von Ulrich Schödlbauer, Renate Solbach und Gunter Weißgerber

Einen Bundestagswahlkampf wie diesen hat die Republik noch nicht gesehen. Von kleineren Plänkeleien abgesehen, beschränkt er sich darauf, den jeweils aktuellen Stand der Umfrageergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und zu diskutieren, bei welcher Partei der Vertrauensentzug der Wähler am deutlichsten zu Buche schlägt und welche Koalitionsmöglichkeiten sich daraus ableiten lassen. Der eine oder andere Kandidat gilt als ›beschädigt‹. Wichtig ist das nicht. Offenbar hat sich in den strategischen Abteilungen der Parteien die Auffassung durchgesetzt, die paar vorhandenen Differenzen beim Wettlauf in den klimaneutralen Ökostaat lohnten ebenso wenig den Aufwand wirklichen Streits wie die Diskussionen einer empörten Öffentlichkeit um Ursachen und Konsequenzen des letzten Hochwassers oder des Afghanistan-Debakels. Soviel falsche Abgeklärtheit am Ende einer Ära war nie.

  1. Fast selbstredend kommt die Realität dieses Landes, der beispiellose Entzug staatsbürgerlicher und persönlicher Rechte zum Zweck der Bekämpfung einer von Tag zu Tag fragwürdiger erscheinenden Pandemie, in diesem Wahlkampf nicht vor. Es sei denn, man nimmt die immer enthemmtere – und medizinisch wie rechtlich fragwürdigere – Züge annehmende Impfkampagne der Bundesregierung und einiger Protagonisten des Wahlkampfes als das, was sie offenbar sein soll: den Offenbarungseid eines hochentwickelten Landes mit einem der teuersten und effizientesten Gesundheitssysteme der Welt, aber ohne die Fähigkeit, mit einem Krankheitsgeschehen fertig zu werden, das sich, rein statistisch gesehen, nach Umfang und Schwere auch nach eineinhalb Jahren noch immer nicht von einem halbwegs normalen Grippegeschehen unterscheidet.

  2. Zu den feststehenden Gewissheiten rationaler Politik sollte gehören, dass eine Krankheit, die sich statistisch kaum aus dem allgemeinen Krankheitsgeschehen heraushebt, einen Fall für das allgemeine Gesundheitssystem darstellt und kein Eingreifen des Staates über die eventuelle Bereitstellung vermehrter Hilfsgelder hinaus erforderlich macht. Jedes direkte Eingreifen des Staates produziert Effekte, die auf eine mehr oder weniger tiefgreifende Störung funktionaler Abläufe hinauslaufen – insbesondere im Gesundheitssektor, aber, wie gesehen, auch weit darüber hinaus. Das ist bekannt und es fragt sich, warum dennoch kein Ende der Maßnahmenflut in Sicht ist, über deren Schädigungspotenzial selbst notorisch Ängstliche inzwischen nur noch den Kopf schütteln: Stichwort Schule. Die heiß diskutierten und wenig zur Anwendung gebrachten Grundsätze der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit sollten in erster Linie auf die Vermeidung von Störeffekten zielen und nicht, wie mancher in die Schlagzeilen geratene Landrat zu glauben scheint, darauf, ob dieser oder jener ›Maßnahme‹ nicht doch ein Quäntchen ›Wirkung‹ abgewonnen werden kann.

  3. Jede zur Bundestagswahl angetretene Partei steht gegenüber den Bürgern in der Pflicht, zu erklären, auf welche Weise sie den Ausstieg aus dem Pandemie-Regime und die Rückkehr zum verfassungsmäßigen Normalzustand plant beziehungsweise bewerkstelligt sehen möchte. Es ist eine schiere Ungeheuerlichkeit der politischen Instanzen wie der regierenden Parteien, an dieser Stelle eine klare Auskunft zu verweigern und damit einem Misstrauen Vorschub zu leisten, das besagt, eine solche Rückkehr sei möglicherweise gar nicht beabsichtigt. Wer die Davoser Erklärungen zum ›Great Reset‹ und die entsprechenden Ausführungen der noch amtierenden deutschen Bundeskanzlerin kennt, der kann sich derartigen Überlegungen nicht völlig verschließen, wohl wissend, dass solch ein gleitender Übergang in den für künftige Aufgabenfelder offenen Maßnahmenstaat die Fundamente des grundgesetzlich fixierten Staatsverständnisses angreift und damit unser aller Freiheit beschädigt.

