Preußens Gloria: Schlachten für die deutsche Einheit

von Immo Sennewald

Höhepunkt des Krieg ist die Gefangennahme und Kapitulation des französischen Kaisers Napoleon III., und als sein wichtigstes Resultat erscheint in Schulbüchern gemeinhin die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal des Versailler Schlosses. Das Geschehen ist in Archiven und Sammlungen sehr gut dokumentiert, darüber hinaus auch in den damaligen Zeitungen. Die Ära der Massenmedien hat begonnen: Illustrationen – meist Stiche nach Photographien – steigern Reichweiten, Attraktivität und Wirkung der Presse enorm, sie werden das Entstehen und den Verlauf kommender Kriege mitbestimmen. Wie groß die Bedeutung der Propaganda seinerzeit schon war, lässt ein Bericht der ›Gartenlaube‹ aus den Anfangswochen des Krieges erkennen. (Aus den Tagen des Kampfes. Wochen-Rapport Nr. 1. in: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 544–546)

Der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm hat eine Gesamtschau politischer, militärischer, technischer Entwicklungen und des Geschehens verfasst; er konnte auf eine kaum fassbare Fülle an Material bis hin zu Berichten von Augenzeugen zugreifen. Er hat klug ausgewählt, lässt beide Seiten und internationale Beobachter sprechen und erzählt so spannend, dass mir von der Einleitung an die Lust am Lesen niemals ausging. Schon die politische Vorgeschichte animierte mich darüber hinaus, im Internet nach weiteren Details zu suchen, etwa zum Chassepot-Gewehr, das dem deutschen Zündnadelgewehr überlegen war, wenn es auch die Niederlagen französischer Armeen letztlich nicht verhindern konnte. Der Autor regt immer wieder an, zukünftige Entwicklungen mitzudenken: dass Logistik und Mobilität der Truppen, auf Eisenbahnen gegründet, den Ausgang von Schlachten entschieden, wie Informationsflüsse von funktionierenden Telegraphen abhingen, wie die Wehrpflicht die deutsche Heerführung begünstigte und auf beiden Seiten der Rückhalt in der Bevölkerung den Kriegsverlauf mitbestimmte.

Wer selbst einmal stundenlang ungeschützt im Schlamm bei Wind und Regen unter freiem Himmel ausharren oder im Schützengraben eine Frostnacht durchstehen musste, hat zumindest eine Ahnung von den Leiden der Soldaten – Verwundung, Gefangennahme, Hunger und Tod kann er sich kaum vorstellen. Offiziere fielen häufig als erste, weil sie den Truppen Vorbild sein wollten; ›skin in the game‹ würde das heute heißen. Noch gab es Kämpfe Mann gegen Mann, aber deutsche Artillerie, französische Mitrailleusen als Vorläufer der Maschinengewehre wiesen auf die Vernichtungskraft künftiger Militärtechnik, Bombardements von Städten auf entgrenzte Gewalt in länger anhaltenden Konflikten hin.

Selbst in den wenigen Monaten dieses Krieges nahmen die Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung zu. Hunger und Seuchen, Plündern und Vergewaltigen, das Eingreifen von Guerilla, den sogenannten Franctireurs, gefolgt vom Niederbrennen ganzer Ortschaften zur Vergeltung erscheinen in Bremms Buch wie Wetterleuchten späterer Vernichtungsfeldzüge, Genozide, lassen den ›Totalen Krieg‹ vorausahnen.

Der Autor betrachtet gleichwohl den Triumph der Sieger, die Annexion von Elsass-Lothringen, den Friedensschluss Bismarcks nicht als simple Ursache kommender Weltkriege. Das deutsche Kaiserreich stabilisierte zunächst die europäische Ordnung. Die Schlächtereien des 20. Jahrhunderts bedurften vieler Faktoren – etwa des Emporkommens imperialer Impulse über den bloß nationalen Rahmen hinaus – um unvorstellbare Leichenberge und Zerstörungen zu hinterlassen. Mag auch manchen Sozialisten die Pariser Kommune von 1871 heute noch Probestück einer besseren Gesellschaft sein: Sie trägt den Keim jener Massaker in sich, mit denen sich totalitäre Regimes im Gefolge kommender Revolutionen blutig in die Annalen einschreiben sollten.

Dem Leser eröffnet sich mehr als Fakten, Ereignisse und Personen. Der Autor legt ihm nahe, über heutige ungelöste – womöglich unlösbare – Konflikte einer auf Frieden zielenden Politik nachzudenken: reichlich Stoff für qualifizierten Geschichtsunterricht.