von Hans-Otto Hemmer

Wenn von der Gewerkschaftsbewegung im geteilten Nachkriegsdeutschland die Rede ist, so ist vorab klarzustellen, dass etliche Teile und Stationen dieses großen Themas

inzwischen gut erforscht und dargestellt worden sind, andere hingegen nur ansatzweise oder gar nicht. So wissen wir inzwischen viel über die legendären Interzonenkonferenzen der Gewerkschaften von 1946 bis 1948, aber auch über die Zeit von 1955 bis 1969 – dank der umfangreichen und detaillierten Dissertation von Jörg Hildebrandt, die jüngst erschienen ist.
Weniger ist über die Zeit der Neuen Ostpolitik Willy Brandts und dann Helmut Schmidts bekannt. Nicht allzu viel wissen wir über die Ära Kohl, die für den Historiker noch nicht die rechte Patina angesetzt hat. Über die Phase der »Wiedervereinigung« gibt es natürlich mancherlei Texte von Zeitzeugen, Beteiligten und Betroffenen, aber auch hier reicht der Abstand noch nicht recht für eine abgeklärte historische Betrachtung. Soviel vorweg also zudem, was man ›Forschungslage‹ nennt.

 

Sodann die Thesen des folgenden Textes:

Erstens: Die »Deutschlandpolitik« der Gewerkschaftsbünde und Gewerkschaften folgte hüben wie drüben der staatlichen Politik – selbstverständlich mit jeweiligen Nuancen und Eigenheiten. Das gilt sowohl für die Abgrenzungspolitik des Kalten Krieges wie für die Annäherungspolitik der Neuen Ostpolitik.

Zweitens: Die Gewerkschaftspolitik beider deutscher Staaten war überdies eingebunden in die Politik ihres jeweiligen »Blockes«, nicht nur über die internationalen Gewerkschaftsbünde, sondern auch über die Politik der »Vormächte« USA und UdSSR.

Drittens: Während der gesamten historischen Phase zwischen 1945 und 1989/90 bleibt die Grundspannung zwischen zwei Gewerkschaftsorganisationen erhalten, die definitorisch und ideologisch unterschiedlicher nicht sein können. Hier die Gewerkschaften, die ihre Aufgabe darin sehen, die Lage der Arbeitnehmer im kapitalistischen System umfassend zu bessern und die dabei politisch unabhängig sind; dort Gewerkschaften, die, nach dem berühmten Wort Lenins, als »Transmissionsriemen« der in jeder Beziehung dominanten Partei zu wirken haben – als »Rekrutenschulen« des Proletariats und als Helfer bei der ökonomischen Entwicklung.

Phase I: Eine einheitliche Gewerkschaftsorganisation für ganz Deutschland - die Interzonenkonferenzen

Viele Gewerkschafter erkannten in der Zersplitterung der deutschen Gewerkschaftsbewegung während der Weimarer Republik einen Grund für Aufstieg und Sieg des Nationalsozialismus: Sie hatten sich nicht zusammenfinden und zusammentun können, um den Faschismus zu bekämpfen und womöglich zu besiegen. Die Kommunisten, die in Sozialdemokraten und Gewerkschaftern zeitweise ärgere Feinde zu erkennen glaubten als in den Nazis, spielten in diesem Zusammenhang eine besonders bemerkenswerte Rolle. Die Schlussfolgerung jedenfalls aus dieser epochalen Niederlage lautete für die meisten Gewerkschafter aller Richtungen: Um Ähnliches ein für allemal auszuschließen, bedarf es der gewerkschaftlichen Solidarität über Glaubens- und Ideologiegrenzen hinweg in einer Einheitsgewerkschaft.

Gemäß diesen Erfahrungen und mit dieser Zielrichtung gingen Gewerkschafter in allen Besatzungszonen an die Wiedererrichtung von Gewerkschaften. Und obwohl sich schon sehr bald abzeichnete, dass nicht nur ökonomische Entscheidungen und Entwicklungen die westlichen Besatzungszonen und die östliche Besatzungszone in unterschiedliche Richtungen trieb, hielten die Gewerkschaften an der Vorstellung einer deutschen Einheit und einer gemeinsamen Einheitsgewerkschaft fest: Von Juni 1946 bis August 1948 hielten sie neun Interzonenkonferenzen ab, bei denen es etwa um die Gestalt eines gesamtdeutschen gewerkschaftlichen Dachverbandes oder um Fragen von Wirtschaftsplanung bis hin zur Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien ging.

