von Gunter Weißgerber

Der Titel könnte in die Irre führen. Unheimlich leicht war nichts, überhaupt nichts von dem, was Michael, Gesine, Rainer, Christian, Uwe, Frank, Fred, Jochen, Hilli und alle anderen im Buch beschriebenen jungen Leute in der Diktatur der Arbeiterklasse trieben. Was sie mit offenem Visier, den großen Gefahren ins Auge schauend, strategisch durchdacht und geradezu gefahrverachtend taten. Unheimlich mutet es an, mit welch' frappierender Leichtigkeit diese jungen Leute zur Sache gingen. So ganz anders als blutrünstige Revolutionäre vom Schlag eines Robespierre oder Lenin.

Es war auch nicht der kindisch-zerstörende West-68er ›Widerstand‹ in der Demokratie (nicht zu verwechseln mit dem tatsächlichen Widerstand im Osten im Umfeld des 68er ›Prager Frühlings‹) oder dem Pegida/Legida-›Widerstands‹gestammel unter Polizeischutz. Es war tatsächlich ein todesmutiges Anliegen mit einem Terrorsystem kommunistischer Provenienz.

Peter Wensierskis Buch nun schildert Geschichten vom großen und kleinen Widerstand, die zu ihrer Zeit jedoch Haft- und Verurteilungsgründe en masse boten. Intelligenz gepaart mit überdurchschnittlichem Mut und einem feinen Sinn für Netzwerke setzen beim Lesen einen Film in Gang, der Gedanken an die Weiße Rose aufkommen lässt.

Klar, die DDR hatte keinen Volksgerichtshof mit einem Roland Freisler an der Spitze. Und Hilde Benjamin war auch schon lange tot. Offizielle Todesurteile waren seit 1981 nicht mehr zu erwarten. Aber hoppla: Der Freiheitswunsch war durch den antifaschistischen Schutzwall bis 1989 mit der Todesstrafe bewehrt. Christ Gueffroy würde sonst noch leben. Und Haftbedingungen wie in Hitlers Zuchthäusern und ›plötzliche Todesfälle‹ waren beileibe nicht ausgeschlossen. Wie in jeder Diktatur wusste auch in der DDR niemand, ob einem etwas passiert und wenn ja, was das sein würde. Unsicherheit als diktaturstärkendes Moment – das funktioniert immer.

Die von Wensierski beschriebenen jungen Helden focht das alles nicht an. Zum Glück, zu unser aller Glück! Der Widerstand in der SBZ/DDR war nie wirklich tot, trotz Terror, Haft, Todesschüssen, Ausbürgerungen.

Ich will es dem geneigten Leser nun nicht zu leicht machen. Selbst zu lesen ist die überaus lohnende Aufgabe. Zwei Phasen der Geschehnisse möchte ich allerdings doch besonders ans Herz legen:

Die Ausbürgerung aus der Nikolaikirche im August 1988 und den damit verbundenen öffentliche Raumgewinn (S. 113 bis 150)

Im täglichen Zwang zum Lavieren mit der Staatsmacht und aus Sorge um die rein kirchlichen Belange wie den Gottesdienste bewegten sich Superintendent Friedrich Magirius und Pfarrer Christian Führer weit weniger sicher als Pfarrer Christoph Wonneberger und Pfarrer Wolf-Michael Turek. Die Gratwanderung zwischen der Idee des Kirchenasyls und dem Befolgen staatlicher Erwartungen schien zeitweise einer Fieberkurve näher als einer kircheneigenen Linie, Standhalten und Versagen erschienen wie Geschwister.

Micha, Uwe und Frank wollten die Kollekte des letzten Friedensgebetes vor der Sommerpause 1988 für die Ordnungsstrafe von Jürgen Tallig, der die Wände des Fußgängertunnels am Leuschnerplatz mit einem Gorbatschow-Spruch aufgewertet hatte, sozusagen umwidmen und erbaten von der Friedensgebetsgemeinde Spenden für ihn. Magirius war erbost und entblödete sich nicht, »…eine Kollekte sammeln ohne Absprache, für einen Straffälligen« zu murmeln. Mit dem Aspekt des ›ohne Absprache‹ hatte er sicher recht. Die jungen Leute sind in dem Moment auch mit ihren Beschützern Schlitten gefahren. Doch verräterisch war sein Wort ›für einen Straffälligen‹. Ein Gorbatschow-Satz im öffentlichen Raum sollte eine Straftat sein? Ich denke, das ›Schlittenfahren‹ von Uwe und Co. war hier gerechtfertigt und auch nachvollziehbar. Nie und nimmer hätte Magirius der Kollekte für Tallig zugestimmt. Für mutig-anständige Straffällige hatte er wohl kein Verständnis. Unterstützung erfuhren die friedlichen Revolutionäre nur von Christoph Wonneberger, der Magirius vor der versammelten Gemeinde die Hackordnung beibrachte: »Ich leite das Friedensgebet, nicht Sie!«

Spätestens jetzt waren die Fronten klar: Hier der sich düpiert fühlende Superintendent Magirius, da der Beschützer und Unterstützer der friedlichen Oppositionellen Christoph Wonneberger. Für die Kirchenleitung konnte es nur einen Sieger geben, wollte sie für den SED-Stasistaat weiterhin akzeptierter Gesprächs- und Verhandlungspartner bleiben. Mielke und Co. sollte eine geklärte Situation offeriert werden. Wonneberger musste nach dieser Logik weichen, seine Anhänger mussten aus dem schützenden Raum der Kirche hinaus und damit wieder ohne Schutz in die Gefängnis-DDR hinein. Die Lösung hieß: Ablösung von Christoph Wonneberger als Organisator der Friedensgebete und die kontrollierte Organisation derselben fortan durch die Nikolaikirchgemeinde.

