von Harald G. Dill

Ansichten eines Außerfränkischen

Es gibt Menschen, die man als omnipräsent empfindet. Im prädigitalen Zeitalter waren dies die ›Spagatprofessoren‹, die an zwei weit auseinanderliegenden Hochschulen ›gleichzeitig‹ Vorlesung hielten. Später kam ein Minister hinzu, der sich auf seinen Dienstreisen ins Ausland in der Luft begegnete. Ein anderer Politiker aus der CDU ist bekanntermaßen bei jedem Thema an jedem Ort präsent. Diese Personen sind aber alle ›Waisenknaben‹, vergleicht man sie mit dem Sonnen-Kini von Schweinau.

Dr. S. ist nicht erst seit dem Corona-Drama ein von Medien und Massen getragener Vorzeige-Macher. Er hat für beide Gruppierungen einen hohen Unterhaltungswert. Wo immer in Süddeutschland Kameras surren und vom Bier-Dampf durchwaberte Bierzelte und Hallen stehen, ist er mitten drin. Haben sie schon einmal ein Bild, mag es auch inszeniert sein, dieses Politikers am Schreibtisch gesehen ? Kurzum der oben genannte ›Hansdampf in allen Gassen‹ ist ein herausragender Vertreter der bayerischen S-Klasse.

Es handelt sich bei dieser Bezeichnung nicht etwa um eine regionale Verwechslung im Bereich der süddeutschen Automobilindustrie, sondern es geht um die ›Staats-Schau-Spieler‹ der bayerischen CSU (St., St., S., S., S.), die es bis ins Maximilianeum schafften. Ihre großen Auftritte aber haben diese ›Staats-Schau-Spieler‹ alljährlich auf der Bühne des Nockherberg im München, einer süddeutschen Event-Location und in Veitshöchheim bei der Prunksitzung der ›Fränkischen Fassnacht‹. Ihre Auftritte im Maximilianeum sind jedoch weniger spektakulär und alles andere als mitreißend. Sie ähneln eher dem Auftritt des dritten Pharisäers von hinten links, auf der Bühne der Passionsspiele in Oberammergau. Diese finden alle 10 Jahre statt. Ein zu langer Zeitraum, um als bayerischer S-Klässler beim Volk bekannt zu werden. Politiker finden immer eine große Bühne und sie machen ausgiebig Gebrauch von dieser Möglichkeit sich zu produzieren, was beim Bürger nicht selten zu einer falschen Einschätzung der Person führen kann, wenn man sich mit politischer Theaterwissenschaft nicht auskennt oder sich mit der ›S-Klasse in Bayern‹ nicht näher befasst.

Da meine Sozialisierung in ›Bayerisch Sibirien‹ (Oberfranken) stattfand, kann ich vielleicht besser als mancher Nichtfranken das Gebaren eines ›Bederlespoum‹ (Mittefranke-Nürnberger Bürger) interpretieren. Ich kommentiere das Geschehen heute aber nur noch aus dem Blickwinkel eines Exil-Franken, der in der kulinarischen Halbwüste lebt [ich erwähne nur den Calenberger Pfannenschlag = Bismarcks letzter Husten] und betrachte es nicht als eine Schmähung meiner alten Heimat, sondern als einen Dienst an meinem Vaterland (Zivilberuf: 1978-2014, Militärdienst: 1969-2006).

Dr. S. hat sich schon sehr lange auf seine Bühnenauftritte vorbereitet und nichts dem Zufall überlassen. Auf der Prunksitzung der „Fränkischen Fassnacht erschien er immer wieder in einer neuen Maske. Er tauchte ab in die Rolle der verführerischen ›Marylin Monroe‹ (2013), gab sich 2014 noch als Held ›Shrek‹ und trat 2018 bereits in der Person, des in Altbayern Halbgott-Status besitzenden ›Prinzregenten Luitpold von Bayern‹ auf. 2024 erschien er mit Bart, der fast sein ganzes Antlitz verhüllte, nicht etwa wie der KaLeun von U 96 und seine Männer aus dem ›Boot‹ nach 100 Tagen Feinfahrt, sondern wie das Walross ›Antje‹ (1976-2003), das als Maskottchen des NDR zur bester Fernsehzeit täglich am Beckenrand auftauchte und einige Grunzlaute in die Kamera ›sprach‹. Mit diesem Haarwuchs an prominenter Stelle sollte wohl auch noch der dümmste Preuße überzeugt werden, dass er ›Kini koo‹.

Diese vielsagende Metamorphose, die in Veitshöchheim begann, fand in der Rolle des als fränkischer ›Sonnen-Kini‹ in Schloss Herrenchiemsee mit seiner Entourage (Fränkisch= Pagaasch) einen vorläufigen Höhepunkt. Aus Berlin reiste damals die Kanzlerin für Restdeutschland, Frau Dr. M., an. Dieses Staatsschauspiels ließ das bayerische ›Mini-Versailles‹ im Chiemsee in neuer Größe und geradezu märchenhaftem Glanz erscheinen. Der französische Roi Soleil würde vor Neid erblassen, könnte er heute die Auftritte seines fränkischen Pendants im Freistaat sehen. Wie sagte doch der fränkische ›Sonnen-Kini‹: ›Le losange c´est moi‹. Und Angela von der Spree schlug die Augen nieder und machte dieselbe.