Allerdings machte sich in diesen Treffen die Spannung zwischen westlichen und östlichen Gewerkschaftsprinzipien bemerkbar. Als Fritz Tarnow, der Vorsitzende der Holzarbeitergewerkschaft während der Weimarer Republik, bei der Interzonenkonferenz im Februar 1948 in Dresden eine Erklärung vorlegte, wonach »Existenz und Tätigkeit der Gewerkschaften nur in der Freiheit einer demokratischen Staatsordnung gesichert« seien und zudem notwendige Bedingung jeder gewerkschaftlichen Interessenvertretung, kennzeichneten die kommunistischen Funktionäre das als »demagogisches Machwerk«. Aber es war eben mehr als das, es war der Prüfstein einer von Staat und Parteien unabhängigen demokratischen Gewerkschaftsbewegung, die die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer vertritt.
Aber die Wege der Gewerkschaften im Osten und im Westen Deutschlands trennten sich nicht nur wegen dieser Unverträglichkeit, sondern auch wegen jener exogenen Faktoren, die die Welt für einige Jahrzehnte in zwei sich belauernde Lager teilten. Während die Gewerkschaften der Westzonen dem Marshall-Plan zustimmten, wurde der FDGB zum untergeordneten Gehilfen einer alles bestimmenden und kontrollierenden SED. Die Berliner Blockade bis 1949 tat ein übriges zur konsequenten und langdauernden Trennung der Gewerkschaften im Osten und im Westen Deutschlands. Der Traum von der Einheit war an den Realitäten gescheitert.

Exkurs: Die amerikanische Gewerkschaftsbewegung

George Meany, der Präsident der AFL, hatte sich schon 1944 davon überzeugen lassen, dass die sowjetische Seite nach einem Sieg über Deutschland versuchen würde, die Arbeiterbewegung Europas als Element einer subversiven Eroberungspolitik zu nutzen. Diese Einschätzung stammte von Jay Lovestone, der ursprünglich Kommunist, ja sogar Generalsekretär der Kommunistischen Partei der USA gewesen war und der sich, nach einer Kontroverse mit Stalin und einer abenteuerlichen Flucht aus der Sowjetunion zurück in die USA, zum ausgemachten Anti-Kommunisten gewandelt hatte. 1941 trat er in die Dienste der AFL ein und spielte bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1974, um es mit den Worten seines Biografen Ted Morgan zu sagen, »ein Brettspiel auf der Weltkarte, das ihn zu einem der Masterminds des Kalten Krieges« werden ließ. Dabei bediente er sich in den späteren Jahren auch gern der CIA – und umgekehrt natürlich.

Jedenfalls hatte er, zusammen mit seinen Mitstreitern Irving Brown und Henry Rutz, wesentlichen Anteil daran, dass die amerikanische Besatzungspolitik sowohl gegenüber Gewerkschaftsgründungen als auch gegenüber Demontagen gelockert wurde. Lovestone wirkte maßgeblich darauf hin, dass den Gewerkschaften in den westlichen Zonen Eigentum und Vermögen zurückgegeben wurden. Lovestone, der auch in anderen Ländern Europas jeglichen kommunistischen Einfluss auf die Gewerkschaftsbewegungen unnachsichtig bekämpfte, sollte für die kommenden  zwanzig Jahre der scharfsichtige und unüberwindbare Cerberus gegen kommunistische Einflussnahme in westlichen Gewerkschaften bleiben.
Der Kalte Krieg