  4. Als hilfreich erweist sich ein Blick auf die unterschiedliche Praxis demokratischer Länder. Hier zeichnet sich, allen Nebelwürfen zum Trotz, die nahezu vollkommene Irrelevanz der jeweils getroffenen Maßnahmen für das allgemeine Seuchengeschehen ab. Das gilt, zur nicht geringen Überraschung vieler Geimpfter, selbst für den staatlich so überaus forcierten Impfbereich. Vergleicht man die eigenen Statistiken etwa mit denen Schwedens oder Dänemarks auf der einen und Israels auf der anderen Seite, dann liegt der Verdacht nicht fern, dass hier ganz neue Befürchtungshorizonte entstehen und die Erfolge von gestern sich über Nacht in die Sorgenkinder von morgen verwandeln könnten. Eine Regierung, die ihren Bürgern, unbekümmert um Neben- und Spätfolgen, im Abstand weniger Monate regelmäßige ›Auffrischungsimpfungen‹ verordnen möchte und dabei die mangelnde Effizienz der bereits verabreichten verschleiert, zählt sicher nicht zu den Vorbildern einer rechtlich-liberalen Gesundheitspolitik, wie sie seit Jahrzehnten für diesen Teil Europas selbstverständlich gewesen ist. Und das sollte kein Wahlkampfthema sein?

  5. Es ist davon auszugehen, dass viele Behördenmitarbeiter ebenso wie Mediziner in den verschiedensten Bereichen des Gesundheitswesens Bescheid wissen, soll heißen, die Studien und Statistiken kennen, welche die mangelhafte und offenbar rasch nachlassende Effizienz der gegenwärtig angebotenen Impfmittel ebenso ausweisen wie das immense Gefahrenpotenzial im Bereich der Neben- und Spätfolgen insbesondere der mRNA-Wirkstoffe, das von offizieller Seite und in ganz unverantwortlicher Weise von den inzwischen rituell nicht ohne Witz MS-Medien genannten Aufmerksamkeitsmedien heruntergespielt wird. An der Feindseligkeit, die Vertretern dieser Personengruppe entgegenschlägt, sobald sie sich öffentlich äußern, lässt sich der Druck ablesen, der hinter den Kulissen ausgeübt wird, um die Linien der gegenwärtigen Politik geschlossen zu halten. Die Gretchenfrage an alle Parteien und Kandidaten, die sich Hoffnungen auf eine künftige Regierungsbeteiligung machen, muss daher lauten: Wie haltet ihr es mit diesem an der Grenze des Unerträglichen wabernden Konformitätsdruck? Seid ihr bereit, die Stimmen – und Expertise – der vielen Fachleute an den verschiedensten Hebeln des öffentlichen und privaten Lebens endlich in aller Öffentlichkeit, frei von Pranger-Effekten, zur Geltung kommen zu lassen und damit zu den Standards eines gesitteten, von den unterschiedlichsten Kompetenzen seiner Bewohner offen profitierenden Gemeinwesens zurückzukehren? Oder ist es euch – im Umkehrschluss – ernst mit der Reise in den auf Einschüchterung und ›Haltung‹ gegründeten Ideologiestaat?

  6. Wir teilen die Auffassung, dass in allen im Bundestag vertretenen Parteien Politiker anzutreffen sind, die nicht nur nominell auf dem ›Boden‹ des Grundgesetzes stehen, um bei der erstbesten Gelegenheit auf ihm herumzutrampeln oder sich in die Büsche zu schlagen, sobald Gefahr im Verzug ist, sondern seine Werte und Vorgaben tief in sich aufgenommen haben und offensiv selbst gegen Gegner in den eigenen Reihen zu verteidigen bereit sind. Wir denken, es ist an der Zeit, dass diese Politiker an die Öffentlichkeit gehen und vor den Augen und Ohren der Bürgerschaft nachdrücklich Stellung beziehen gegen das wuchernde Unheil des Autoritarismus, unter dessen Regie sich Unmündigkeit und ängstlicher Eskapismus im Lande ausbreiten, vom nachrückenden Fanatismus der – noch – Wenigen zu schweigen. Es sollte eine Binsenweisheit dieses Wahlkampfes sein, dass es eine bruchlose Fortsetzung der Politik dieser Kanzlerin weder geben kann noch geben darf. Wer sie dem Wahlvolk dennoch vorgaukelt, der verspielt vermutlich seine Wahlchancen und darüber hinaus den Anspruch, als demokratischer Politiker weiterhin ernst genommen zu werden.

