deutschen romantisch-lieblichen Gefilden, im hessischen Märchenwald der Brüder Grimm sowie auf den romantisch-herben Hügellandschaften der Uckermark die grüne Energiewende erzwungen wird.
Kann man von Kriegsromantik sprechen, wenn die Grünen um Annalena Baerbock und Katrin Göring-Eckardt, mit Verve assistiert von der FDP-Politikerin Strack-Zimmermann, mehr Waffen für den Sieg der Ukraine über den Aggressor Putin fordern? Nein, denn nicht allein für sie geht es um den bellum iustum, inspiriert von wehrhaftem, westlich wertbewussten Idealismus, getragen von illusionslosem Realismus bezüglich des tief verwurzelten russischen Imperialismus. Die Idee, dass im Ukrainekrieg auch andere Machtinteressen im Spiele sein könnten, weisen die Grünen als Vertreter der reinen Moral als unzulässig ab. Auf Entrüstung reagiert man auf die kühle Neutralität von Vertretern der einstigen ›Dritten Welt‹ und des hierzulande unter türkischen Migranten beliebten Erdogan.
In der Ideengeschichte – und in der historischen Wirklichkeit des Vormärz, maßgeblich in der Welle des Philhellenismus – unterscheiden und überschneiden sich Idealismus und Romantik. An dem noch lange nicht absehbaren Ausgang des Ukrainekrieges wird sich entscheiden, ob unsere grünen deutschen Idealisten nicht auch von romantischen Wunschvorstellungen – Sieg über Putin und Rückgabe aller russisch besetzten Gebiete an die Ukraine – bewegt sind.