Nur keinen Fototermin auslassen heißt die Devise. Wo auch die ›Talk-Schau‹ stattfinden mag und worüber man sich auch unterhält, eine Schalte nach München ist immer möglich. Der Chauffeur fragte: ›Wo soll es heute hingehen?‹ – ›Egal, ich werde überall gebraucht, es wissen nur noch nicht alle.‹ Als die Chinesen Schutzmasken schickten, nachdem sie das Corona-Desaster entfacht hatten, posierte Dr. S. zusammen mit einem anderen Mitglied der S-Klasse, Herrn Sch., auf dem Flughafen vor einem Stapel Schutzmasken. Die Masken waren zwar im Einsatz gegen Corona völlig nutzlos, aber beim Parkettabschleifen leisteten sie noch ganz gute Dienste. Vielleicht hätte Dr. S. den Frachtbrief erst an Frau Dr. W. leiten sollen. Sie spricht Chinesisch und versteht auch etwas von Wirtschaft. Möglicherweise lässt sie sich auch für einen gemeinsamen Fototermin, an Stelle des ›CSU-Road-Runners‹ gewinnen. Auf dem Vorfeld des Airports München FJS gibt es ja noch keine Brandmauern.

Dr. S. ist in Nürnberg-Schweinau geboren, er hat in Nürnberg sein Abitur gemacht. Seinen Wehrdienst leistete er direkt um die Ecke, beim Transport-Bataillon 270 in Nürnberg-Schweinau. Die Heimatfront konnte er als potentieller Heimschläfer quasi in Zudeldatschen (= Hausschuhe) erreichen. Nach seiner Bundeswehrzeit kam für Dr. S. eine echte Zäsur. An der Universität Nürnberg kann man das Fach Jura leider nicht studieren. Er musste in das 25 km entfernte Erlangen ausweichen.

Auch im Glacis von Nürnberg, nahe der Grenze zu Oberfranken, hat er sich nicht in ein berufsgefährdendes Wagnis gestürzt, sondern sich in einer Burschenschaft eingenistet und das Ganze mit einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung abgefedert (›not merit-based but need-based ‹). Er ist einer, der sein Vorwärtskommen nach allen Seiten absichert. Den forschen Macher und Angreifer mimt er weit hinter der Front, er weiß jedoch immer genau, wie man vorne den Krieg gewinnt, genau wie sein großes Idol FJS. ›Action‹ ist dann angesagt, wenn möglichst alle Kameras auf ihn gerichtet sind. Die persönliche Einstellung spielt dabei keine große Rolle, weit wichtiger ist die Kameraeinstellung. Er forderte gestern einen Flakschirm für alle deutschen Großstädte, heute startet er eine Fachkräfte-Offensive und morgen macht er alle Grenzen dicht. Jetzt fehlt nur die Lenkung des Wetters. Die Bayerische Staatskanzlei arbeitet bereits an einem Entwurf für die Regenumkehr und die Überdachung der bayerischen Flüssen. Dann gibt es keine Überschwemmungen mehr im Freistaat. Die Geologie im größten deutschen Flächenstaat richtet sich bereits nach seinen Vorgaben. Laut Aussage des größten Geologen Bayerns nach C.W. von Gümpel ist ein Endlager in Bayern an keiner Stelle möglich. Als einfacher Geologe nach mehr als 150 Publikationen über Bayern komme ich jedoch zu einer gänzlich anderen Sichte der Dinge,

Seine Arbeit beim Bayerischen Rundfunk war gewissermaßen Teil seiner Schauspielerkarriere. Dies war wohl auch sein erstes großes ›Auslandseinsatz‹. Eine produktive nach außen gerichtete und auf andere bezogene Tätigkeit, die sich in einem eindrucksvollen Leistungsnachweis niederschlug, lässt sich in diesem CV nur schwer erkennen. Horizonterweiterung und ideenreiches Vordringen auf neues Terrain sehen anders aus. Diese Vorgehensweisen rangieren alle weit hinter dem Ausbau und der Sicherung der eigenen Stellung. Das hat er mit einigen anderen Bayern gemein, die ebenfalls immer das gesellschaftspolitische Rampenlicht suchen, wie die Motten das Laternenlicht, deren Horizont aber mit den Bezirken Oberbayern, Oberpfalz und Niederbayern weiträumig umrissen werden kann.

Opportunismus und Populismus sind für ihn zwei Werkzeuge wie Hammer und Amboss. Er erklärt fix das Kruzifix nicht als Sinnbild der christlichen Religionen, sondern als Ausdruck der bayerischen Identität und Lebensart. Diese heftig diskutierte Initiative in Bayern hätte nicht so starke Kritik auch bei konservativ denkenden Bürgern hervorgerufen, wäre sie nicht sechs Monate vor der Landtagswahl auf dem Weg gebracht worden. Auch Tarnen und Täuschen wollen eben gelernt sein.

