Im vergangenen Jahr erschienen bemerkenswerte Bücher zum Thema ›Spionage im geteilten Deutschland.‹ Die Autoren hatten das Glück, dass inzwischen fast alle wichtigen Quellen für die zeitgeschichtliche Forschung zugänglich sind, sodass Fleiß und Akribie ausreichen, um interessierten Lesern erstaunliche Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeit präsentieren zu können. Aus der Fülle der einschlägigen Literatur habe ich drei Werke ausgewählt.

Ronny Heidenreich: Die DDR-Spionage des BND. Von den Anfängen bis zum Mauerbau. Berlin (Links Verlag) 2019, 704 Seiten

Das Buch erschien als Band 11 in der Forschungsreihe der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945 bis 1968. Der Autor war Mitarbeiter der Kommission. Für den Laien mit zeithistorischen Kenntnissen, der sich speziell für die Arbeit der Spionageorganisationen auf deutschem Boden interessiert, ist die Einleitung über »Geheimdienste im Kalten Krieg« besonders wichtig. Allein in sechzig Anmerkungen auf den Seiten 11-24 wird bibliographisch auf die Standardwerke in deutscher und englischer Sprache hingewiesen, in die man zumindest teilweise hineingeschaut haben sollte, um Heidenreichs verdienstvolle Arbeit würdigen zu können.

Wendet man sich dem eigentlichen Inhalt des Buches zu, der Auswertung der BND-Akten, so ist man erstaunt und noch nachträglich erschüttert, wie ineffizient die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des BND, gearbeitet hat. Mir wurde das besonders deutlich, als ich mich der ›Operation Baldur‹ zuwandte, dem geheimdienstlichen Decknamen für die Ausspähung von Vorbereitung und Durchführung des Deutschlandtreffens der FDJ zu Pfingsten 1950 in Ost-Berlin, an dem ich noch selbst als Jugendlicher aktiv teilgenommen hatte.

Wir sangen seit Februar 1950 ein Lied mit dem Titel und der Schlusszeile aller drei Strophen: ›Die Freie Deutsche Jugend stürmt Berlin.‹ Kurz vor Pfingsten wurden wir angewiesen, eine veränderte Schlusszeile zu singen. Sie hieß jetzt: ›Die Freie Deutsche Jugend grüßt Berlin.‹ Die Militanz in der politischen Schulung auf Vorbereitungsveranstaltungen wurde plötzlich spürbar zurückgenommen.

Nach der von Heidenreich referierten Aktenlage wusste die Organisation Gehlen, im Gegensatz zu den Ostbüros der demokratischen Parteien sowie der Presse in West-Berlin und in der BRD so gut wie nichts aus eigenen Quellen über die Zielsetzung des Treffens, seine Organisation und Durchführung sowie über die speziell zuständigen Führungskräfte, von der Einflussnahme der sowjetischen Kontrollorgane auf SED und FDJ gar nicht zu reden. Dabei handelte es sich um eine Veranstaltung, an der eine halbe Million junger Menschen aus ganz Deutschland teilnahm, die Monate vorher wussten, wann ihre Transporte starteten, für die Massenquartiere und Verpflegung bereitgestellt werden mussten.

Von diesen Fakten ausgehend drängt sich der Eindruck auf, dass die Agenten der Organisation Gehlen es überhaupt nicht für nötig gehalten haben, Kontakte zu dieser Nachkriegsjugend zu knüpfen, deren Denken und Wunschträume ihnen unbekannt blieben. Sonst hätten sie zumindest merken müssen, dass überzeugte Kommunisten auch in der FDJ ziemlichen Seltenheitswert hatten.