Vor uns liegt nun die lange Wegstrecke des Kalten Krieges vom Beginn der fünfziger bis zum Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Innerhalb dieses Zeitraums lässt sich eine Phase der strikten Abgrenzung bis zum Beginn der sechziger Jahre von einer nachfolgenden Phase der Annäherung der Blöcke unterscheiden. Diesem Grundmuster unterlag auch die deutsch-deutsche Gewerkschaftspolitik dieser Jahre und Jahrzehnte.
Nachdem der DGB 1951 von den kommunistischen Funktionären in seinen Reihen eine formelle Loyalitätserklärung erwirkt hatte, erging auch ein Kontaktverbot zum FDGB und zur SED. Gleichzeitig befürwortete der DGB seit seiner Gründung im Oktober 1949 vehement die Wiedervereinigung, als deren schärfste Gegner er, gerade nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, die Funktionäre von SED und FDGB geißelte, die sich, wie es in einer Erklärung zur Wiedervereinigung Deutschlands von 1957 heißt, »einer Wiedervereinigung auf demokratischer Grundlage mit allen Mitteln« widersetzten.

Der FDGB auf der anderen Seite mühte sich nach Kräften, Verbindungen zwischen alten Gewerkschaftsfunktionären hüben und drüben wiederzubeleben und zu benutzen; Delegationen in die Bundesrepublik zu schicken und dort auch Instrukteure einzusetzen, die den Auftrag zur politischen, wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Infiltration hatten. Außerdem wurde eine »Gesamtdeutsche Arbeiterkonferenz« eingerichtet, die erstmals 1954 in Leipzig tagte und, laut Walter Ulbricht, »allen westdeutschen Arbeitern einen offenen Meinungsaustausch« anbot. Tatsächlich wurde sie mehr und mehr, so Hildebrandt, »zur Anleitung konspirativer Tätigkeiten westdeutscher Kommunisten genutzt« und diente der Kommunikation von Funktionären in Ost und West sowie der Pflege von Netzwerken.

Neben dieser Basisarbeit vernachlässigten FDGB, SED und Staatssicherheit die ›große‹ Politik nicht. In der hochbrisanten Auseinandersetzung um Viktor Agartz, den ›Cheftheoretiker‹ des DGB, seinen Mitarbeiter Theo Pirker und das Wirtschaftswissenschaftliche Institut des DGB in den Jahren 1954 und 1955 – es ging dabei nicht zuletzt um grundsätzliche Fragen der Wirtschaftsordnung, der Wiederbewaffnung und des Ost-West-Verhältnisses – spielten sie eine Rolle, die immer noch endgültiger Aufklärung bedarf.

Derjenige, der die westdeutschen Gewerkschaften eisern auf der Linie der Abgrenzung gegenüber den östlichen Gewerkschaften, insbesondere dem FDGB, gehalten hat, war der langjährige Vorsitzende der IG Metall, Otto Brenner. Brenner, der ursprünglich aus der linkssozialistischen SAP kam, war ein eingeschworener Gegner jeder totalitären kommunistischen Parteidiktatur und hielt die Gewerkschaften Osteuropas für Handlanger der alles beherrschenden kommunistischen Parteien. Zusammen mit Gleichgesinnten wie den DGB-Vorsitzenden Willi Richter und Ludwig Rosenberg, wie Werner Hansen und Edu Wald, sorgte er dafür, dass Verbindungen zwischen den DGB-Gewerkschaften und dem FDGB bis zum Ende der sechziger Jahre prinzipiell verpönt blieben. Die Hauptakteure der Gegenseite, also etwa der langjährige FDGB-Vorsitzende Herbert Warnke, der später reaktivierte erste FDGB-Vorsitzende Hans Jendretzky, aber auch Warnkes Nachfolger Harry Tisch, blieben ganz und gar, ohne irgendeine erkennbare Ab- oder Aufweichung, von der SED abhängig, nicht zuletzt von den früheren Gewerkschaftern Walter Ulbricht und Erich Honecker.

Selbst die politische Vorrangstellung und das persönliche Ansehen Brenners konnten allerdings nicht verhindern, dass es bei den deutsch-deutschen Gewerkschaftsbeziehungen einige ›Ausreißer‹ gab, die nicht ohne Bedeutung für die spätere Entwicklung sein sollten.

