von Gunter Weißgerber

Über Jahrzehnte waren Wahlergebnisse nahe und über 40 Prozent der SPD-Normalfall. Zum Nutzen der Bundesrepublik in Europa, zum Nutzen der NATO und zum Nutzen dieser Welt. Martin Schulz ist aufgebrochen, diesen Normalfall wieder herzustellen. Ich wünsche ihm das Glück des Tüchtigen und viel Erfolg. Diese Republik braucht Stabilität innen, in der EU, in der NATO, in der Welt.

Ich traue Martin Schulz zu, diese großen Räder mit Leidenschaft und Augenmaß drehen zu können. Geht er diesen Weg, wird ihm die SPD folgen müssen. Das ist in der Tat alternativlos – zumindest für die deutsche Sozialdemokratie. Zusätzlich Ränder abschmelzen, das ist ebenfalls aller Mühen wert.

Der SPD-Spitzenkandidat setzte mit Gerechtigkeit unter freiheitlichen Bedingungen und innerer Sicherheit SPD-Kernthemen auf die Wahlkampfagenda. Ein drittes Kernthema, die Europäische Union, brachte er sogleich in personam mit ein.

Kein anderer verkörperte wie er in den letzten Jahren die Europäische Union sowohl in ihren guten als auch in ihren schlechten Tagen. Die guten Tage scheinen dabei zu überwiegen, anders ist sein Hype nicht zu erklären. Der Europäer Schulz, so scheint es, ist kein Malus, sondern ein Bonus für die SPD. Und das nicht nur bei der kreativen Jugend Europas, die das binnengrenzenlose Europa und die gemeinsame Währung als intellektuelles Faustpfand in die Zukunft inzwischen genetisch aufgenommen zu haben scheint.

Da Martin Schulz zusätzlich nicht die Merkelsche Ahnungs- und Hilflosigkeit zu Beginn der Völkerwanderung des Jahres 2015 verkörpert, punktet er auch bei den Älteren, die den Wert Europas ebenso bewundern.

Kritik an den Missständen, derer gibt es leider viele, führt nicht zum Totalverriss der Europäischen Idee. Das beweist des Schulzens Hype, jedenfalls für mich.

Wahlkämpfe müssen die Bevölkerung nicht einlullen. Diese scheinbar übliche Praxis ist kein Wahlkampfnaturgesetz. Der Bundestagswahlkampf 2017 bietet der SPD eine große Chance der generellen Aufklärung. Nämlich aufzuklären über den Zusammenhang zwischen Freiheit, Sicherheit und der Diskussion über Gerechtigkeit. Die SPD muss die Gerechtigkeitsfrage deutlich in das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit einbetten. Und zwar zuerst! Denn: Gerechtigkeit ohne Freiheit und Sicherheit ist die Verwahrung von Untertanen unter den Bedingungen von Gefängnisdienstvorschriften. So war es in der DDR und so versteht die Linksaußenpartei noch immer ihre Gerechtigkeit und hält sich dabei an Mark Twain: »Das Problem mit ›der Linken‹ ist, dass die meisten aus Hass gegen die Reichen Kommunisten geworden sind und nicht aus Liebe zu den Armen.« Allein dies ist ein Grund, nicht auf Rot-Blutrot-Grün zu setzen!

Der nächste Grund, nicht auf Linksaußen zu setzen, ist die Gerechtigkeitsfrage in Europa. Linksaußen torpediert die EU auf AfD-Art, wo es den Wagenbartschs in den Kram passt. Im Zweifel hilft Linksaußen dabei auch noch das Abstreiten der Notwendigkeit, die EU-Außengrenzen zu sichern.

Die Gerechtigkeitsfrage kann aber nur innerhalb eines freien und sicheren Raumes glaubwürdig diskutiert werden. Weil jeder Sozialstaat – und sei es eine Staatengemeinschaft – an unbegrenzter und unkontrollierter Einwanderung über kurz oder lang in die Knie gehen würde. Für Linksaußen wäre das auf die Bundesrepublik und die EU bezogen eine willkommene Entwicklung. Putins Demokratur von Lissabon bis Wladiwostok hat man dort ohnehin lieber.

Damit bin ich beim dritten Aspekt der Gerechtigkeitsfrage, die zwischen Freiheit und Sicherheit eingebettet sein muss – der äußeren Sicherheit Europas. Linksaußen kämpft gegen das Verteidigungsbündnis NATO wie weiland die SED an der Seite der großen Sowjetunion. Mir ist aber jeder kaugummikauende GI lieber als Putins Truppen in den Kreis- und Bezirksstädten Ostdeutschlands. Den Polen, Balten und Ukrainern geht es ebenso.

An diesem Punkt empfehle ich dem SPD-Spitzenkandidaten, der Bundesregierung bei der Suche nach einem geeigneten Freiheits- und Einheitsdenkmal auf die Sprünge zu helfen: Jede von den sowjetischen/russischen Truppen leergezogene Kaserne in Ostdeutschland ist ein passableres Freiheits- und Einheitsdenkmal als die in Berlin vorgesehene Wippe. Verwippt euch nicht, renoviert die alten Russenkasernen in Ostdeutschland und macht internationale Kultur- und Begegnungszentren daraus!

Meine dringende Empfehlung an die SPD lautet: Diskutiert die Gerechtigkeitsfrage unter Einbeziehung der Sicherheit der EU-Außengrenzen.

Gebt der europäischen Idee ihre Kraft zurück! Sagt es laut: Nur ein freies, sicheres Europa kann den weltweiten Herausforderungen Paroli bieten. Ein freies Europa, welches nicht nur das alte Westeuropa akzeptiert, sondern ebenso das 1989 freigekommene Osteuropa, das in großen Teilen sogar die Erinnerungen an die osmanische Herrschaft kollektiv achtungsvoll in sich trägt. Wiederholt in Europa mit den Mittel-Osteuropäern nicht den innerdeutschen 90er-Jahre-Fehler, den Ostdeutschen das Gefühl einer Bevormundung gegeben zu haben.

Macht Ihr das nicht, wittert die Bevölkerung nur ein Oppermann-Angebot an Linksaußen. Denn: Gerechtigkeit ist ohne die Freiheit innerhalb eines sicheren und demokratischen Staates bzw. einer Staatengemeinschaft nur die brutale Gerechtigkeit unter den Haftbedingungen des Kasernensozialismus.

Eine letzte Anmerkung zur AGENDA 2010. Auch hier bin ich wieder bei der Gerechtigkeitsfrage, die die SPD 2003 nachhaltig mit dem Prinzip »Fördern und Fordern« beantwortete. Weil es gerecht und geboten ist, Menschen nach den Regeln der Gegenseitigkeit zu helfen: »Du bildest dich auf Steuerzahlerkosten weiter und der Steuerzahler hilft Dir, deine Existenz zu sichern.«

Ohne diese AGENDA 2010 hätte die Bundesrepublik weder die Finanzkrise 2008 noch – erst recht – die jüngste Völkerwanderung gewuppt.

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