von Herbert Ammon
I.
Um jeglichem Verdacht zuvorzukommen: Ich verfüge über eine preiswerte Packung von hellblauen Anti-Corona-Masken ich trage meine Auswahl von Masken außer Hauses bei jeder gebotenen Gelegenheit. Auch habe ich mich bisher jeglichen Kommentars zu Corona, genauer: zu den wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aspekten der Covid-19-Pandemie enthalten. Wenn ich mich der Parteinahme im Streit der medizinischen Experten entziehe, heißt das nicht, dass ich zu den ›Corona-Leugnern‹ gehöre, im Gegenteil: Das Virus könnte ja auch mich erwischen, und wer garantiert mir dann einen milden Krankheitsverlauf, was bewahrt mich vor künstlichem Koma samt Intubation? Nein, ich hoffe zusammen mit allen Mitmenschen (m/w/d: Politiker, Mediziner, freiberufliche Künstler/innen, Gastronomen und Kneipenpächter, Inhaber von Spätis, Pastorinnen, Pflegekräfte usw.) auf den möglichst schnellen - und sozial gerechten: the elderly first – Einsatz des in Mainz von deutschen (deutsch-türkischen) Wissenschaftlern (m/w) erfundenen Impstoffes.
In meiner weiteren Verwandtschaft steht eine ganze Familie unter Qurantäne, seit ein Kind das Virus aus der Schule importierte. Der übel infizierte Vater (sc. parent I ou parent II ?), seit langem im home office, hat die Sache inzwischen anscheinend überstanden, klagte aber über noch länger anhaltende Beschwerden. Ärger dringt aus anderen Teilen der Familenbande: Die Kita ist geschlossen, seit ein kid als infiziert identifiziert wurde, in der Schule gibt´s keinen klaren Unterrichtsplan, der eine Lehrer macht sich´s mit Internet-Materialien bequem, die andere Lehrerin (oder gendergerecht v.v.) übermittelt präzise Unterlagen und Arbeitsanweisungen. Immerhin sind verminderte Sozialkontakte zu Zwecken von Sport und Spiel für die Kleinen noch erlaubt, für die Eltern und die Alten dagegen gar nicht.
In Berlin dürfen sich nur noch zwei Haushalte, in toto fünf Personen, privat treffen. Ansonsten herrscht – Problembezirke ausgenommen – der totale Lockdown/Shutdown. Das konviviale Adventssingen im Zehlendorfer ›Kohlenkeller‹, bei dem man alljährlich alte Freunde und Bekannte wiedersah (oder vermisste), fällt dieses Jahr aus. Weihnachten, das in der Postmoderne ohnehin zweifelhafte Fest der Familie, findet anno 2020, d.h. ca. 2024 p.Ch.n., nur noch in der reaktionären Kleinfamilie oder bei den Alleinerziehern statt. Den adventlichen Segen dazu gibt die Ex-Bischöfin und einstige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, die den Christinnen und Christen erklärt hat, dass in Bethlehems Stall ja auch kein Festessen mit Gänsebraten und Kindertrubel um den deutschen (pardon: elsässischen) Weihnachtsbaum stattfand. Die deutsche Corona-Einschränkung entspricht demnach den Maßgaben (›framing‹) der westlichen Kulturwissenschaften, wo jegliche, irgendwann erfundene Tradition sowie das binäre Geschlecht (Maria und Josef) nachhaltig dekonstruiert werden.
II.
Die Regierung beruhigt uns, der Einbruch der Wirtschaft sei auch während der derzeitigen zweiten Virus-Welle und des zweiten Lockdowns nicht so schlimm wie weithin befürchtet. Das Volk soll sich nicht ängstigen. Richtig. Die Regierung verfügt über hinreichend digital erzeugte Riesensummen, um die Verluste des Mittelstandes, der privaten Dienstleistungsunternehmen und der Freiberufler abzumildern. Die Beglückung wird nicht von Dauer sein. Leider gibt es schon ein paar Selbstmorde von pleitegegangenen Selbständigen. Dennoch: Es heißt durchhalten.