So beschloss die IG Druck und Papier schon 1956, eine Studienkommission in die DDR zu schicken, was 1959 bekräftigt wurde. Von da an spielte die IG Druck eine Vorreiterrolle in Sachen DDR-Kontakte – nicht zuletzt durch ihren Vorsitzenden Leonhard Mahlein. 1976 zum Beispiel lehnte Mahlein es ab, sich mit Autoren und Liedermachern in der DDR, die nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns inhaftiert worden waren, zu solidarisieren. Daneben war es die Gewerkschaftsjugend ,die sich gegenüber Kontakten in die DDR aufgeschlossener als die Gesamtorganisation zeigte.

Die Neue Ostpolitik

Der Bau der Mauer am 13. August 1961 ließ die westdeutschen Gewerkschaften zunächst ihre Abgrenzung noch verschärfen, der DGB-Kongress von 1962 erweiterte den Satzungsauftrag sogar um den »Kampf gegen die Kommunisten«.

Bei genauem Hinsehen aber ist dieses epochale Ereignis der Anstoß zur Anerkennung der Realitäten in Europa und zur Entspannungspolitik – auch für die Gewerkschaften. Mit einigen Stichworten sei die Anfangsphase der Entspannungspolitik in Erinnerung gerufen: Ausgehend von der amerikanischen Politik des Interessenausgleichs mit der Sowjetunion begann der SPD-Vorsitzende und Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, seine Politik der »kleinen Schritte«; sein Berater Egon Bahr prägte 1964 die Formel »Wandel durch Annäherung«. Seit 1967, Brandt war inzwischen Außenminister einer Großen Koalition, bemühte sich die Bundesrepublik um diplomatische Beziehungen zu Staaten Südost- und Osteuropas. Daraufhin machte der Warschauer Pakt die Anerkennung der DDR zur Vorbedingung für diplomatische Beziehungen zwischen Bundesrepublik und sozialistischen Staaten.
Innerhalb des DGB, der bisher ein Bollwerk der Abgrenzung gewesen war, machte sich eine jüngere Funktionärsgeneration die neue Ostpolitik zu eigen und erfüllte dabei sogar eine Vorreiterrolle. An ihre Spitze setzte sich der 1964 zum ÖTV-Vorsitzenden gewählte, 39jährige Heinz Kluncker.

Kluncker repräsentierte eine neue Generation von Gewerkschaftsfunktionären, die nicht schon, wie etwa Brenner, während der Weimarer Republik aktiv waren und die die nationalsozialistische Zeit als Jugendliche und dann als Soldaten erlebt hatten. Kluncker allerdings hatten Kriegserlebnisse die Augen geöffnet, so dass er während der alliierten Invasion in der Normandie desertierte. Die folgende zweijährige Gefangenschaft in den USA prägten sein Demokratieverständnis. Schon 1946 zurück in seiner Heimatstadt Wuppertal, machte er nach Stationen als SPD-Sekretär und in der Sozialakademie Hamburg, schnell Karriere in der ÖTV in Stuttgart, deren Vorsitzender er bis 1982 blieb.
Funktionären wie Kluncker fehlten also die unangenehmen Erfahrungen, die die Älteren etwa mit kommunistischer Gewerkschaftspolitik gemacht hatten, so dass sie etwa die Frage der Kontaktaufnahme wesentlich unvoreingenommener sehen konnten.

Diese Einstellung passte ebenso zur sich wandelnden weltpolitischen Lage wie auch zu der sich langsam, aber deutlich verändernden Ostpolitik der Bundesrepublik.
Kluncker wurde – ähnlich wie der Krupp-Bevollmächtigte Berthold Beitz in der Wirtschaft – zum Pionier dieses Wandels in der praktischen Politik. Kein Zweifel übrigens daran, dass er seine Schritte jeweils mit dem Außenministerium und maßgeblichen Sozialdemokraten abstimmte.
Kluncker fuhr zunächst im September 1965 zu einem Fachkongress in die Tschechoslowakei – spektakulär begleitet von einem Fernsehteam und einem Spiegel-Reporter –, im März/April 1966 dann in die Sowjetunion. Er betonte immer wieder, dass es Kontakte zum FDGB dagegen nicht geben können und werde – nicht zuletzt wegen dessen Mitverantwortung für den Schießbefehl.