Wen wundert es, dass die Nachrichtenlage, für die der BND zuständig war, sich im Lauf der Jahre nicht signifikant verbesserte, zumal die Zugänge in die DDR – zum Territorium und zu Personen – sich im Laufe der Jahre, und erst recht nach dem Mauerbau 1961, spürbar verschlechterten. Schon die Zahl aktiver Agenten wurde ständig geringer. Kein Wunder, wenn man sie vorwiegend dem Reservoir der ehemaligen Wehrmachtangehörigen sowie der SS entnahm. Wie verhängnisvoll sich gerade die Rekrutierung der zuletzt genannten Kategorie auswirkte, zeigte der Fall Felfe überdeutlich, über den in anderem Zusammenhang noch zu sprechen sein wird. Laut Heidenreich soll die Zahl der BND-Agenten in der DDR ständig geringer geworden sein, so dass der Nachrichtendienst 1968 nur noch über 20 V-Leute im Operationsgebiet verfügt habe.

Besonders stolz war die Leitung des BND auf ihre Spitzenquellen Günter Hofé und Willi Leisner, die im Machtapparat der SED verankert waren und dort über bedeutende Kontakte verfügten. Dass beide Personen von Anfang an vom sowjetischen KGB gesteuert worden waren, stellte sich erst heraus, als es zu spät war. Leisners Auskünfte veranlassten den BND, sich um die konzeptionellen und logistischen Vorbereitungen des Mauerbaues von 1961 kaum zu kümmern, sodass die amerikanische CIA und die Verfassungsschutzämter wesentlich stichhaltigere Nachrichten lieferten als der offizielle Geheimdienst der Bundesregierung. Auch der V-Mann 610 des Ostbüros der SPD – ein Arzt mit Wohnsitz in Potsdam – war nicht untätig geblieben. Er gehörte zum Krisenstab in Potsdam und meldete bereits am 5. August 1961, die Vorbereitungen zum Mauerbau seien so weit gediehen, dass sie einfach nicht mehr zurückgenommen werden könnten.

Günter Hofè, im Hauptberuf Verleger in einem Ost-Berliner Verlag, wurde am 6. Oktober 1963 auf der Frankfurter Buchmesse verhaftet, nachdem sich die vom Verfassungsschutz zusammengetragenen Verdachtsmomente gegen ihn erhärtet hatten, ein Geheimdienstagent der Sowjetunion und der DDR zu sein. Zu einem Prozess gegen Hofé kam es nicht, weil die DDR-Behörden im Austausch gegen ihn im August und September 1964 fünfhundert politische Häftlinge aus der DDR ausreisen ließen, unter anderem prominente Fluchthelfer und gefasste westliche Spione, darunter den ehemaligen V-Mann des BND, Heinz Beuster, der zum Tode verurteilt worden war.

Bodo V. Hechelhammer: Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe – Agent in sieben Geheimdiensten. München (Piper) 2. Auflage 2019, 510 Seiten

Der Autor des Buches ist Historiker, Jahrgang 1968, langjähriger Mitarbeiter des BND und leitet zur Zeit als Chefhistoriker das Historische Büro des Nachrichtendienstes. Wie Heidenreich verfügt er nicht nur über den Zugang sondern auch über die umfangreiche Kenntnis des Quellenmaterials für sein Thema.

Als Heinz Felfe, Hans Clemens und Erwin Tiebel, ehemalige Kameraden aus der SS, am 6. November 1961 verhaftet worden waren und seit dem 8. Juli 1963 in Karlsruhe als sowjetische Spione vor Gericht standen, wurde einer breiten Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland bewusst, wie verheerend sich Gehlens Praxis ausgewirkt hatte, auch ehemalige aktive Nationalsozialisten als Mitarbeiter seines Dienstes zu rekrutieren.

Die sowjetischen Behörden verfügten in ihrem deutschen Besatzungsgebiet über wichtige Archivalien, die als Belastungs- und Erpressungsmaterial geeignet waren, Personen unter Druck zu setzen, die in der NS-Zeit straffällig geworden waren. Wenn man sich dazu noch deren latente Antipathien gegen demokratische Strukturen, rechtsstaatliches Denken und die westlichen Besatzungsmächte zunutze machen konnte, umso besser. Zum besonderen Erfolg der Sowjetunion bei der Anwerbung und nachrichtendienstlichen Führung von Heinz Felfe, der vor seiner Verhaftung als Leiter der Gegenspionage amtierte und dadurch fast jeden BND-Agenten im kommunistischen Machtbereich identifizieren konnte, trug die offenkundig schlampige Überprüfung seiner Person vor der offiziellen hauptamtlichen Einstellung in den deutschen Geheimdienst bei. Als besonderer Glücksfall für seine Führungsoffiziere im sowjetischen KGB erwies sich aber auch Felfes Persönlichkeit, auf die Hechelhammer sich in seinen Ausführungen in erster Linie konzentriert hat.