Dr. S. spiegelt vielleicht mehr als alle anderen in der S-Klasse das schillernde Erscheinungsbild der CSU wider. Für die Kamera generieren sie sich als stramme konservative „Kämpfer“, die vorgeben alles für Bayern und für Deutschland zu tun. Wenn es der persönlichen Besserstellung und einer Stärkung der Außenwirkung dient, dann ergreifen sie jede Gelegenheit , die sich bietet.

In unserer mitteilungswütigen Gesellschaft erlauben die zur Schau gestellten persönlichen Daten jedem Betrachter, sich ein umfassendes Bild einer ›Berühmtheit‹ zu machen. Wenn man einen Lebenslauf lesen kann, diesen mit anderen Daten verschneidet und auch zwischen den Zeilen eines CVs die verborgenen Aussagen, entdeckt, dann machen die gewonnenen Daten einem  manchmal sehr nachdenklich. Offensichtlich lassen sich zahlreiche Bürger von den Politikern zu oft blenden. Das mag entschuldbar sein in einer Republik , in der Politik nach Talkshowauftritten und anderen medialen Kleinkunstdarstellungen gemessen wird. 37 Prozent der Befragten halten S. als Kanzler geeignet (14.7.2024) , 31 Prozent sähen gerne M. als Kanzler, 17 Prozent Sch. und 16 Prozent H. als den geeigneten Kanzler bzw. Kanzlerkandidaten. Damit liegen sie alle weit entfernt vom ›Messias von Würselen‹, der mit 100 Prozent auf einen führenden Posten der SPD gewählt wurde und kurz davorstand über das Wasser zu wandeln, ehe er völlig versank.

Bisher war die Erfolgsserie der S-Klasse auf Bundesebene bei wohlwollender Betrachtung, sehr überschaubar. Die bayerischen Staatsschauspieler brauchen ihr Ensemble, ihre Komparsen, kurzum ihren Spezl-Clan. Bewegen sie sich südlich des Weißwurst-Äquators, so fühlen sie sich, wie ein Fisch im Wasser, kommen sie jedoch ins Nordmeer wird es einsam und sie driften durch die Fluten wie ein Gockel auf der Treibmine. Und irgendwann kracht es und dann fliegen die Federn.

Lässt man die neueste deutsche Geschichte Revue passieren, so könnte einen in Anbetracht des gegenwärtigen Politzirkus Schwermut und Hoffnungslosigkeit befallen, wären da nicht auch andere fränkische Persönlichkeiten von Rang und Namen. Da ist z.B. Prof. Dr. Ludwig Ehrhard (geb. 1897 in Fürth – gest. 1977 in Bonn), ein parteiloser Wirtschaftswissenschaftler, der später der CDU beitrat. Er war Bundesminister für Wirtschaft, zweiter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und der zweite CDU-Bundesvorsitzende. Dieser Franke, brauchte nicht die Schauspieltruppe der CSU und keine Spezl-Entourage. Er war der Vater der Sozialen Marktwirtschaft und des ›Wirtschaftswunders‹, die beide für sich selbst sprechen. Er hat die Vorstufen zur EU, den EGKS-Vertrag sehr skeptisch betrachtet und 1949 wie folgt kommentiert. »Das Ruhrstatut ist der tragische Fehlschlag der Nachkriegszeit. […] Die letzte Konsequenz des Statuts ist, dass die soziale Lebensführung, der Lebensstandard des deutschen Volkes, jetzt nicht mehr abhängig ist von deutschen Bestrebungen, deutschem Fleiß und deutscher Sozialpolitik, sondern vom Votum der Interessenten und Konkurrenten der deutschen Wirtschaft«. Eine Prophezeiung, die sich langsam aber stetig erfüllt.

Dr. S., ein Freund der Kurze-Wege-Karriere, hätte schon als junger aufstrebender Konservativer, im Umkreis von 17 Km rund um Nürnberg-Schweinau unter zwei namhaften politischen Vorbildern wählen können, Professor Ludwig Erhard und Professor Henry Kissinger, die beide aus Fürth stammen. Er wählte jedoch als sein Idol den ›Grawall-Hansl‹, einen Oberbayern aus dem 170 km entfernten München, der zwar immer auf die größte Pauke im Orchester haute, aber nichts auf die Reihe bekam.

Er hätte sich auch Josef Müller einen Bauernsohn aus Steinwiesen in Oberfranken (›Ochsensepp‹), der sich als Fuhrknecht verdingte und zum Rechtsanwalt hocharbeitete, als Vorbild nehmen können Dieser hat zwei Kriege mitgemacht, war im Widerstand gegen Hitler aktiv und kam dafür in das KZ Dachau. Nach dem Krieg baute er die CSU auf und war deren 1. Vorsitzender. Dieser fränkische Politiker ist heute nahezu unbekannt. Er war halt ›ka Schbroucher‹. Er hat auch Fehler gemacht, aber ›Er woara errlicha haud‹.