An dieser Stelle soll eine kleine Geschichte, sozusagen aus der Werkstatt des Historikers, eingeflochten werden: Als ich Heinz Kluncker Ende der neunziger Jahre für ein biografisches Buch ausführlich befragte, erwähnte er mit Nachdruck und Stolz, dass er in der Tschechoslowakei allem Werben der dort anwesenden FDGB-Funktionäre widerstanden und kein Sterbenswort mit einem von ihnen gewechselt habe. Als ich kürzlich im Bundesarchiv in Berlin arbeitete, stieß ich auf eine Akte, in der der damalige Kluncker-Besuch mit letzter Akribie festgehalten worden ist. Ein, wie ich annehmen muss, Geheimdienstler in Klunckers unmittelbarster Umgebung, wusste zu berichten, dass Kluncker ein langes Gespräch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden einer FDGB-Gewerkschaft beim Wein in seinem Hotelzimmer geführt hatte, über das striktestes Schweigen vereinbart wurde. Ich habe mich natürlich geärgert und verstehe es bis heute nicht, dass Kluncker sich auch noch beinahe fünzig Jahre später daran gehalten hat und ich es dann blauäugig so aufgeschrieben habe. In diesem Zusammenhang musste ich an das Bonmot denken, dass Zeitzeugen die natürlichen Feinde des Historikers seien – in diesem Fall hat es sich, leider, als zutreffend erwiesen.

Klunckers Linie sollte sich, trotz zunächst massiver interner Bedenken, ganz besonders von Otto Brenner, und trotz des Rückschlags durch die militärische Intervention des Ostblocks gegen den »Prager Frühling« im Sommer 1968 langfristig im DGB durchsetzen. Und obwohl der FDGB den Schwenk in der DGB-Ostpolitik mit Argus-Augen beobachtete – es gab Befürchtungen, die DDR solle von der UdSSR und den übrigen Ostblockländern isoliert werden – war die Einbeziehung der DDR in die westliche Kontaktpolitik nur noch eine Frage der Zeit.

Welchen Weg die westdeutschen Gewerkschaften seit ihrer Wiedergründung in Sachen Ostpolitik gegangen waren, zeigt der Fall Kuno Brandel. Der 1907 geborene Schwabe, Werkzeugmacher von Beruf, war von der SPD über die KPD in die KPO gegangen, 1933 emigriert, und über die Schweiz, Frankreich und Spanien in die USA gelangt, wo er bei der AFL arbeitete. 1948 kehrte er aus dem Exil zurück, wurde Chefredakteur der Zeitung der IG Metall und später Mitglied des Vorstands der IG Metall. Er war ein enger Vertrauter Brenners, so dass seine Amtsenthebung 1961 auf allgemeines Unverständnis stieß. Offenbar lag dem ein Richtungsstreit zugrunde, bei dem Brandel für ein klares Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik und für eine programmatische Orientierung am Godesberger Programm der SPD plädiert hatte.

Dieser Brandel, inzwischen bei der IG Bau-Steine-Erden beschäftigt, geißelte sechs Jahre später in einem Brief an den DGB-Vorsitzenden Ludwig Rosenberg dessen Bereitschaft, »an den Feierlichkeiten zum 50.Jahrestag der bolschewistischen Revolution« teilzunehmen. In einem weiteren Brief an den gesamten DGB-Bundesvorstand legte er nach und forderte den DGB auf, sich nicht »vor den kommunistischen Propagandakarren« spannen zu lassen. Der DGB sollte vielmehr darstellen, »dass freie Gewerkschaften und demokratische Sozialisten nichts mit den Kommunisten verbindet«. Rosenberg fuhr zwar nicht nach Moskau, aber Brandel verlor sein Gewerkschaftsamt. Hildebrandt resümiert: »Der demokratische Antikommunismus hatte damit seinen instrumentellen Charakter als Abgrenzungsmöglichkeit von den Staaten Osteuropas endgültig verloren«.

Mit dem DGB-Kongress 1969 und dem Wechsel im DGB-Vorsitz von Ludwig Rosenberg zu Heinz-Oskar Vetter verstärkten sich die Anzeichen für eine neue gewerkschaftliche Ostpolitik. Nach und nach wurden programmatische und satzungsmäßige Hürden beiseite geräumt, etwa die Forderung nach Wiedervereinigung oder die Abgrenzung zu kommunistischer Gewerkschaftspolitik.

