von Gunter Weißgerber
Wie lange noch wird es in der zunehmend zum linkslastigen Haltungsstaat degenerierenden Bundesrepublik Deutschland möglich sein, Bücher wie Unter mysteriösen Umständen, die sich mit den Verbrechen der zweiten (linken) Diktatur auf deutschem Boden beschäftigen, selbstverständlich zu publizieren? Mir schwant nichts Gutes. Warum? Das bedarf der Erläuterung. Die Zeiten erfordern das. Damit nie wieder Bücher wie Unter mysteriösen Umständen in Deutschland geschrieben werden müssen.
2013 machte die SPD mit ihrem Beschluss zu Koalitionen mit der Linkspartei auf Bundesebene und dem daraus folgenden so bleischwerem wie inhaltsleerem ›Kampf gegen rechts‹ unter Einschluss der Kommunistischen Plattform und der Antifa eine demokratietheoretisch unsinnige und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) zuwiderlaufende Front gegen den Teil der eigenen Bevölkerung auf, der sich in der demokratischen Mitte und im demokratischen Spektrum rechts der Mitte verortet.
Im trüben Lichte dieser Lesart erscheinen die Bundeskanzler Adenauer, Erhard, Kiesinger und Kohl samt ihrer CDU nachträglich als rechte, sprich faschistische Ansammlungen. Womit die SED, die 68er (West) und die RAF wohl doch noch irgendwie siegten. Nach Lesart der Diktaturpartei waren die ›Bonner Ultras‹, Westdeutschland/Bundesrepublik und CDU/CSU Ort und Behüter des Revanchismus und des Faschismus. Deshalb ›Antifaschistischer Schutzwall‹ und antifaschistische Demo am sowjetischen Ehrenmal am 3. Januar 1990 im Treptower Park. Sic! Der Hilferuf an die sowjetischen Freunde verhallte, anders als 1968 in Prag. Erst jetzt, mit dem platten ›Kampf gegen rechts‹ wird die Bundesrepublik der Hort des Fortschritts, des Antifaschismus in Nachfolge der untoten DDR und ihrer untoten politischen Geheimpolizei. Gegen Rechts- und Linksaußen kämpft eine Demokratie effektiv mittels guter Wirtschafts- und Sozialpolitik unter freiheitlichen Bedingungen. Parolen wecken Argwohn und bringen keine Arbeitsplätze. Dieses kleine Einmaleins der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik ist im Moment verloren.
In ihrer strategischen Hinwendung infolge des Jahrhundertversagens 2015 zum grün-linken Politikspektrum nahm Angela Merkel diese fatale Linie auf und verstärkte sie im Einvernehmen mit großen Teilen des deutschen Feuilletons. Gewissermaßen zerbröselte die CDU-Bundeskanzlerin ihre Partei durch ihre grün-linke Umkostümierung. Ob nun Ziel oder Zufall, im Ergebnis ist die Union am Boden, Deutschland in seit 1945 nie dagewesener gesellschaftlicher Verwahrlosung und politischer Instabilität und die Europäische Union steht kurz vor einem Scherbenhaufen.
Ein großer Teil der Deutschen hat Angst, sich politisch zu äußern. Kritik am Regierungskurs und den einsamen Entscheidungen der Kanzlerin gelten als rechts und wirken sich bereits für so manchen Zeitgenossen existenzgefährdend aus. Es ist nicht DDR, aber es schmeckt hie und da schon wie DDR. Nur noch 45 Prozent der Befragten einer Allensbach-Umfrage vom 16. Juni 2021, die im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung durchgeführt wurde, sind der Ansicht, dass sie ihre politische Meinung frei äußern könnten; 44 Prozent halten es für besser, sich zu politischen Themen nicht zu äußern.
Bärbel Bohley sagte 1991 im Gespräch mit Chaim Noll (https://www.achgut.com/artikel/baerbel_bohley_die_frau_die_es_voraussah):
Liebe Freya Klier, wir sind auf diesem Wege in Altbekanntes. Ich weiß, Du hast große Sympathie für Angela Merkel. Die kann und will ich dir nicht ausreden. Doch mit meiner Einführung in die Rezension deines wunderbaren und wichtigen Buches musst Du leben.
Noch ist die Antifa eine mittels Regierungsprogrammen gemästete NGO eines noch nicht wieder existierenden Ministeriums für (bundesdeutsche) Staatssicherheit. Doch da kommen wir hin, wenn wir nicht alle zusammen gut aufpassen. Der Fürsorgestaat hat sich bereits dem weiten Feld der Ahndung von angeblichen und tatsächlichen Beleidigungen an unserer statt angenommen. Das ›Netzwerk-Durchsetzungsgesetz‹ öffnete dem Zersetzen und Mundtotmachen Tür und Tor. Das Klima ist vergiftet und Bücher wie Unter mysteriösen Umständen werden derzeit noch im früheren MfS- und SED-Spektrum als Beleidigung und Angriff auf das revolutionäre Bewusstsein abgehandelt. Noch. Die ›DDR-Neuerzähler‹ in der Bundespolitik, der Bundeszentrale für politische Bildung und Feuilleton werden sich dieses Buches bald beherzt annehmen so wie sie sich Hubertus Knabes ebenso beherzt annahmen. Ich übertreibe? Wir werden sehen. Wir fühlen uns im gleichen Boot unwohl.