Zu unser aller Glück kommen gute Nachrichten aus den USA. Corona hat den Rüpel, Reaktionär und Twitter-Helden Donald Trump die Wiederwahl gekostet. Der zieht zwar noch immer wegen der ›gestohlenen Wahl‹ vor Gericht, ist aber mittlerweile bereit, das Weiße Haus für Joe Biden zu räumen. Mehr noch: die amerikanische Wirtschaft wächst trotz Lockdown, der Dow-Jones-Index erreicht unerhörte Höhen, ohne dass Trump davon noch hätte profitieren können.
Ganz Deutschland freut sich auf die Rückkehr der liberalen Internationalisten. Gut, man wird sehen, wie lange die Freude anhält, sobald auch Bidens angekündigter multilateraler Ansatz in der Außenpolitik gewisse politisch-wirtschaftliche Einseitigkeiten erkennen lässt. Wie geht die Geschichte weiter in Asien, wie die Rivalität der USA mit der neuen Weltmacht China? Wie gedenken die Protagonisten des liberal establishment den Krieg in und um Syrien zu beenden, wie wollen sie zu einem neuen Nuklear-Abkommen mit den Mullahs im Iran kommen? Wie stellen sie sich ihr Verhältnis zu Putin vor, wie zur Ukraine, zu Georgien, zu Armenien, und wie zu Erdogan? Wie zu Deutschland, zu Europa? Mit welchem Nachdruck wird man die Bundesrepublik – wie schon unter Trump – drängen, höhere Militär- und Rüstungskosten zu übernehmen und auf die Vollendung von Nordstream II zu verzichten?
III.
Derlei unbequeme Fragen kann die politische Klasse in Berlin erst einmal ausblenden. Dank Corona. Denn noch hat Covid-19 das Land im Griff, womöglich bis ins kommende Frühjahr. Zudem hat die Pandemie etwas hervorgebracht, was im Sinne der demokratischen Gesundheit als Seuche zu behandeln ist: die rechte Gefahr. Latent im Untergrund, will heißen ›in der Mitte der Gesellschaft‹, stets vorhanden, wurde sie anno 2020 im Internet, auf den Straßen und auf den Stufen des Reichstags wieder mal manifest. Angeführt von selbstberufenen ›Querdenkern‹, versammelte sich auf den Demonstrationen buntes Volk: brave Bürger, denen die Einschränkungen im Alltag auf die Nerven gehen, andere, die um ihre wirtschaftliche und berufliche Existenz fürchten, viele Naive, dazu eine Menge Partysüchtiger und eine beachtliche Anzahl von Spinnern, Impfgegnern, Friedensfreunden, Reichsbürgern und ›Rechten‹ aller Art.
Die Demokratinnen und Demokraten in diesem Lande können zufrieden sein: Auf die ›Rechten‹ ist Verlass. Sie verstehen, ihre Präsenz stets wirkungsvoll zu inszenieren, hauptsächlich durch das Schwenken schwarz-weiß-roter Reichsfahnen. Einige bevorzugen allerdings Schwarz-Rot-Gold. Zur Erläuterung: Es handelt sich dabei nicht um den demokratischen Dreifarb von1848, sondern um die von der Antifa und anderen engagierten DemokratInnen verpönte Deutschlandfahne. Mehr noch: Der Ober-Querdenker aus Stuttgart hat inzwischen einen Kontakt mit einem Vertreter der entsprechenden Szene eingeräumt.
Es bleibt somit abzuwarten, ob derlei ideologisch infektiöse Berührung das Protestvolk bis ins Frühjahr von weiteren Aktionen abschreckt. Damit hätte die größtkoalitionär gestützte Regierung im Kampf gegen Corona ihr wichtigstes Ziel erreicht: Im Land herrschte wieder Ruhe, der Kampf gegen den Rechtsextremismus hätte wieder höchste Priorität. Zur Verhinderung der Machtergreifung hat man noch vor Advent schon mal mehr als eine Milliarde flüssig gemacht.
Die Maßnahmen zum Sieg über die Pandemie wurden vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen. Man könnte – im Vergleich zum état d´urgence in Camus' Roman Die Pest – die intensivierte und terminlich unbefristete Erneuerung des Corona-Lockdown als eine Art gemäßigten Ausnahmezustandes bezeichnen. Dass ›Die Linke‹ und die FDP dagegen stimmten, tut nichts zur Sache. Der Ernst der Lage in Zeiten Coronas wird daran ersichtlich, dass die AfD mit Klamauk ihre Gegnerschaft zur Gesundheit der Bundesrepublik bekundete.