Johannes Paul Heinz Felfe lebte vom 18. März 1918 bis zum 8. Mai 2008, und ist folglich 90 Jahre alt geworden. Trotz entsprechender Begabung sowie voll ausreichender materieller und ideeller Förderung aus dem Elternhaus reichte es weder zu Abitur und Studium noch zu einer soliden zivilen Berufsausbildung. Der junge Mann war einfach zu faul. Einen fressenden Ehrgeiz und ein hohes Geltungsbedürfnis entwickelte er trotzdem. Materieller Wohlstand und ein harmonisches Familienleben sollten ihm als Lebensziele ausreichen. Ein über den Tag hinaus gültiges idealistisches Lebensziel, sei es religiös oder weltanschaulich fundiert, ist nicht erkennbar. Folglich blieben seine Loyalitäten begrenzt.

Während der NS-Zeit trat er in den Polizeidienst ein, wurde von der SS übernommen und überstand den Krieg. Die nationalsozialistische Gesinnung schüttelte er ab, ohne sich von ihr glaubhaft zu distanzieren. Stümperhafte Versuche, in Bonn ein Studium zu beginnen, mussten wegen des fehlenden Abiturs scheitern. Da er intelligent war, wurden die zahlreichen Geheimdienste auf deutschem Nachkriegsboden seine wechselnden Arbeitgeber. Betrachtet man ihn flüchtig, so scheint er nur materielle Interessen gehabt zu haben, aber eigentlich überhaupt keine charakterliche Prägung, weder eine gute noch eine schlechte.

Wie dieses Leben verlief, das nach der westdeutschen Haft noch lange nicht vorbei war, schildert Hechelhammer eindrucksvoll und gut lesbar. Dass sein genau aufgeführtes Quellenmaterial – hauptsächlich BND-Akten – für den normalen Leser nicht zugänglich ist, muss in Kauf genommen werden.

Felfe wurde am 14. Februar 1969 vorzeitig aus der Haft entlassen und in die DDR ausgetauscht. Dort amtierte er, ohne Abitur und Studium, als Professor für Kriminalistik an der Ost-Berliner Humboldt-Universität und schrieb im Auftrag des sowjetischen KGB seine Memoiren, die unter dem Titel »Im Dienst des Gegners. 10 Jahre Moskaus Mann im BND« 1986 zuerst in einem bundesdeutschen Verlag veröffentlicht worden sind. Man kann das Werk nur als Märchenbuch einordnen. Die deutsche Wiedervereinigung und ihre Folgen überstand Felfe ohne persönlichen Schaden. Für seinen Unterhalt hatte der sowjetische und später russische Geheimdienst bis zu seinem Tode vorgesorgt.

Stefan Appelius: Die Spionin Olga Raue – CIA-Agentin im Kalten Krieg. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 2019, 605 Seiten

Der Autor, geboren 1963, lebt als selbstständiger Wissenschaftler und Publizist in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Zeitgeschichte, Parteien und politisch-soziale Bewegungen. Er ist außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Oldenburg und arbeitet im Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin.

Appelius verfügte nicht über das umfangreiche Aktenmaterial, das die beiden hier schon genannten Autoren für ihre Forschungsarbeit auswerten konnten. Er recherchierte weitgehend auf eigene Faust, indem er seit 2010 die Bekanntschaft zu ehemaligen politischen DDR-Häftlingen nutzte, um sich Klarheit über die Spionagetätigkeit der amerikanischen CIA gegen die DDR und gegen die Sowjetunion zu verschaffen.

