Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

...neulich im Einstein

das politische Polospiel schien ohne Sieger zu Ende zu gehen (›Repräsentanten‹ reiten den Gaul ›Souverän‹ zu Schanden), als ein alter Schweizer Freund an den Tisch kam. Er fragte nach den beiden Prinzipien, nach denen (a) im deutschen Parlament bestimmt wird, wer an der Regierungsbildung beteiligt werden darf, und wonach (b), bestimmt wird, wer diskussionslos von vorneherein von diesen Prozeduren auszuschließen sei. Denn offensichtlich spielen empirische Wahlergebnisse dabei keine Rolle.

Wenn aber die Arbeit des Souveräns, mit einer bestimmten Proportion von Gewählten (›Repräsentanten‹) auch eine proportionale Mitbestimmung bei der Regierungsbildung zu erreichen, von den Repräsentanten zunichte gemacht werden kann, – z.B., indem man eine große Anzahl von ihnen – sogar wenn sie relative Mehrheiten ausmachen – als parlamentarisch inexistent ausweist, dann öffnet sich ein eklatanter Widerspruch zwischen Parlamentarismus und Demokratie. In der Schweiz, so der Freund, sei das ganz anders; da gebe es keine von der Regierungsarbeit prinzipiell ausgeschlossenen Gewählten. Anstatt dass Repräsentanten bestimmen dürfen, was Mehrheit wird, ja sie sogar Mehrheiten ›konstruieren‹ könnten (z.B. aus Wahl-Verlierern), sollte umgekehrt der Souverän – wahlweise – bestimmen, wer Repräsentation ausüben darf.

Ein dementsprechend objektives Prinzip wäre es doch, wenn die Regierungsbildung so zu erfolgen hätte: beauftragt werden damit erstens die stärkste Fraktion (die mit den jeweils meisten Stimmen) und zweitens die mit einem jeweiligen Wahlerfolg ausgewiesenen Parteien. Das sollte auch für den Fall gelten,dass diese programmatisch ganz unterschiedlich konturiert sind. Deren subjektiven Befindlichkeiten sollten zurückstehen hinter dem, was der Souverän jeweils proportioniert. Begründung: Regierungen sollen nicht irgendeine geschichtsphilosophische These illustrieren oder die Welt retten; moderne Staaten sind auch keine (platonischen) Epistokratien und Parlamente keine Dating-Agenturen. Regierungsarbeit sollte sich darauf konzentrieren, für einen ziemlich begrenzten Zeitraum die Angelegenheiten der Polis zu verwalten. Und das unter kreativer Partizipation alle parlamentarischen Spieler. Schließlich leben in der Polis nun mal ganz unterschiedliche Leute – d.h. der Souverän wird nicht konstituiert von einer bestimmten weltanschaulichen (grünen, roten oder schwarzen) Norm oder Gestalt, sondern er ist das neutrale unbestimmt Ganze des Staatsvolks.

Dementsprechend gäbe es, schweizerisch gesprochen, nach dem Ende der ›grün-gelb-schwarzen Polit-Phantasie beileibe nicht nur die Möglichkeit einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen, sondern die Möglichkeit, das Wahlergebnis vom September 2016 ernst zu nehmen und die Wahlgewinner von damals zusammen mit der stärksten Fraktion von damals zu einer Regierung zu verpflichten.

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