von Herbert Ammon
Ulrich Schödlbauer hat sich in unserem politisch-medialen Sternchen*-Kosmos umgeschaut und die die so gänzlich unerwartete Liebe der Post-Deutschen zum Planeten Mars, genauer: zu Theorie und Praxis des Kriegsgottes Mars entdeckt. Der Krieg, was die Deutschen seit Clausewitz eigentlich wissen sollten, aber nach der wundersam göttlichen Fügung bei Sedan siegesgewiss nicht mehr wissen wollten, ist eine Affäre, deren Ausgang stets ungewiss ist. Vor dem dritten Punischen Krieg warnte einst der arme B.B., jetzt auch U.Sch. Soll man, muss man wirklich so pessimistisch sein?
Anno 2022 sind wir, die Zivilgesellschaft, vom Kriegstrauma befreit, Defätismus – wer erinnert sich hierzulande noch an die Parole ›Lieber rot als tot!‹? – ist politisch passé. Deutsche Klimaretter*(innen), Politiker(*innen) und Pastor(*innen), auferstanden aus dem wohlstandsseligen Schlaf der Nachkriegsgeschichte, gewappnet mit republikanischer Tugend und demokratischen Werten (Dulce et decorum est pro humanitate morire, nec patria) sowie noch besserer Moral, fordern die totale Mobilmachung gegen Putin. Wenn derzeit schon keine direkte Nato-Intervention (mit kriegsuntauglichen deutschen Truppen) in der Ukraine strategisch und vertraglich möglich erscheint, so wenigstens die Lieferung von schwerem Gerät aus deutscher Produktion.
Der Grüne Anton Hofreiter, von Haus aus Biologe, erklärt auf Facebook seinen ›Standpunkt, der viele überrascht hat‹, i.e. die Ukraine mit deutschen Panzern zu unterstützen, wie folgt:
Wer könnte sich derlei historisch, politologisch, ökologisch und sprachlich fundierter Argumentation verschließen!? Immerhin ist der erste Satz nicht falsch, da kommt es auf den Rest nicht mehr so an. Hofreiter, vom linken Grünen-Flügel trifft zudem den richtigen Ton hinsichtlich der Grünen Jugend. Sie wird fortan deutsche Panzer nicht mehr so krass rassistisch, sexistisch und/oder nationalistisch finden.
Doch es gibt – außerhalb der mit Sex-Skandalen belasteten ›Linke‹-Partei – noch gewichtige Kritiker der allgemeinen Mobilmachung. Einer von ihnen ist der Soziologe und Publizist Harald Welzer (m). Im Wochenmagazin Stern kritisiert er Kollegen (*innen) an der Medienfront dafür, dass sie irreführende Assoziationen und Emotionen beförderten. Namentlich missfallen ihm die falschen Bilder vom richtigen Krieg: Hier die mit Rollkoffern flüchtenden Frauen und Kinder, dort die mit Waffen kämpfenden Männer. Da wird der Soziologe Welzer kämpferisch: ›Moment mal, was sind denn das für Rollenbilder, die hier gefeiert werden? Ist gerade 1914?‹ Und neuerdings spreche Selenskyj – er hat die Mobilisierung aller Männer zwischen 18 und 60 Jahren befohlen – gar vom Volkskrieg, das sei 19. Jahrhundert pur. Der Sternchen*-Soziologe beim Stern irrt sich: Vom ›Volkskrieg‹ träumten nicht wenige 68er noch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Auch eine Erinnerung an 1914 ist durchaus ratsam, sofern Putins Krieg sich womöglich nicht auf die Eroberung des Donbass begrenzen lässt, was viele Pessimisten, vor allem im Baltikum und in Polen, befürchten.
Im Ukraine-Krieg geht es hierzulande zuvörderst um die richtige Gesinnung, nicht um das Elend des Krieges. Mathias Brodkorb, einst SPD-Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern, hat dies als gebürtiger ›Ostdeutscher‹ offenbar noch nicht hinreichend verstanden, wenn er die Geistesergießung des Stern-Soziologen wie folgt kommentiert: Das ist natürlich absolut zutreffend.Wenn schon Krieg, dann bitte gendergerecht. Was für eine intellektuelle und moralische Wohlstandsverwahrlosung, meine Güte! Brodkorbs Kommentar stieß bei einigen auf Unverständnis. Kein Zufall: Ironie ist in Kriegszeiten fehl am Platze.
