Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

von Ulrich Siebgeber

Der Klatsch-Tratsch-Journalismus hat seine Beauvoir abgefeiert, nun ist sie wieder tot, aber in hundert Jahren, wer weiß... Wer weiß, wie sich die Dinge zwischen den Geschlechtern bis dahin entwickeln? Urkomisch sicher aus heutiger Sicht, und komisch werden auch die heutigen Generationen dastehen, eine um die andere. Da tut es gut, Klassiker lesen zu können und ihre Musterbeziehungen zu studieren, vor allem, wenn es an ihnen nichts zu studieren gibt außer, dass zwei Erwachsene, die gewillt sind, keine Kinder in die Welt zu setzen, in der Gestaltung ihrer Beziehungen frei sind.

Diese ungeheure Erkenntnis, allerdings verkürzt um das Kinder-Thema, hat die Welt verändert. Es laufen viele Fünfzig- bis Sechzigjährige herum, für die Das andere Geschlecht in jenen biblischen Zeiten die Bibel ersetzte und denen die ›Beziehung‹ zwischen B. und S. das Idealbild der schieren Erfüllung bot, um dessen Nachvollzug willen man bereit war, den real existierenden Partner in die Pfanne zu schlagen und das eigene Leben in einen Strudel illusionärer Zielsetzungen zu stürzen. Sie waren erwachsen und hatten frei, das ist das Beste, was man über sie sagen kann, aber es stimmt nur in Maßen, denn allzu viele von ihnen waren dann doch nicht so frei, auf Kinder zu verzichten, sie waren auch nicht so frei, den anderen Frauen, die ebenfalls frei hatten, frei zu stellen, wie sie zu leben, zu lieben und ihre Kinder groß zu ziehen hätten. Nein, auch dieser Sog ist, wie immer, machtvoll, er materialisiert sich in Journalistinnen, Politikerinnen, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, deren body and mind shaping nicht dazu bestimmt war und ist, vor anderer Leute Haustür Halt zu machen. Dass viele der Trainer, die hier mit Hand anlegen, um anschließend abzukassieren, noch immer Männer sind, kann niemanden verwundern, schließlich ist das Bild der Frau in der Gesellschaft zu wichtig, um es den Betroffenen zu überlassen, und wer wäre am Ende nicht betroffen?

Ach Beauvoir! Ein kleines, ein klitzekleines Wermutströpfchen nur, am Rande, dort, wo man es leicht abwischen könnte, wenn es sich denn abwischen ließe: Nun, da kein Geheimnis mehr ist, was in und mit den Kindern aus Beziehungen passiert, in denen der ›Partner‹ erst abgerichtet, dann durch ein Wahnbild ersetzt und schließlich fallengelassen wird, wäre es nicht an der Zeit gewesen, diese Seite der Angelegenheit anlässlich einiger Gedenkminuten energisch in den Vordergrund zu rücken und die – immer als ›erwachsen‹ zu denkenden – Befindlichkeiten der Paarungsbereiten von ihr her ein weiteres Mal öffentlich zu durchdenken? Was hätte die B. ›uns‹ da noch zu sagen gehabt? Vielleicht, dass, wer aus einer ›Frage‹ das Problem entfernt, frei hat und transzendieren darf ohne Ende? Das mag sogar stimmen, aber es verkennt, dass auch diese Freiheit an allen energisch vorbeigeht, die wieder nur auf ein ›Modell‹, sei es alt oder neu, emanzipiert oder unemanzipiert, geprägt sind und geprägt werden. Wenn die ›unemanzipierte Emanzipiertheit‹ zum Thema werden konnte, dann auf Grund des wirklichen Schiffbruchs, der sich im privaten Leben von Jahrgängen vollzog, die noch immer – und vielleicht mehr denn je – das Sagen haben. Vor diesem Sagen darf gewarnt werden, jedenfalls, solange es das Modell nicht preisgibt, dessen Lecks zu stopfen es wie eh und je vielerlei privater Aufwände bedarf, die sich am Ende keineswegs rechnen. Zerschlagt die Bilder! Das ist eine alte Parole und sie kehrt wieder, wenn sich das Ende einer Bewegung nähert. Die Chance ›der Frau‹ besteht darin, zu verschwinden – unterzugehen im Meer der Frauen, die im Leben Wichtigeres zu tun haben als sich ihr Frausein von Weiblichkeitsspezialisten bestimmen zu lassen, um es selbsttranszendierend zu bestätigen.

Die tote B. – nimmt sie nicht auch teil an dem Missbrauch, den Frauen begehen, wenn sie ihre Söhne an den Männern vorbei zu Partnern deklarieren und so jene Konfusion der Generationen und Loyalitäten erzeugen, in der neben der Depression auch die Sterilität und das nagende, nur mit Flasche & Glotze zu bekämpfende Versagerbewusstsein nisten? Seit seinem Erscheinen fordert Das andere Geschlecht diesen Tribut: Jahrgänge junger Männer, die ›anders‹ sein wollen, zwanghaft den mütterlichen Illusionen zu entsprechen wünschen, um am Ende dem Moloch der ewigen Enttäuschung geopfert zu werden, während die Väter notorisch nicht in Betracht kommen, es sei denn als Bösewichter vom Dienst, deren Zeitvertreib zwischen historischen Mordeinsätzen und gelegentlichem Kindesmissbrauch darin besteht, Frauen zu quälen. Sie sind bereit, diese jungen Männer, jedenfalls viele von ihnen, bereit, sich ihrer Aufgabe zu stellen, die sie nur diffus ahnen, bereit, es besser zu machen, ohne zu wissen, woran ihre Väter scheiterten, bereit, die Scharte auszuwetzen, als die sie deren Niederlage empfinden, eine Niederlage, die sich allzu nachhaltig in ihnen selbst, ihren Dispositionen, Verweigerungen, Stockungen, Zaghaftigkeiten, Willfährigkeiten und – Niederlagen manifestiert. »Die gefährlichste Spezies der Welt« – wer so titelt, weiß, was er tut, aber nicht wirklich; er ist schon bereit, die eigene Ausweglosigkeit weiter zu geben, koste es, was es wolle, und sei es die Selbstachtung selbst: ach Mutter.