Am 24. Februar 1990 saßen einige DDR-Neusozialdemokraten zu mitternächtlicher Stunde in einer wunderbaren Runde mit Wolfgang Leonhard und seiner Frau Elke im Leipziger Interhotel ›Merkur‹ beisammen. Ich war dabei. Mich sprach Wolfgang Leonhard auch direkt an. Ihm war ich in den zurückliegenden Monaten als SDP/SPD-Redner der Leipziger Montagsdemonstrationen aufgefallen und in der Annahme, dass ich am 18. März in die erste freie Volkskammer gewählt werden würde, gab er mir eine Bitte mit auf den Weg: Ich möge in der Volkskammer hinsichtlich einer Historikerkommission aktiv werden. Viele ungeklärte Verbrechen, das Schicksal vieler verschwundenen DDR- und SED-Kritiker harrten der Aufklärung.
Wolfgang Leonhard machte das am Beispiel des ersten sächsischen Ministerpräsidenten nach dem zweiten Weltkrieg Rudolf Friedrichs und an Robert Bialek deutlich. Im Falle Friedrichs ging es um die Annahme, dass Rudolf Friedrichs (ehemals SPD) 1947 keines natürlichen Todes gestorben sei, sondern das sein sehr brutal agierender Inner-SED-Konkurrent Kurt Fischer (ehemals KPD) seine Hände im Spiel gehabt haben könnte. Der NS-Widerstandskämpfer Robert Bialek, der mit Kurt Fischer und Erich Mielke in Konflikt geriet und nach Westberlin ging, wurde 1956 in die DDR entführt und kam dort unter mysteriösen Umständen zu Tode. Das und vieles mehr sollte aufgeklärt werden.
Wolfgang Leonhard ›zündete‹ mich in jener Nacht sozusagen an und ich nahm mir vor, sofort nach der erfolgreichen Wahl in die Volkskammer hinsichtlich einer unabhängigen Historikerkommission initiativ zu werden. Was ich dann auch tat. In der ersten SPD-Volkskammerfraktionssitzung thematisierte ich diese Notwendigkeit und schrieb in der Folge auch mehrere Anträge an die Fraktionsspitze. In der Volkskammer kam es dann nicht mehr zur Einsetzung einer Kommission. Das Projekt wurde in den Deutschen Bundestag übernommen.
Zu Rudolf Friedrichs bat ich den Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf Nachforschungen anstellen zu lassen und drängte den SPD-Landesverband Sachsen, sich des Themas ebenfalls anzunehmen. In dem Buch Einer von beiden muß so bald wie möglich entfernt werden (https://hait.tu-dresden.de/ext/publikationen/publikation-111/ – Hannah-Arendt-Institut Dresden) beschreibt Mike Schmeitzner den Aufklärungsversuch. Der Tod Friedrichs konnte leider nicht mehr aufgeklärt werden.
Nun also Freya Klier und Unter mysteriösen Umständen. Nach dem Vorwort geht es in die Fünfziger Jahre mit dem jugendlichen Widerstand, Kidnapping und in die Hochschulen. Die Sechzigerjahre beschreibt FK mit dem Bauer Schwerdt, Michael Gartenschläger, Benno Ohnesorg und dem langen Arm der Stasi, Leipzig 1968 und dem Tod ihres Bruders. Weiter geht sie in die Siebzigerjahre zu Bettina und Claudia Wegner, Klaus Schlesinger, dem Prager Frühling, dem anheimelndem MfS, zur Arbeitsmethode Mord, Psychofolter und Frieder Weiße, verschwindenden Menschen in Bautzen II, einem Mordversuch auf der Sprungschanze, Lilo und Jürgen Fuchs. Die Achtzigerjahre und überall passierende Autounfälle, unter mysteriösen Umständen und einer nagenden Ratte am Fundament des Sozialismus, dem Freischwimmer Hans-Karl von Schnitzler, Sinus 1 & 2, dem zweiten Mordversuch an einem Spiegelkorrespondenten und die Giftakte Toxdat. Dann war offiziell Schluss mit der DDR. Aber nur offizieller Schluss.