War und ist Putins Krieg historisch zwangsläufig? Gab es nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums je Chancen für den Bau eines daerhaft friedlichen Hauses Europa? Derlei Fragen zu stellen, ist derzeit inopportun. Für die meisten geht es seit dem 24. Februar 2022 – nach den all den Versäumnissen von 2014 – um Grundsätzliches: um die Verteidigung der Demokratie und der westlichen Werte gegen den – in diesem Falle unzweifelhaften – Aggressor Putin sowie gegen die seit Iwan Grosny (›dem Schrecklichen‹) verwurzelte, historisch unaufhebbare Moskowiter Autokratie/Despotie.
Für uns Zeitgenossen begrifflich leichter verständlich erklärt der Yale-Historiker Timothy Snyder Putin zum lupenreinen Faschisten. Damit verfügen wir medialen Kriegsteilnehmer über ein moralisch einwandfreies Feindbild. Überdies stehen auf unserer Seite die Kämpfer der Asow-Brigade, ungeachtet fragwürdiger Insignien und Tattoos seit 2014 demokratisch resozialisiert oder durch Personalwechsel politisch geläutert. Putin sieht das nicht so. Für ihn sind alle Ukrainer die Faschisten. Offenbar hat er während seiner Bildungsjahre als KGB-Agent in der DDR nicht mitbekommen, dass auch im Westen ›Faschismus‹ längst als Kampfbegriff dient.
Gewisse Zweifel an der demokratischen Tugendhaftigkeit der überfallenen Ukraine äußert in seinem Blog der frühere Welt-Redakteur Thomas Schmid (https://schmid.welt.de/2022/04/24/wie-demokratisch-ist-die-ukraine/). Bei aller Sympathie für Selenskyi und die Ukraine sei nicht zu übersehen, dass das Land ›nach wie vor eine sehr unvollkommene Demokratie‹ sei, institutionell weniger gefestigt als die anderen Staaten im östlichen Europa, die nach dem Ersten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit erlangten. Unter Bezug auf den Historiker Andreas Kappeler nennt Schmid als Hauptgrund für das damalige Misslingen der angestrebten Staatlichkeit – im Kontext des russischen Bürgerkriegs 1918-1922 und des polnisch-russischem Kriegs 1919/20) – das Fehlen eines ethnisch geschlossene Kerngebiets. Heute hingegen schaffe der Krieg gegen Putin – in logischem Widerspruch zu vorstehendem Satz – die nunmehr multiethnische Grundlage sowie den Rahmen für die späte Staats- und Nationbildung der Ukraine. Dass dieser Prozess angesichts fortdauernder Korruption und ukrainischem Sprachnationalismus noch unvollkommen und widerspruchsvoll sei, vermerkt auch Schmid. Mehr noch: Der angestrebte Weg in den Westen, in die EU – und in die Nato? – werde nicht so leicht und so glatt verlaufen, wie es sich die Ukraine unter Selenskyi und ihre Unterstützer hierzulande vorstellten.
Nichtsdestoweniger mündet der Aufsatz in ein Lob des ukrainischen Freiheitswillens gegen die russisch-imperiale Autokratie. In geradezu euphorischem Ton spricht Schmid davon, dass ja gerade das zweite ukrainische Wunder geschieht: Im Kampf gegen den Aggressor wird die Ukraine wie nie zuvor zu einer geeinten Nation. Zu einer Nation, die nicht Ethnisches oder die Geschichte verbindet, sondern der heutige Wille, frei zu sein. Der Relativsatz schließt Zweifel aus.
Es ist anzunehmen, dass auch Thomas Schmid die grüne Forderung nach schweren Waffen für die Ukraine unterstützt. Ob er auf Sieg der Ukraine oder auf einen für die Ukraine schmerzlichen Putin-Frieden – Verlust des Donbass, der Schwarzmeerküste und der Krim – setzt, lässt er offen. Inwieweit er zu den Sterne*-Kriegern zählt, die im postheroischen Deutschland den neuen, jetzt demokratischen Kriegsgeist befeuern, ist eine Frage der Interpretation.