Dabei folgte der DGB im wesentlichen der Politik der neuen sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt, wie Vetter es in seinen Erinnerungen dargelegt hat – hier sein Resümee aus dem Jahr 1982: »Wir hielten es für unsere Aufgabe, im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten einen eigenen Beitrag zur Begleitung und Unterstützung dieser Politik zu leisten, zumal wir fest davon überzeugt waren und sind, dass die Entspannungspolitik eine wesentliche Voraussetzung für die Erhaltung eines kriegsfreien Zustandes in Europa ist. Illusionen über Art und Qualität von Beziehungen zwischen den Gewerkschaften der beiden Systeme hatten wir nicht. In der Tat gibt es sehr wenig Möglichkeiten zu einer konstruktiven und sinnvollen Zusammenarbeit über originäre gewerkschaftliche Themen. Versucht wird es oft – meistens ist es gescheitert. Das liegt vor allem an den völlig unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Funktionen der Gewerkschaften bei uns und im Ostblock. Diese Funktionen sind unverändert nicht auf einen Nenner zu bringen und nach wie vor miteinander unverträglich.«

An der Spitze einer DGB-Delegation fuhr Vetter im Dezember 1969 zum Zentralrat der sowjetischen Gewerkschaften: Die Ostpolitik der westdeutschen Gewerkschaften nahm endgültig Fahrt auf. Die sowjetischen Gewerkschaften mahnten nunmehr ihrerseits eine Normalisierung der Beziehungen zwischen DGB und FDGB an. Nachdem auch Bundeskanzler Brandt und seine Regierung Kontakte zum FDGB ebenso befürworteten wie zu den übrigen Ostblockländern, kündigte Vetter beim DGB-Kongress 1972 eine »Normalisierung der Beziehungen zwischen dem FDGB und uns« an. Waren die bisherigen Vorgespräche über Treffen stets an der Frage der Einbeziehung West-Berlins gescheitert, so dauerte es jetzt nicht lange, bis das erste Gespräch zwischen Vetter und Warnke im Oktober 1972 in Ost-Berlin stattfand.

Die nun folgende Phase der deutsch-deutschen Gewerkschaftspolitik ist als »Spitzenfunktionärs-Diplomatie … unter Ausschluss der Gewerkschaftsmitgliedschaft und über ihre Köpfe hinweg« bezeichnet worden. Und der Bürgerrechtler Wolfgang Templin schreibt 1993 rückblickend: »Wenn man dem DGB positiv unterstellt, dass er mit seiner Strategie von Spitzengesprächen und Begegnungstreffen mit FDGB-Funktionären in den siebziger und achtziger Jahren mehr wollte, als die bloße politische Anerkennung und Stabilisierung der DDR zu unterstützen, ist er jedenfalls mit diesen Absichten glatt gescheitert«.

Zwischen 1973 und 1985 besuchten je etwa siebzig Vorstandsdelegationen von DGB-Gewerkschaften die DDR und umgekehrt. Danach intensivierte sich der Kontakt  bis 1989 sogar noch. Jedes dieser Treffen wurde seitens des FDGB auf das penibelste vor- und nachbereitet. Hier sei am Rande vermerkt, dass sich in den diversen Abteilungen des FDGB und seiner Gewerkschaften mindestens eine Hundertschaft von Funktionären mit »Westarbeit« beschäftigte, von Partei und Geheimdienst einmal ganz abgesehen, während es beim DGB und dessen Gewerkschaften zu keiner Zeit insgesamt mehr als zehn Personen waren.

Wer die einschlägigen Akten studiert hat, kann nur staunen, mit welchem Aufwand und mit welcher Akribie hier gearbeitet wurde. Buchstäblich nichts wurde dem Zufall überlassen. Die westdeutschen Delegationen haben diese Arbeitsweise und dieses Ritual akzeptiert – von Ausnahmen wird zu reden sein. Es wurde kaum nachgefragt und wenig widersprochen, kontroverse Themen wurden von vornherein ausgespart. Und es gab durchaus auch Kumpanei und feucht-fröhliches Beisammensein satt. Die Schilderungen der vielen Delegationsbesuche im einzelnen sind an Langeweile und Ödnis wohl kaum zu überbieten.

