von Gunter Weißgerber

« Le droit de dire et d’imprimer ce que nous pensons est le droit de tout homme libre, dont on ne saurait le priver sans exercer la tyrannie la plus odieuse. Ce privilège nous est ... essentiel ... ; et il serait déplaisant que ceux en qui réside la souveraineté ne pussent pas dire leur avis par écrit. » Quelle: Questions sur les miracles (Voltaire)

»Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht kommt uns von Grund auf zu; und es wäre abscheulich, dass jene, bei denen die Souveränität liegt, ihre Meinung nicht schriftlich sagen dürften.« (Voltaire)

07. Februar 2019
An die Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Regionalgeschäftsstelle Nordwest
Richard-Lipinski-Haus
Rosa-Luxemburg-Straße 19/21
04103 Leipzig


Das Maß ist voll! Ich trete aus der SPD aus

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 6. Februar 2019 zerstörte die SPD für mich den letzten verbliebenen ihrer früheren Grundsätze und wechselte endgültig auf die Seite derer, die die Freiheit nur für sich selbst beanspruchen und ihre Kritiker repressiv behandeln.

Am 4. Februar 2019 erschien in Tichys Einblick ein gut recherchierter Artikel über die Medienmacht der SPD: Zeitungen, auf die die SPD heimlich und indirekt Einfluss nimmt / Wie SPD in die Zeitungen kommt. Die fundierte Meinungsäußerung gefiel der SPD nicht. Das ist aus SPD-Sicht nachvollziehbar. Kritik gefällt niemandem wirklich.

Am 06. Februar 2019 schrieb Roland Tichy in seinem Blog Tichys Einblick (TE):
»Dieser Artikel wird um 14.00 gelöscht. TE verfügt nicht über die Ressourcen, um mit diesem machtvollen Gegner presserechtliche Auseinandersetzungen zu führen. Pressefreiheit ist die Freiheit sehr reicher Organisationen und Personen.«

Unter der Überschrift Pressemacht in Deutschland. Es muss gelöscht werden legte die Redaktion seither nach:

»Wir bitten Sie um Verständnis für unsere Entscheidung. Die Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 sehr reichen Leuten, hat der frühere FAZ-Herausgeber Paul Sethe in den 50er-Jahren formuliert. Daraus sind starke Konzerne und mächtige Verbünde entstanden. Sie bekämpfen jeden, der mit Hilfe der neuen Medien Nachrichten in Umlauf setzt, die ihnen nicht gefallen oder ihre Wahlchancen reduzieren könnten. Um diese Macht im Verborgenen geht es. Sie hat noch einmal einen Triumph erfahren. Wir bitten ebenfalls um Verständnis, dass das Presserecht uns auch verbietet, über den Sachverhalt detailliert zu berichten oder öffentlich Stellung zu beziehen. Meine Bitte an Sie: Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen berichtet. Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Wir sind gezwungen, der Macht aus dem Weg zu gehen.«

Bisher verteidigte auch ich die SPD und ihre Medienbeteiligungen vor dem Hintergrund der SPD-Verbotsgeschichte in Kaiserreich, NS-Staat und DDR. Die SPD besaß zudem über mehr als ein Jahrhundert keine Gönner in der Wirtschaft und musste sich selbst finanzieren. Prof. Uwe Danker legt die Problematik ausführlich in 140 JAHRE GESCHICHTE: Schlaglichter auf die unternehmerische Tätigkeit der SPD (Website der ddvg) dar.

Bisher nahm die SPD den öffentlichen Diskurs über ihre Medienmacht immer an und stritt mit Argumenten für ihre Positionen. Das ist mit dem Löschen des Tichy-Artikels Geschichte!

Die SPD war lange Zeit eine Partei der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, des »allgemeinen, gleichen, geheimen und unmittelbaren« Wahlrechts,  der Gewaltenteilung, des antitotalitären Grundkonsenses, des Wissenschafts-, Industrie- und Wirtschaftsstandortes Deutschland, der europäischen Idee gleichberechtigter Partner und der Verankerung in der transatlantischen Wertegemeinschaft. Die SPD war immer die Partei der Facharbeiter, Ingenieure, Klein- und Mittelständler, auch der sozial engagierten sehr Erfolgreichen, kurz eine Partei der Leistungswilligen, eine Partei des »Förderns und Forderns«. Der Schutz Israels als einziger Demokratie im Nahen Osten gehörte ebenso zu den glaubwürdigen Anliegen der deutschen Sozialdemokratie. Israel schützt jegliche Religionssausübung, in den Nachbarländern Israels wird jüdisches Leben staatlich verfolgt. Das hat die SPD nahezu komplett vergessen. Ich mag mich für die heutige SPD nicht mehr schämen müssen.