Auf den ersten Seiten seines Buches berichtete er über die Schwierigkeiten, die seinem Forscherdrang entgegenstanden und die er nur teilweise überwinden konnte. Viele ehemalige deutsche Agenten, die für die CIA gearbeitet hatten, waren inzwischen verstorben oder, falls sie hochbetagt noch lebten, nicht bereit, über ihr damaliges Handeln Auskunft zu geben. Zusätzliche Hürden baute ein übertriebener Datenschutz auf. Außerdem waren auch in der Stasi-Unterlagen-Behörde viele Unterlagen für die wissenschaftliche Forschung nicht zugänglich, wenn in ihnen Belange der ehemaligen westlichen Besatzungsmächte berührt wurden. Überdies gewährleistet der in den USA geltende ›Freedom of Information Act‹ nicht, dass nach einem gewissen Zeitablauf alle nicht mehr relevanten Staatsgeheimnisse offen zugänglich sind. So bleiben die wahren Identitäten ehemaliger amerikanischer Agentenführer auch dann geheim, nachdem sie auf dem Nationalfriedhof Arlington bei Washington beerdigt worden sind.

Dass es Appelius trotzdem gelungen ist, ein sensationelles Buch zu schreiben, verdankt er einem Glücksfall. Im Gegensatz zu vielen anderen Personen, die er ansprach, war die ehemalige Krankenschwester und zeitweilige Medizinstudentin Olga Raue seit 2014 bereit, sich dem Autor rückhaltlos zu öffnen und über ihr Leben sowie über ihre geheimdienstliche Tätigkeit zu berichten. Als das Buch erschien, war sie 93 Jahre alt. Trotzdem verfügt sie über ein sehr gutes Gedächtnis. Ihre Einlassungen, die der Autor zu Papier gebracht hat, haben den Charakter einer Lebensbeichte. Gerade deshalb ist ihre Behauptung glaubhaft »Schuldgefühle hatte und habe ich keine. Wir wollten etwas Gutes tun. Etwas Gutes für Deutschland.«

Was sie als Agentin der CIA geleistet hat, teilweise zusammen mit ihrem Ehemann Heinz Raue und dessen Verwandten, soll hier nicht referiert werden, um allen künftigen Lesern die Spannung bei der Lektüre zu erhalten. Welche persönlichen Opfer sie im Interesse ihrer Tätigkeit gebracht hat, bis hin zu einer Abtreibung, muss man auf sich wirken lassen. Unfassbar bleibt jedoch, wie skrupellos das amerikanische Führungspersonal mit seinen deutschen Agenten umging und sie im Interesse optimaler Nachrichtengewinnung ohne jede Rücksichtnahme verheizte. Als die amerikanischen Führungsoffiziere schon genau wussten, dass Olga und Heinz Raue vom sowjetischen KGB und der Stasi wegen Spionageverdachts intensiv beobachtet wurden, redeten sie ihnen bei einem Treffen in West-Berlin zu, wieder in die DDR bzw. nach Moskau zurückzukehren und ihre Tätigkeit fortzusetzen.

Stefan Appelius hat gute Arbeit geleistet. Leider gilt das nicht in gleicher Weise für den Verlag. Ich habe keine Ahnung, ob der Autor nur einen schlechten oder gar keinen Lektor gehabt hat. Jedem Lektor hätte auffallen müssen, dass es sich bei Jutta L. im Personenregister um zwei verschiedene Frauen handeln muss, warum eine Erklärung fehlt, dass die Ostbüros der demokratischen Parteien 1965 ihre Tätigkeit in West-Berlin sowie im Bundesgebiet wieder aufgenommen haben und die mehrfach erwähnten Telefongespräche der Agenten von Ost- nach West-Berlin so nicht stattgefunden haben können, weil es seit Juni 1962 keinen einheitlichen Telefonverkehr in der geteilten Stadt mehr gegeben hat. Einem Lektor mit sprachlichem Stilgefühl hätte vor allem auffallen müssen, dass die Wiedergabe von Dialogen in wörtlicher Rede in einem Sachbuch dann problematisch bleibt, wenn der Autor bei den Gesprächen nicht dabei gewesen sein kann.