Noch immer zappeln wir irgendwie im weiterhin wabernden Leichentuch der kommunistischen Diktatur, in den in der Antifa längst wieder vernetzten Resten ihrer politischen Polizei und vor allem in den Fängen ihrer Ideologie. Solange in Deutschland vom Faschismus statt vom Nationalsozialismus öffentlich gesprochen wird, so lange ist Stalin nicht wirklich tot. Es ist sein Begriff der Entehrung der deutschen Sozialdemokratie und ausgerechnet Parteivorsitzende der SPD fühlen sich mit dieser Beleidigung im Jahre zweiunddreißig nach der Friedlichen Revolution pudelwohl. Mich schaudert es.
Steffen Krummreich, Beat-Musik, Friseur, Haft, Psychiatrie, Gasherd
Musik vom Klassenfeind und lange Haare. Ein Staat sieht sich gefährdet.
Nach den vier Jahren ist Steffen seelisch zerstört, eine Agenda hat er dennoch. Ein mutiger Junge.
»Nach ein paar Jahren wird mein Bruder Steffen Krummreich probehalber entlassen. … Doch er hat schon wieder eine Vorladung von der Dresdner Polizei. … Er hat in der Nähe ein leeres Haus entdeckt, in dem die Gasleitung noch funktioniert. Dort legt er seinen Kopf in einen Gasofen. Da ist mein Bruder dreißig Jahre alt.«(S.92).
Für das MfS und seine Verbrecherpsychologen war der Fall damit erledigt. Umberto Eco würde sagen: ›Die Mächte der Finsternis obsiegten und schienen nicht beteiligt. In der Tat waren sie die Regisseure des Selbstmordes des Corpus Delicti‹.
Klaus Schlesinger, Kulturopposition, mysteriöse Grenzkontrollen, Blutkrebs
Wolfgang Welsch, Studententheater, Haft, Gestapomethoden, Fluchthelfer, versuchte Liquidierung
Rainer Eppelmann, Ralf Hirsch, Blues, Mordversuche
Rainer Eppelmann führte nicht nur die Jugendgottesdienste weiter, die ihm bereits die Aufmerksamkeit der Stasi verschafft hatten, er leitete seine entscheidende Etappe zum Staatsfeind Nr. 1 mit den Blues-Messen ein. »Vor allem ihretwegen eröffnete die Staatssicherheit de Operativen Vorgang ‚OV Blues‘ ein«. (S.176). Für die organisatorischen Ausuferungen benötigte Pfarrer Eppelmann einen Ordnungsdienst. Leiter wird Ralf Hirsch, der sich damit in die Todeszone des MfS begibt. Zum Glück überlebt er den Stasicocktail aus viel Alkohol und einem Betäubungsmittel in einer kalten Winternacht. Er sollte hinter einer Hecke erfrieren. »Der Plan findet sich später in den Stasiakten«. (S.176).
Matthias Domaschk, Tod in der Haft, noch immer ungeklärt
Wer hat Matthias Domaschk ermordet? Am 10. April 1981 fährt Matthias Domaschk mit seinem Freund Peter Rösch nach Berlin zu einer Geburtstagsfeier. Dort kamen sie nie an. In Jüterbog holte die Transportpolizei sie aus dem Zug, sie wurden in einen Kleinbus verfrachtet und abtransportiert. Beide wurden nach Gera ins Stasigefängnis gebracht und dort sofort getrennt. Die Einzelzelle konnte nur Peter Rösch lebend verlassen. Matthias Domaschk war tot. Angeblich hat er sich an seinem Hemd erhängt. Bis heute weiß niemand, was mit Matthias Domaschk geschah, wer ihn ermordet oder fahrlässig getötet hat. »Denn die Staatssicherheit ist ein Geheimbund«. (S. 192).
Unterleibskrebs
Die Schriftstellerinnen Brigitte Reimann, Maxie Wander, Irmtraut Morgner sterben an Unterleibskrebs. Die Stasi sagte »Die Siebzigerjahre seien eben die Zeit, in der so viele Frauen an schweren Krebsen sterben«. (S.242). Krebs, der sich politisch unliebsame Frauen suchen? Umberto Eco hätte diese Ungereimtheiten verarbeitet, Freya Klier nimmt sich dasselbe Recht. Weil der Stasi einfach alles zuzutrauen war und das MfS eine reichhaltige Apotheke zur Benutzung besaß. Stichwort ›Giftakte Toxdat‹.
Zurück zur Einführung und den fehlenden Beweisen. Es war die zentrale Aufgabe der Stasitäter, jegliche Beweise ihres verbrecherischen Tuns zu vernichten. Jedoch schafften sie es nicht, das Wissen um die Opfer vergessen zu machen. Freya Klier gebührt großer Dank und noch größere Anerkennung, den Kampf gegen das Vergessen zu führen und nicht aufzugeben.
Liebe Freya Klier, liebe Leser Unter mysteriösen Umständen ist überfällig! Wolfgang Leonhard, den ich noch gut kennenlernen durfte, würde Freya Klier bei einem Glas Wein freudig auf die Schulter klopfen. Dessen bin ich sehr sicher. Danke, Freya!