Es soll hier aber keineswegs der Eindruck erweckt werden, als hätte es in den siebziger und achtziger Jahren eine kontinuierliche Folge von Gewerkschaftsbesuchen hüben und drüben gegeben. So hat der DGB die Beziehungen zwischen 1973 und 1976 wegen diverser Spionagefälle, wegen der Verdoppelung des Zwangsumtausches und wegen des Schießbefehls unterbrochen; zwischen 1980 und 1982 herrschte ebenfalls Stillstand – insbesondere wegen der Ereignisse in Polen. Von 1984 bis 1989 gab es dann allerdings, unter dem DGB-Vorsitzenden Ernst Breit, wieder einen regelmäßigen regen Besuchsverkehr. Unverkennbar ist, dass sich dabei so etwas wie eine Routine einschlich, die die Westdelegationen davon abhielt, kritische Punkte anzusprechen oder heikle Fragen zu stellen. In einem Brief an das Politbüro schrieb der FDGB-Vorsitzende Harry Tisch nach einem FDGB/DGB-Treffen 1987: »Seitens der DGB-Delegation wurde alles vermieden, was den positiven Verlauf hätte stören können«.

Der Begriff »Spionage« ist gefallen, und in der Tat ist es bemerkenswert, welche Rolle geheimdienstliche Aspekte in den deutsch-deutschen Gewerkschaftsbeziehungen spielten. Auf die Verbindung zwischen Lovestone und CIA wurde bereits hingewiesen; die andere Seite war ebenfalls alles andere als untätig. Zu vermuten ist sogar, dass Spionagetätigkeit im engeren Sinn den Hauptteil der gewerkschaftlichen DDR-Westarbeit ausmachte. Auch wenn es institutionelle Verbindungen zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit und dem FDGB gab, lagen Federführung und Verantwortung für die Ausspähung von DGB und Gewerkschaften zweifellos bei der Staatssicherheit, über deren Aktivitäten im einzelnen die FDGB-Führung wohl nicht informiert wurde, deren Ergebnisse sie aber nutzen konnte. So war die FDGB-Führung, vielfach unmittelbar nach der entsprechenden Sitzung, mit dem Originalprotokoll der DGB-Bundesvorstandsberatungen versorgt. Personelle, politische und organisatorische Entwicklungen aller Art beim DGB und den Gewerkschaften waren bestens bekannt. Das war ein Gesamtergebnis aus freimütigen Informationen, wie sie Funktionäre, darunter auch Spitzenfunktionäre mehrerer Gewerkschaften der Bundesrepublik, immer wieder lieferten; aus der Tätigkeit der erwähnten »Instrukteure« und »Informanten«; aus Mitteilungen aus der DKP und deren Umfeld; aber sicher in erster Linie aus professioneller Agentenarbeit.

Der spektakulärste Fall in diesem Zusammenhang war der von Wilhelm Gronau, der persönlicher Referent des DGB-Vorsitzenden Richter gewesen war, dann Sekretär der Kommission Aktionsprogramm, der Otto Brenner vorsaß, und seit 1968 Leiter des Referats Wiedervereinigung beim DGB-Bundesvorstand. Gronau, eine Schlüsselfigur für die deutsch-deutsche Gewerkschaftspolitik, wurde im September 1972 bei der Übergabe von Papieren in West-Berlin als Agent der Staatssicherheit festgenommen. Ein Kollege, der im DGB-Bundesvorstand in Düsseldorf nur durch wenige Büros von Gronau getrennt arbeitete und lange Zeit für die Medienpolitik des DGB zuständig war, Günter Scheer, wurde erst nach der Wende enttarnt. Hinzu kommen ähnlich gelagerte Fälle bei mehreren Gewerkschaften und wahrscheinlich jene, die nie aktenkundig wurden. Soviel zu diesem Thema.

