von Herbert Ammon

I

›Die Einschläge kommen näher.‹ Mit diesem als understatement gemeinten Kalauer aus der Militärsprache setzt man sich hierzulande gerne über unliebsame Wahrnehmungen/ungute Gefühle hinweg, beispielsweise nach/über beunruhigende ärztliche Diagnosen. Zu den Glücklichen gehören diejenigen, denen das alles egal ist. Für viele – für die meisten? – reichen lockere Phrasen indes nicht mehr aus, wenn ihnen von Ferne – oder aus der Nähe – Freund Hein entgegenlächelt. Sub specie mortis geht es um Existenzielles, um die letzten Dinge, um Sinn. Die einen behelfen sich mit den Tröstungen der Philosophie, die anderen mit Religion, wieder andere mit einer Synthese aus beidem.

Kommen die Einschläge näher? Die Banalität der Frage enthüllt sich im Zeichen der Coronakrise. Die globalisierten Wirtschaftsprozesse – zu diesen gehören auch die chinesischen sweatshops in Norditalien – brachten den Import des Todesbringers aus China mit sich. Jetzt kommen die globalen Lieferketten zum Erliegen. Die Aktienkurse brechen ein, wir stehen vor einer nicht kalkulierbaren Rezession. Im Gefolge Italiens haben weitere EU-Staaten – ohne Rücksicht auf EU-Regelungen – ihre Grenzen geschlossen. Auch in Deutschland schließen Bundesländer nach und nach die Kitas, Schulen und Universitäten. Veranstaltungen, Menschenansammlungen von über 1000 Personen – einschließlich des CDU-Parteitags – werden untersagt, das öffentliche Leben beschränkt sich zusehends auf Telekommunikation, Smartphone und social media.

Was also tun, wenn – gemäß der von Bundeskanzlerin Merkel verkündeten Prognose – sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus infizieren? Zunächst beginnt das Rechnen: In Deutschland wären dies ca. 60 Millionen Menschen. Wenn davon auch nur 0,5 Prozent sterben, sind das noch immerhin 300 000 Tote, zehnmal mehr als bei einer ›normalen‹ Grippewelle. Wen könnte es treffen? Die anderen oder mich?

Die deutschen Hospitäler seien, so ist zu hören, auf hohe Patientenzahlen vorbereitet. Andererseits fehlt es in Arztpraxen und Kliniken selbst an Gesichtsmasken. Dazu die deprimierende Nachricht aus Italien, man habe dort zur Triage übergehen müssen. Bei den ganz Alten evoziert dies schlimme Erinnerungen. Sie werden bestätigt aus dem Munde eines Arztes aus Bergamo: ›Es ist wie im Krieg. Wir müssen entscheiden, wen wir behandeln und wen nicht.‹ Unvermeidlich schleicht sich die unchristlich egoistische Frage ins Gewissen: Droht derlei Praxis bald auch in Deutschland?

II

Die Bevölkerung – a.k.a. das Volk – ist beunruhigt, besorgt, wenngleich – von Hamsterkäufen in den Supermärkten abgesehen – noch nicht in Panik geraten. Zur relativen Stabilität der psychischen Kollektivverfassung tragen bislang vor allem die wissenschaftlichen Erklärungen und praktischen Ratschläge medizinischer Experten bei. Vielleicht sorgte außerdem der bayerische Ministerpräsident Söder bei einem ZDF-Interview mit souveränen Ausführungen für Zuversicht.

Auch die Bundeskanzlerin sprach – nach langem Schweigen ungeachtet der fortschreitenden Epidemie – in einer Pressekonferenz zum Volk: ›Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen.‹ Inhalt und Duktus dieser Worte kommentierte Ferdinand Knauß: »Wir werden von einer Kanzlerin regiert, die im Angesicht ernster Bedrohungen spricht, wie eine Pfarrerin, die nicht predigen kann. Das eigentliche Problem ist die Gemeinde, die ernsthaft glaubt, vor einer großen Prophetin zu sitzen.« ( https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/glosse/die-pressekonferenz-der-bundeskanzlerin-zu-corona-eine-uebersetzung-aus-dem-merkelschen/) Ein paar Tage später empfahl Merkel als Präventivmaßnahme, ›soziale Kontakte‹ zu vermeiden. Selbst Jürgen Kaube äußert in der regierungsfrommen FAZ (v. 14.03.2020, S. 1) verhaltenen Zweifel an dieser Empfehlung.

III

Inmitten allgemeiner Unsicherheit kommen diffuse Empfindungen, ungute Gefühle, gar Ängste in den Menschen hoch. Unter Lebensumständen, die das allseits empfohlene Wohlbefinden plötzlich in Frage stellen, dringen die alten Fragen wieder ins Bewusstsein. Sodann erwarten manche, nicht nur die einsamen Alten am späten Samstagabend vor den Fernsehapparaten, geistlichen Zuspruch – Seelsorge – von Seiten der ins geistliche Amt Berufenen. Von den Vertreterinnen (und Vertretern) der evangelischen Kirche werden derlei Erwartungen in aller Regel enttäuscht. Ihnen geht es – in philosophisch ungeklärtem Verhältnis von Gesinnung und Verantwortung, von caritas und necessitas, von Ethik und Politik – vornehmlich um die eigene, bessere Moral.

Das hört sich dann so an: »An der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei verkaufen wir in diesen Tagen unsere grundsätzlichen Werte: Menschenrechte und Menschlichkeit. Die ehemals schöne Braut Europa ist hässlich geworden, weil sie nicht umgehend alle Kinder, Frauen und Männer aufnimmt, die in Griechenland vor der Tür stehen. Statt dieses einzig Richtige zu tun, lassen wir uns von Neofaschisten genauso wie vom Corona-Virus in Schreckstarre versetzen. Mit Verlaub: Ich könnte kotzen!« »Wir müssen die Parlamente stürmen, damit endlich eine christliche und barmherzige Flüchtlingspolitik in Europa einziehen kann. Die Kirche mit ihrem Schiff zur Seenotrettung im Mittelmeer weist uns dabei als leuchtendes Beispiel für das schöne Europa den Weg.« (Pfarrerin Annette Behnke am Samstag, 07.03.2020, auf ARD)

Fürwahr, ein rechter Seelentrost in Zeiten pandemischer Ungewissheit. Kritisches Nachdenken über evidente Fakten, über Ursachen, Folgen und Gefahren militanter Migration (siehe dazu Gunnar Heinsohn: https://www.achgut.com/artikel/der_bericht_zur_fluechtlings_weltlage) passt nicht in die empfohlene Gefühlslage.