Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

… neulich im Einstein,

als ich bei dem in Hiroshima lehrenden Kollegen Leopold Federmair von dem britischen Umweltschützer George Monbiot las, der, einst grüner Mastermind, gerade durch die im Beben und in der Welle bewiesene Kernfestigkeit der Atommeiler von Fukushima zu grundlegender Selbstkritik an grüner Vernunft gekommen war, musste ich an die felsenfesten Überzeugungen seiner deutschen (ehemaligen) Wohlgesinnten denken. Bei denen ist ringsum alles in Erschütterung, nur nicht die Grundlast ihrer Überzeugungen.

Mir wollten dabei jene Geibelverse von Deutschem Wesen (aus Deutschlands Beruf, 1861) nicht aus dem Sinn. Sie sind wahrscheinlich das überzeitlich Treffendste, das nach Goethe und vor Nietzsche über uns Deutsche wahrgenommen wurde. Uns ist eine doktrinär (volks)erzieherische Neigung eigen, die über das Persönliche hinaus auch gesellschaftlich-politische Neugier und Eigensinn sofort unter moralisch-emotionale Kuratel zu stellen geneigt ist. Das betraf unser historisches Selbstbild – ob wir uns nun als Opfer oder als Täter auszeichnen (›Sündenstolz‹), unsere ›Aufarbeitungsleistungen‹ (nach der nur uns eigenen ›friedlichen Revolution‹) oder jüngst unsere Katastrophenwahrnehmungen (die Anderen wohl angestanden hätten!). Überall zeigen wir der Welt, wie es zu gehen hat (neulich wurde z.B. ein Sendling der Birthler-Behörde in Ägypten gesichtet …). In der Gegenwart ruiniert das auch Bereiche, in denen die wir einst sowohl gefürchtet als bislang auch bewundert wurden – das Militärische und das Wissenschaftliche. – Man braucht nur ein wenig am Lack unserer touristischen ›Weltbürgerlichkeit‹, urbanen ›Westlichkeit‹ und heidnischen ›Aufgeklärtheit‹ zu kratzen, sofort werden wir kenntlich als (ringsum Einzig) Hilfswillige im Erlösungs-TÜV. Und wenn, wie wir es erleben, die nukleare Technik verabschiedet wird, so zeigt sich unsere atomkritische Öffentlichkeit natürlich nicht atemlos und resigniert vom Fortschritt, sondern – wie das deutsche Wesen es befiehlt – sie imaginiert sich erneut als Spitze der attentistischen Bewegung: und überrascht uns mit einem neuen Namen … Prometheus! – Das nenne ich deutsche Hybris!

Die Rückgabe des (himmlischen) Feuers an die Überweltlichen verbinden sie mit dem Namen dessen, der diese Energie auf die Erde brachte! Sie wären wohl die ersten gewesen, die selber Prometheus an den Felsen gefesselt hätten – mit dem Hinweis, das Feuer sei nicht beherrschbar (man könne die ganze Welt damit in Brand stecken …). Wenn diese neuen deutschen Prometäuscher und Prometussen sich nun daran machen, sich ohne das GROSSE FEUER warm zu machen (Fäustlinge stricken, die Beine an der Töpferscheibe warm halten etc.), so soll es, wenn die Deutschen es wollen, geschehen – aber sucht euch bitte einen neuen Heiligen für euren handgeschöpften Kalender!

(11. April 2011)

Steffen Dietzsch

 

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