Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

...neulich im Einstein

kam mir beim Überfliegen der Glückwünsche zu irgendeinem ›runden‹ Jubeltag des (DDR-)Dramatikers Peter Hacks (1928-2003) – der hielt sich für einen Wiedergänger des Mannes vom (Weimarer) Frauenplan, war aber wohl eher dem von der Schlossgasse verwandt, dem Kotzebue nämlich, von dessen Nähe er selber bekannte (brieflich an Walter Grab vom 28. Dez. 1988): »wer sollte den besser kennen als ich?« – sogleich sein ideologischer Milchbruder Wolfgang Harich (1923-1995) in den Sinn. Der sollte momentan eigentlich in seinem Grab vor Freude rotieren … angesichts jüngster (energie-)wirtschaftlicher Entscheidungen des Landes Sachsen-Anhalt. Demnach soll demnächst der Geburts- & Begräbnisort von Friedrich Nietzsche – Röcken bei Lützen – weggebaggert werden ...

Die freie Marktwirtschaft erledigt etwas sozusagen ›kollateral‹, wovor selbst die härtesten kulturrevolutionären Ideologen in der DDR zurückgeschreckt sind (man stelle sich die kulturphilosophischen Krokodilstränen der Bonner Republik von damals vor!) – gewissermaßen zusammen mit der ›Basis‹ zugleich den verrotteten geistigen ›Überbau‹ zu vaporisieren. Die (›rechten‹) Marktwirtschaftler erledigen die Probleme der – wie der Röckener sagte – (›linken‹) Denkwirtschaftler. Ganz wie Harich seinerzeit in der DDR-Nietzsche-Diskussion (1985/86) kategorisch-impertinent schrieb: ... ins Nichts mit ihm! Ist das vielleicht eines der lange gesuchten Zeichen der inneren Einheit unserer deutschen Kulturnation? Und zugleich nachhaltige Vergeltung an einem ihrer intelligentesten Kritiker?

Hoffentlich findet man bald auch in der Weimarer Endmoräne ein paar nennenswerte Edelmetalle … dann könnte man Goethe heim in seine Reichsstadt schaffen, Wieland und Schiller zurück ins Schwäbische und die Polen kriegen Herder!

(Karfreitag 2008)
Steffen Dietzsch