von Herbert Ammon

Innerhalb eines Jahres – von 2016 auf 2017 – stieg der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik Deutschland um 4.4 Prozent an, von 18,4 Millionen auf 23,6 Millionen. Diese Angaben sind einem Artikel in der FAZ zu entnehmen (Peter-Philipp Schmitt: »Familie als Hauptmotiv«, in: FAZ v. 07.07.2018, S.8), der sich auf den soeben vorgelegten Bericht des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden bezieht. Der Jahresbericht des Bundesamtes basiert auf einem Mikrozensus, einer Datenerhebung von etwa einem Prozent der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik, bei 81,7 Millionen also etwa 820 000 Personen.

Die Befragung anhand von Stichproben zielte auf ein repräsentatives Gesamtbild der deutschen Gesellschaft. Es wurden nicht nur Privathaushalte befragt, sondern auch in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachte Asylbewerber und Asylberechtigte, sprich die hauptsächlich nach Merkels Grenzöffnung im September 2015 nach Deutschland Immigrierten.

Gemäß dieser journalistischen Aufbereitung der Statistik hat derzeit rund ein Viertel der Bevölkerung (23,6 Millionen) einen ›Migrationshintergrund‹. Davon wird wiederum knapp die Hälfte als Ausländer klassifiziert, d.h. als Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die andere Hälfte sind deutsche Staatsbürger. In dem zitierten Artikel heißt es weiter: »Rund 2,8 Millionen hatten 2017 türkische Wurzeln, 2.1 Millionen polnische, 1,4 Millionen russische, 1,2. Millionen kasachische und 0,9 Millionen rumänische Wurzeln. Rund 13,2 Millionen der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sind selbst zugewandert, unter ihnen 641 000 Syrer, 199 000 Iraker, 186 000 Afghanen, 162 000 Iraner, 113 000 aus Nordafrika.« Weiter unten erfahren wir, dass 856 000 |»afrikanische Wurzeln« hätten, 4,2 Millionen kämen aus Asien, eine halbe Million habe »amerikanische Wurzeln«.

Was ist aus derlei Informationen zu erschließen? Immerhin widerlegen sie die Behauptung, die seinerzeit Kanzlerin Merkel zur Rechtfertigung der – keineswegs aus hochmoralischen Gründen erfolgten – Grenzöffnung 2015 vorgebracht hatte: ›Wir sind 80 Millionen‹, womit sie die Integration von 1,5 Millionen Immigranten aus Nahost zu einer demographischen Bagatelle erklärte. Nein, ›wir‹ sind gemäß obiger Zahlen offenbar ein Viertel weniger. In dem zitierten FAZ-Artikel fehlen Zahlen über die von Jahr zur Jahr zunehmende Auswanderung von Deutschen – sie erreichte im Jahre 2016 mit über 280 000 einen neuen Höchststand –, welche die Problematik ›unserer‹ Einwanderungsgesellschaft akzentuieren. (Dazu: Marcel Leubecher: https://www.welt.de/politik/deutschland/article174502114/Zu-und-Abwanderungen-Immer-mehr-Deutsche-verlassen-das-Land.html)

Ein genaueres Bild gewinnt man bei direktem Zugriff auf die Internetseite des Wiesbadener Bundesamts. Dort wird der ›ausländische‹ Bevölkerungsanteil mit 10,6 Millionen beziffert, der Eintrag für ›mit Migrationshintergrund‹ beträgt 19,3 Millionen (Stand: September 2017). Vor allem gibt die dortige Statistik Aufschluss über einen zentralen Aspekt der Demographie des Landes, i.e. den Altersaufbau. In den vier Altersgruppen bis zu 15 Jahre haben mehr als ein Drittel einen Migrationshintergrund, mit ansteigender Tendenz. (https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/MigrationIntegration/Migrationshintergrund/Tabellen/MigrationshintergrundAlter.html)

Die statistischen Zahlen sind kartographisch in den westlichen Bundesländern abzulesen, sie treten in den Kitas und Schulen westdeutscher Großstädte zutage. (Adnote: Kennzeichnend für den politischen Umgang mit dieser offenbar unumkehrbaren Tendenz ist die die Äußerung der einstigen Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John, die einheimisch deutsche Bevölkerung in den Städten solle sich nicht besorgen, inmitten einer buntgemischten Bevölkerung zur Minderheit zu werden. Es würden sich über die vielfach zerstrittenen Gruppen hinweg neue politische Allianzen bilden. Und: »Für den wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg lässt sich nicht mehr allein die einheimische Mehrheit verantwortlich machen, sondern die gesamte Gesellschaft. So wird vieles anders und manches auch besser.« (https://www.tagesspiegel.de/politik/migration-wenn-die-einheimischen-auf-einmal-in-der-minderheit-sind/22881050.html)

Selbst wenn die Frage in den herrschenden Diskursen tabuisiert ist, so ist sie als zentrales Zukunftsthema – im Hinblick auf Schlüsselfragen nach Kultur, Religion und Politik, nach Demographie und Demokratie, nach ›Vielfalt‹ und ›Integration‹ – nicht wegzudiskutieren: Wer ist ›Wir‹? Wen meinte Merkel mit ihrer lockeren Zahlenangabe? Alle ›die schon länger hier leben‹ – im taz-Jargon die ›Biodeutschen‹ – oder alle, die in der Zahl inbegriffen sind, d.h. die, die in letzter Zeit ›zu uns gekommen sind‹?