Natürlich – und glücklicherweise – gab es Ausnahmen von der Regel der Nichteinmischung und Zurückhaltung, von der polnischen Solidarnosc war schon die Rede, zwei weitere Beispiele sollen erwähnt werden: Im Juni 1975 setzten Hans Mayr, der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall und sein Begleiter Otmar Günther die ungeschriebenen Gesetze des deutsch-deutschen Delegationswesens außer Kraft und besuchten eigenmächtig frühmorgens den Speiseraum des Rohrkombinats Riesa, um mit ›normalen‹ Arbeitern unbeaufsichtigt zu diskutieren. Die offiziellen Gespräche wurden daraufhin von der DDR abgebrochen, die beiden Gewerkschafter unverzüglich abgeschoben. Es dauerte ein Jahr, bis die Ost-IG-Metall gequält ihr Bedauern erklärte. Der Vorfall blieb ohne Folgen; es unterblieben allerdings auch bis weit in die achtziger Jahre hinein Versuche westdeutscher Gewerkschafter, irgendwelche ungeplanten Kontakte in der DDR aufzunehmen, sei es mit Arbeitnehmern oder etwa auch mit Dissidenten.

Erst 1988 kam es wieder zu einem Eklat, als das DGB-Bundesvorstandsmitglied Ilse Brusis vor der Reise einer Delegation der DGB-Jugend in die DDR Harry Tisch brieflich ihr Erschrecken über die Durchsuchung der Umweltbibliothek in der Zionskirche und weitere Vorkommnisse mitteilte. Sie bat Tisch um Vermittlung eines Besuchs bei den DDR-Umweltschützern. Das untersagte Honecker höchstpersönlich; der Besuch wurde abgebrochen. Auch dieser Vorfall blieb ohne Folgen, es wurden keine weiteren Anstrengungen unternommen, mit DDR-Umweltgruppen Kontakt aufzunehmen. Vielmehr wurde bei dem bald folgenden offiziellen DGB/FDGB-Treffen erfolgreich versucht, die Wogen zu glätten und den Schaden zu begrenzen.

Bis 1989, bis zu dem geradezu gespenstischen Besuch von Harry Tisch beim DGB im September 1989, blieb es bei jenem Einvernehmen in den Gesprächen zwischen den Gewerkschaften der DDR und der Bundesrepublik. Erst im Frühjahr 1990, als die Unreformierbarkeit des FDGB unübersehbar geworden war, entschieden sich die westdeutschen Gewerkschaften zu einem gewerkschaftlichen Neuanfang in der DDR.
Der DGB und seine Gewerkschaften sind in der Ostpolitik einen weiten Weg gegangen von den fünfziger Jahren bis in die achtziger Jahre.
Auf diese Wegstrecke zurückblickend hat der damalige Vorsitzende der Gewerkschaft und Wissenschaft, Dieter Wunder, im Jahr 1990 folgende Fragen formuliert:
»Haben wir nicht allzu lange ein kämpferisches Demokratieverständnis als Position des ›Kalten Krieges‹ abgetan? Sind wir mit Kritik an der kommunistischen Diktatur und ihren Menschenrechtsverletzungen nicht manchmal sehr zurückhaltend gewesen? Sind wir immer der Gefahr ausgewichen, zweifelhafte Funktionäre einer stalinistisch geprägten Organisation durch unsere Kontakte zu stützen? Wäre es nicht Aufgabe des DGB gewesen, frühzeitig Kontakte zu Kräften der Kirche, der Friedens- und Umweltbewegung zu finden und ihnen den ›Schutz‹ der Gewerkschaften zu geben.«

Ihm ist geantwortet worden, dass es im gewerkschaftlichen Rahmen keine erkennbaren Ansätze zu Widerstand und Protest in der DDR gegeben habe und dass man Kontakte zu anderen Gruppen mangels Kenntnis nicht habe knüpfen können. So mag es gewesen sein. Es bleibt der Verdacht, dass die deutsch-deutsche Gewerkschaftspolitik ihre Möglichkeiten nicht ausgeschöpft hat.


Vortrag auf der Fachtagung IGBCE-Landesbezirk Hessen und Hessische Landeszentrale für politische Bildung; Fulda, 13. November 2010; leicht bearbeitete Version durch die Redaktion