Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

...neulich im Einstein

 

Der ›Heilige Vater‹ wollte selbstverständlich nur das Beste. Getragen von der historischen Würde und Sekurität einer renommierten europäischen Gelehrtenrepublik (an einer alten Kulturgrenze!) hat er – auch ein findiger Historiker – einen mittelalterlichen Disput über Gewalt und Glauben ins globale Bewusstsein zurückgeholt, der uns Gegenwärtigen die Sprache verschlug.

Den einen, weil sie sich üblicherweise ›ungeschütztes Reden‹ verbieten, den anderen, weil sie ›ungeschütztes Reden‹ als Übel verbieten …

Was im sog. ›finstren‹ Mittelalter offensichtlich noch möglich war, dass man das Eigene als das für wahr gehaltene dem anderen zumuten zu können glaubte, löst heute allerorten einen rhetorischen und emotiven Kollektiv-Zusammenbruch aus. – Sogar Seine Heiligkeit wurde schließlich gehalten, sich vom inkriminierten Zitat zu distanzieren. Unbestimmte Todesdrohungen machten einen derart ungewohnten Servilismus des Pontifex dringend.

Das allerdings berührt unsere Freiheit als – gläubige wie ungläubige – Christenmenschen! Denn unwillkürlich denkt man doch, es sei vielleicht irgendwie entschuldbarer, ein Zitat aus seinem Zusammenhang zu reißen als einen Menschen. Aber auch das versteht sich offenbar in der Moderne gar nicht mehr ›von selbst‹. Vielmehr sei man gehalten, so die irenischen Einsprüche allerorten, je konkret sinnstiftende kulturelle & religiöse Sub- & Haupttexte mit ins Kalkül zu ziehen, wenn man das eine für eine lässliche Sünde hielte und das andere nicht.

Was war denn das für eine Reaktion? Sind wir gerade Zeugen einer neuen asymmetrischen Form des Liebeskampfes zwischen Morgen- & Abendland geworden? Muß künftighin jede als denkbar vermutete religiöse Gefühlsreizung (hier wie dort!) mit kalkuliert – und vermieden! – werden, wenn man den kulturellen, wissenschaftlichen oder journalistischen Alltag beginnt? – Darf dann z.B. überhaupt noch über Gewalttaten informiert werden, wenn in ihnen religiöse Motive auch nur vermutet werden könnten? Es sei denn in frenetischer Zustimmung zu ihnen? Was bliebe da übrig? – Man könnte Schreckensmeldungen dieser Observanz ganz aus dem politischen Teil herausnehmen und sie zu NaturEreignissen deklarieren. Der unverdächtige Ort ihrer Berichterstattung wäre dann – der Anhang zum Wetterbericht (›die Sturmfront ALI hat die Deutsche Bucht erreicht‹).

Steffen Dietzsch

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