Nur auf den ersten Blick geben die zitierten Daten für 2017 darüber Aufschluss. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich – ein wesentlich komplexeres Bild. Zum einen stiften die Ziffern bezüglich des ›Migrationshintergrunds‹ Unklarheit, indem sie die Migranten nach den Staaten ihrer Herkunft kategorisieren. Bei Zuwanderern aus Russland und Kasachstan handelt es sich offensichtlich zum größten Teil um Menschen mit deutschen ›Wurzeln‹, eben jene die in den 1990er Jahren aus der zerfallenen Sowjetunion in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehrten. Dass in jenen Jahren gewisse Schwierigkeiten – nicht nur sprachliche Anpassungsprobleme – zu verzeichnen waren, ist bekannt. Bedeutsamer für die Gegenwart ist indes das Faktum, dass die über zweieinhalb Millionen Russlanddeutschen – einschließlich ihrer russischen Verwandten – inzwischen exemplarisch für gelungene Integration einer Bevölkerungsgruppe stehen. (S. dazu Martin Esser: https://www.theeuropean.de/hans-martin-esser/14464-deine-fluechtlinge-meine-fluechtlinge).

Ähnliches gilt für die aus Polen Stammenden (teilweise als Spätaussiedler aus den einstigen deutschen Ostgebieten), allgemein für fast alle der aus EU-Ländern nach Deutschland Eingewanderten. Irreführend sind hingegen die Daten bezüglich der mit 900 000 bezifferten Zuwanderung aus Rumänien, abzulesen an den permanenten Klagen der Kommunen über spezifische – nicht schlichtweg auf Diskriminierung zurückzuführende – Verhaltensweisen.

Hinsichtlich der gegenwärtig und in Zukunft wichtigsten Frage: Wie steht es mit der Integration bzw. Integrationsbereitschaft der unterschiedlichen, unvermindert anwachsenden Migrantengruppen gibt die Statistik des Bundesamtes keine Auskunft. Dem Problem wäre näherzukommen, wenn die Statistiker nicht nur Fragen nach Arbeits- und Familienverhältnissen, sondern auch nach Religion und ethnischer – nicht staatlicher – Herkunft sowie politischen Loyalitäten gestellt hätten. Dies gilt etwa hinsichtlich der aus der Türkei stammenden, größten Bevölkerungsgruppe ›mit Migrationshintergrund‹: Wieviele betrachten sich als säkulare Muslime, wieviele als gläubige Sunniten bzw. Schiiten, wer zählt zu den – als säkular geltenden – Alewiten? Wieviele der ›Menschen mit türkischen Wurzeln‹ sind Kurden (mit wiederum unterschiedlichen politischen und religiösen Orientierungen) usw.

Was die Integration von Muslimen betrifft, so hat Aiman Mazyek,Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, unlängst erklärt, es gebe weder einen liberalen noch einen konservativen Islam, sondern nur einen Islam. Zugleich betonte Mazyek anlässlich einer Gedenkfeier in Auschwitz, »als Deutsche und Muslime haben wir gegenüber der deutschen Geschichte eine Verantwortung. Der stellen wir uns.« (Newsnational vom 03.08.2018, http://islam.de/30153) Ganz abgesehen davon, dass der viel zitierte Zentralrat nur eine kleine Minderheit der Muslime vertritt, erscheint diese Aussage angesichts der gesellschaftlichen Realität fragwürdig. Die Bereitschaft, die Bürde der deutschen Geschichte aufzunehmen, dürfte bei der großen Mehrheit der Einwanderer gering sein.

Dass Statistiken die Wirklichkeit verfehlen, ist an den von der Bundesregierung veröffentlichten Daten zu antisemitischen Straftaten im ersten Halbjahr 2018 abzulesen. Demnach gingen 349 der 401 erfassten Straftaten, also 87 Prozent, auf das Konto von Rechtsradikalen, nur 21 Delikte seien auf Hass von Migranten und/oder Islamisten zurückzuführen. Dazu schreibt Ruth Steiner in einem Leserbrief: »Nach meiner eigenen Erfahrung als Jüdin und nach der Erfahrung meines jüdischen Bekanntenkreises hätte ich eher ein umgekehrtes Verhältnis erwartet. […] Wie ist eine Statistik möglich, die aller Erfahrung widerspricht? Die Bundesregierung hat seit dem Jahr 2015, unterstützt von den öffentlich-rechtlichen Medien, eine muslimische Masseneinwanderung zugelassen. Vielen der Menschen, die jetzt zu uns gekommen sind, wurde seit ihrer Kindheit Hass auf Israel und Hass auf Juden eingeimpft.« Zweifel an den Zahlen für 2017 meldete im Februar 2018 der Historiker Michael Wolfssohn an. Er sprach gar von Lüge. (»Eine Statistik, die aller Erfahrung widerspricht«, in: FAZ v. 14.08.2018, S.6.)

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