  7. Wir haben mit offenem Munde Zeuge sein dürfen, wie in der auf den Namen ›Pandemie‹ eingeschworenen Staatskrise Wissenschaft von Anfang an instrumentalisiert wurde, indem das Gehör der Bundesregierung ebenso wie die öffentliche Aufmerksamkeit ausschließlich einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern überlassen wurde, die bereit waren und sind, jeden Zug der Regierung kritiklos mitzutragen beziehungsweise mit ihrer Expertise zu begleiten, während kritische, skeptische oder auch nur ergänzende Stimmen aus den Wissenschaften öffentlich mit Schmähungen überzogen und politisch mit Schweigen übergangen wurden. Wir unterlassen die Aufzählung unappetitlicher Beispiele, um an dieser Stelle lediglich darauf hinzuweisen, dass eine halbierte Wissenschaft nur noch Anspruch auf den Titel einer Scheinwissenschaft erheben kann und dass es eines kultivierten, seiner rationalen Kultur sicher sein müssenden Gemeinwesens unwürdig ist, auch nur einen Tag länger mit solchen Praktiken konfrontiert zu sein. Wir erwarten, dass sich alle im Bundestag vertretenen Parteien vollständig und überzeugend von ihnen distanzieren und in eine offene Auseinandersetzung darüber eintreten, wie solche Entgleisungen in Zukunft auch und gerade auf dem Feld der Klimaforschung effektiv verhindert werden können.

  8. Zu den selbstverständlichen Usancen demokratischer Politik sollte es gehören, sämtliche unter dem ›Diktat‹ der Pandemie vollzogenen Gesetzgebungsakte einer sorgfältigen Revision im Licht der hoffentlich bald wiedergewonnenen institutionellen Freiheiten zu unterziehen. Andernfalls droht hier eines der finstersten Kapitel der bundesdeutschen Verfassungsgeschichte: Hurra-Abstimmungsverhalten, Fensterreden vor leeren Rängen, offene Selbst-Missachtung eines Parlaments, das sich elementarer Prüfungs- und Entscheidungsbefugnisse aus Angst vor einem Virus überschaubarer Gefährlichkeit begibt, schließlich das neugeschaffene Instrumentarium des Seuchen- resp. Hygienestaats sind aufzuarbeitende Tatbestände, die unter den Teppich zu kehren auf Dauer nicht gelingen wird. Wer heute säuselnd verkündet, ›wahrscheinlich‹ sei das Thema Pandemie im kommenden Frühjahr ›gegessen‹, der hat nicht nur ein Wahrhaftigkeitsproblem, sondern bedarf auch einer Portion Extra-Glück, um nicht von den institutionellen und medizinischen Spätfolgen des großen Angstrausches – Stichwort: ADE – eingeholt zu werden. Soviel Glück pflegt selten zu sein.

  9. Es hat sich in der Krise herausgestellt, dass die größte unmittelbare Gefahr für eine funktionierende Demokratie von Medien ausgeht, die ihrem selbstgesetzten Auftrag einer umfassenden, jedenfalls pluralistischen Information nicht länger Genüge tun. Ohne gut unterrichtete Bürger gibt es keine wirkliche Öffentlichkeit, geschweige denn demokratische Alternativen. Das Informationssystem gewisser westlicher Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, ist in den letzten Jahren bis zur Unkenntlichkeit massakriert worden. Es kann nicht hingehen, dass die Kundschaft von ARD und ZDF auf Dauer das neue Tal der Ahnungslosen formt, während die privaten MS-Medien von Journalisten ›bespielt‹ werden, die stolz darauf sind, in ihrer Ausbildung einen Kampfauftrag erhalten zu haben, der lautet: »Hüte deine Schafe! Vernichte die Bösen!«, wobei die Bösen gerade diejenigen sind, die sich ein wenig sorgfältiger informieren und weniger rasch einknicken als das Gros. ›Haltungsjournalismus‹ enthält eine tödliche Gefahr für die Freiheit. Das Problem liegt an und es muss politisch gelöst werden. Es genügt nicht, dass sich einzelne Politiker über die Ungunst der Medien beklagen, während andere lächelnd darüber hinweggehen. Dafür werden sie nicht gewählt. Demokratische Politik ist kontrovers. Das setzt voraus, dass Kontroversen stattfinden. Öffentlich. Selbst zu Wahlkampfzeiten.