In dieser Woche verletzte die SPD nun auch für mich eklatant das Recht auf die Meinungsfreiheit. Vorige Woche gab die SPD-Justizministerin öffentlich kund, das Wahlrecht verbiegen zu wollen. Mit den Wahnvorstellungen aus der Umgebung Nahles, die Antifa für die SPD gewinnen zu wollen, wurde der antitotalitäre Konsens endgültig verlassen. Was für eine Enttäuschung!

Spätestens mit der sogenannten Energiewende zeigte die SPD, was sie tatsächlich vom Energiestandort Deutschlands und seinen Arbeitnehmern hält: nichts. Nicht einmal die Energiekosten begreift die SPD als brennende soziale Frage. Im Gegenteil! Die SPD-Umweltministerin ist beständig bestrebt, die Kosten unnachgiebig in die Höhe zu treiben. War die SPD vormals stolz auf ihre Politik des sozialen Ausgleichs mit Augenmaß, so ist die heutige SPD eine der wichtigsten Vorantreiber der Umverteilung von unten nach oben – zur grünen Schickeria.

Die SPD macht sich hauptschuldig an der Zerstörung des Automobilstandortes Deutschland. Hieß es vor zwei Jahrzehnten in den Diskussionen um Lohnerhöhungen noch »Autos kaufen keine Autos«, um notwendige Einkommenserhöhungen volkswirtschaftlich zu begründen, so steht die SPD heute für »Keine Autos können nicht gekauft werden und die Arbeitsplätze sind uns egal. Die individuelle Mobilität als Freiheit aller Bürger ist uns, der SPD, ein Dorn im Auge!« Ganz im Stil von Ulbricht und Honecker, die meinten »Der Sozialismus braucht Busse und Straßenbahnen, keine Autos«. Eine repressive Anmaßung, die auch ein Grund für die Friedliche Revolution 1989 war. Macht nur weiter so.

Nach 1990 war der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit eine tägliche Notwendigkeit. Keinem Politiker, erst recht keinem Sozialdemokraten, wäre es eingefallen, ganze Industriezweige zum Tode zu verurteilen, diesen geradezu planvoll herbeizuführen.
Es ist die SPD, die sich dreißig Jahre später nach Kräften bemüht, funktionierende Industrien wie z. B. den Kohlebergbau, strategisch zu vernichten.

Der Atomenergiestandort Deutschland mit seinem vormaligen Wissenschafts- und Technologievorsprung liegt bereits auf dem Altar der Sozialdemokratie, nun kommt der Braunkohlebergbau dazu.

Es wird keine Versorgungssicherheit allein mit Sonne, Wind und Wasser geben können. Geschweige denn die neuen werteschaffenden Arbeitsplätze, die als Ersatz benötigt werden. Planwirtschaft funktioniert nicht.

Auch an der schwierigen Situation der Europäischen Union trägt die SPD massive Mitschuld. Die Solidarität der Partner einfordern und gleichzeitig deren Positionen abbügeln, das musste zum Brexit und muss zu schwersten Verstimmungen führen.

Wie die SPD mit den Balten, Polen, überhaupt mit den Mittelosteuropäern umgeht, das gereicht ihr nicht nur zur Schande, es stärkt die Zentrifugalkräfte innerhalb der Union. Zu Freude und Nutzen der Konkurrenz aus Übersee und Asien.

Die SPD des Jahres 2019 entledigt sich mit Eifer ihrer bisherigen Wähler und vieler ihrer bisherigen Mitglieder. Zu denen ich jetzt auch gehöre.

Ich trete mit heutigem Datum 07. Februar 2019 aus der SPD aus und ziehe meine Beitragseinzugsermächtigung mit sofortiger Wirkung zurück.

Die augenscheinliche Verletzung der Meinungsfreiheit durch die SPD ist dabei nur der letzte, besonders schwerwiegende Auslöser. Wo »SPD« draufsteht, ist heute so etwas wie »SED ohne Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl« drin. Ich wünsche eine gute Reise.

Meinen vielen Mitstreitern, Unterstützern und Helfern über mehr als zwei Jahrzehnte danke ich. Trösten wir uns, Politik ist nicht alles im Leben und Parteimitgliedschaften kannten die meisten von uns vor 1989 auch nicht. Man sieht sich.

Gunter Weißgerber
SDP/SPD-Mitglied 1989/2019

 

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.