Herbert Ammon

Zuweilen geschehen noch Wunder, zumindest für unsereinen, der nicht in den Rat der Götter, auf den demokratischen Olymp, in die Säle des Bundestags (im Reichstag) berufen ist. Keiner von uns Passivbürgern, sprich Demokratinnen und Demokraten, konnte ahnen, was sich am Nachmittag des 25. Septembers 2018 in der Fraktionssitzung der CDU abspielen würde: der Sturz Volker Kauders, des Keulenträgers der ewigen Kanzlerin.

Am Morgen noch war der Zeitung das jüngste Beispiel ihrer Regierungs- und Sprachkunst zu entnehmen, in dem es um die Abwicklung des Falles Maaßen – wen kümmern noch ein Toter, zwei Schwerverletzte und die Fakten in Chemnitz? – sowie die Rettung der Großen Koalition ging. Merkel übte Selbstkritik – zum ersten Mal, zumindest in ihrer bundesrepublikanischen Karriere. Sie habe sich »im Zusammenhang mit der Entscheidung vom Dienstag (sc. die Wegbeförderung Maaßens in das von einem SPD-Genossen besetzte Amt eines höher besoldeten Staatssekretärs) mit der Funktionalität und den Abläufen im Bundesinnenministerium beschäftigt, aber zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt, wenn sie von der Beförderung hören.« Merkel, einst als ›Mutti‹ bekannt, kümmert sich bekanntlich – seit ihrer am Wahlabend 2005 geglückten Machtübernahme – von früh bis spät um »die Menschen« in ihrem Lande. Deshalb weiter: Nach der Bundestagswahl »vor einem Jahr« , als »wir (sic!) ein schwieriges Wahlergebnis erhalten (haben)«, hat es mit der Regierungsbildung aufgrund »der großen Herausforderungen« leider etwas länger gedauert. »Und um so wichtiger ist es natürlich, dass wir jetzt die Probleme der Menschen lösen.«

Dann sprach Merkel über die »ausgesprochen fordernden Zeiten«, in denen »wir leben«, »wenn ich allein an den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union denke, wenn ich an die Sorgen vieler Menschen denke, ich hab das Thema Auto genannt...« Bei soviel Selbstkritik – zu DDR-Zeiten gelernt ist gelernt – käme Merkel nie in den Sinn, dass der Brexit etwas mit ihrer Grenzöffnung 2015 zu tun haben könnte oder dass ›die Menschen‹ auch andere Sorgen als die Diesel-Schadstoffe haben könnten. (»Wir haben dann übers Wochenende zu dritt sehr viel nachgedacht«: Merkels Erklärung, in: FAZ v. 25.09.2018, S.2).

Seit dem Spätnachmittag des denkwürdigen 25. September hat Merkel andere Sorgen, abzulesen an ihrer verkniffenen Miene nach der von niemandem erwarteten Wahl des Westfalen Brinkhaus zum neuen Party-Whip der CDU/CSU. Wie lange noch lächelt ihr Fortuna beim prinzipienlos grün-merkelistischen Spiel mit der Macht?

Von heute an dürfen auch wir hoffen und spekulieren: Wie lange noch hält sie die Macht in ihren Händen, wann erhebt sich ein Cicero innerhalb der CDU und schleudert Merkel die Frage entgegen: ›Quo usque tandem...?‹ Noch wäre es allerdings zu früh zu jubilieren, denn ein Sturz der Kanzlerin wäre nur unter folgenden Voraussetzungen denkbar: a) Die SPD kündigt die Koalition auf und fordert – parallel zu Christian Lindners FDP – Neuwahlen; b) die Strippenzieher der Großen Koalition einigen sich auf eine Fortsetzung des alten Spiels mit neuen Personen (eher unwahrscheinlich); c) Hinter den Kulissen wird – seitens der CDU/CSU auch im Blick auf bevorstehende Landtagswahl in Bayern – bereits über ›Jamaika‹ verhandelt. Das wäre das worst case scenario, aber: in der Liebe, im Himmel und in der Politik ist nichts unmöglich. Eine solche Spekulation setzte voraus, dass sich die – bislang in geheimer Abstimmung verborgenen – Merkel-Gegner mit ihren prospektiven Jamaika-Koalitonären auf einen oder eine (Kramp Karrenbauer?) Merkel-Nachfolger(in) einigen könnten. Allein: Würde dadurch alles besser? Ist es nach allem, was in der Ära Merkel passiert ist, nicht längst für einen Kurswechsel in Fragen ›Migration als Mutter aller Fragen‹ resp. Integration und Demografie bereits zu spät?

Wir wollen das Spiel ›Wann und wie geht die Ära Angela Merkel zu Ende?‹ nicht weiter fortsetzen. Wir müssen uns noch in Geduld üben, mindestens bis zu den Bayern-Wahlen. Und bis dahin – und mutmaßlich danach – wird das alte Spiel mit verschärftem Einsatz fortgesetzt. Danach ist vieles möglich, womöglich der Machtwechsel zu Schwarz-Grün (jedenfalls solange es zu Rot-Rot-Grün auf Bundesebene nicht reicht.)

Zu dem allenthalben ersehnten Ende der Merkelei schreibt Andrea Seibel in der Welt:

»Nicht nur die Kanzlerin glaubte, ihr schmallippiger Stil sei optimale Führung. Sie hatte bessere Tage. Schon länger sind diese gezählt. Das weiß sie. Und sie ahnt auch, dass ihr Abgang unschön werden wird. Sie braucht noch etwas Zeit, dies zu begreifen. Es ist gestundete Zeit.« Was den Umgang mit der Macht betrifft, so hatte Merkel in ihren dreizehn Regierungsjahren in der Tat ›bessere Tage‹. Aber für das Land, das sie noch immer regiert, waren es verlorene Jahre. Wenn Historiker dereinst über die Ära Merkel richten, wird das Urteil vernichtend sein.

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