High Noon war der 29. August 1988, das erste Friedensgebet nach der Sommerpause. Magirius und Führer wollten alles glatt ziehen, die Oppositionellen ihrerseits allerdings auch. Nach vielem Hin und Her vor und während der Gebetsstunde ließ sich Pfarrer Christian Führer zu einem Satz hinreißen, der ihn für immer von der Friedlichen Revolution trennen würde: »Sie haben mich verstanden. Das sind keine Leute von uns«. Eine Feststellung mit Langzeitwirkung.

Nun waren die Aufmüpfigen draußen. Statt zu verzagen, nahmen sie den Fehdehandschuh jedoch auf. Jetzt ging es richtig los: Der Nikolaikirchhof wurde zur Brennkammer der Friedlichen Revolution. Die Opposition nahm den öffentlichen Raum in Besitz und erfuhr von nun an bis schließlich zum Herbst 1989, mit seinen Millionen Demonstranten in der ganzen DDR, eine bis dahin unvorstellbare öffentliche Wahrnehmung im In- und Ausland. Dank Gorbatschows Zurückhaltung nahm mit Magirius' und Führers Rauswurf der Opposition aus der Kirche genau das Fahrt auf, was heute die Friedliche Revolution genannt wird.

Doch gemach. Tollkühne Aktionen mussten diesem Augusttag erst noch folgen.

Die Vorbereitung und Durchführung der kirchenunabhängigen Demonstration am 15. Januar 1989 (S. 185 bis 237)

Die Mixtur aus Klugheit, Mut, Chuzpe, Organisationstalent, Solidarität, Zuverlässigkeit –verbunden mit dem praktischen Verständnis für die technischen Dinge wie Druck und Verteilung von Texten – nötigt für immer, den Hut zu ziehen. An dieser Stelle komme ich wieder auf die Assoziationen zur Weißen Rose zurück. Das geht nicht anders.

Allein die Lektüre der Beschreibung wie Thomas sein Verständnis der Entstehung und Verteilung von Samisdat-Literatur durchsetzt – diese Szene ist filmreif!

Ich schrieb es bereits und wiederhole es eindringlich: Leute, lest das ganze Buch! Jede Seite gibt mehr von dem doch möglichen anständigen Leben in einem an sich unanständigen System preis als viele Unterrichtsstunden im Geschichts- und Sozialkundeunterricht es bisher vermocht haben.

Wir diskutieren seit Jahren Freiheits- und Einheitsdenkmale in Berlin und Leipzig. Ein literarisches Freiheits- und Einheitsdenkmal haben wir jetzt dem Buch Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution zu verdanken. Auf seine spezifische Art ist Peter Wensierski sogar Teil dieses Denkmals, gehörte er doch zu den Westjournalisten, die bereits in den 80er Jahren Bücher über die Opposition und Jugendkultur in der DDR schrieben und damit Sorge trugen, dass das Feuer im Osten auch im Westen gesehen werden konnte – für die, die es sehen wollten. Wensierski war nicht Fluchthelfer, er war Revolutionshelfer.

Peter Wensierski ist aber noch nicht fertig. Aus Leipziger Sicht mit dem 4. September 1989 – dem Point of no Return – vielleicht. Aus ostdeutscher und mittelosteuropäischer Sicht muss er noch mal ran!

Mit dem 4. September 1989 kam nach dem tausendfachen Weglaufen über Prag, Budapest und Warschau der irre Zulauf auf Ostdeutschlands Straßen und Plätzen zu den Demonstrationen, kamen die Millionen Ostdeutschen, die das Rad dank Gorbatschows Zurückhaltung unablässig weiter in Richtung Freiheit drehten, die letztlich sogar die Absicherung der eben gewonnenen Freiheit in der deutschen und europäischen Einheit möglich machten.

Peter Wensierski könnte noch mehr beschreiben. Die Verhaftungen um den 4. September führten zu einer Solidarisierungswelle, die beispielhaft in der Ostberliner Gethsemanekirche mit der dortigen Mahnwache dank der Westmedien eine Ausstrahlung auf die gesamte DDR erreichte, was wiederum den Mut auch in Leipzig, Dresden, Plauen und überall in der DDR befeuerte.

In der Gethsemanekirche wurde dann auch mit den Gedächtnisprotokollen über die am 7. und 8. Oktober 1989 Verhafteten begonnen. Nach dem 4. September entstanden aus Sommerinitiativen Parteien und das Neue Forum. Der Strauß ist groß und vielfältig.

Lieber Peter Wensierski, setzen Sie noch einen drauf, beschreiben Sie den Fortgang der Ereignisse - der ohne die Helden dieses Buches nicht zu beschreiben wäre.

Ich kann es auch ganz persönlich machen. Ohne die Michas, Uwes, Gesines, Christophs, Jochens, Hillis und all die anderen hätte es auch solche Leute wie mich nicht in die Öffentlichkeit und in die Politik getragen.

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