Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

von Hans von Storch

Climate Change isn’t Everything ist der Titel eines neuen Buchs von Mike Hulme, einem anerkannten Praktiker und Denker der Klimaforschung. Es ist kein Buch über den Klimawandel, sondern ein Buch über Klimapolitik und die gesellschaftliche Dynamik, die das Klima zum überragenden Thema und zur Herausforderung der heutigen Zeit werden ließen. Zumindest im Westen, insbesondere in der angelsächsischen Welt.

Das Buch erscheint in diesen Tagen bei polity press, einem Verlag in Cambridge (https://a.co/d/hgJ6vVR), wo der Autor an der University of Cambridge seit 2017 Professor für Humangeographie am Department of Geography ist. Sein Werdegang wird in seinem Interview mit Hans von Storch und Martin Claussen aus dem Jahr 2021 dargestellt (https://www.academia.edu/49459880/Mike_Hulme_The_gentleman_understanding_climate_beyond_the_fascination_of_differential_equations). Im gleichen Jahr, 2021, wurde er mit dem Brückner-Preis für seine herausragenden Beiträge zum Verständnis von Klimadaten ausgezeichnet. In der Laudatio heißt es: »Vor allem hat er die Klimaforschung über das Studium des Klimas hinaus geöffnet und durch exzellente Studien zum Verständnis des Klimawandels in Geschichte, Kultur und Medien und zur Beziehung zwischen Klima und Gesellschaft bereichert. Damit ist Mike Hulme einer der international herausragenden Persönlichkeiten, der das Wissen darüber, wie Wissen über den Klimawandel konstruiert wird, und wie Politik und Klimawissenschaft interagieren, in bahnbrechender Weise gefördert hat. … [Schon] 2006 warnte Mike Hulme vor den Gefahren einer alarmistischen Sprache, aus der ein starkes fatalistisches Narrativ mit häufigen Verweisen auf Hilflosigkeit, gesellschaftlichen Zusammenbruch und Katastrophen hervorgeht. ›Why we disagree about climate change‹ ist vermutlich das bekannteste Buch von Mike Hulme, das 2009 erschienen ist. Er beschreibt darin den Klimawandel nicht als ›ein Problem‹, das auf ›eine Lösung‹ wartet. Stattdessen betrachtet er ihn als ein ökologisches, kulturelles und politisches Phänomen, das die Art und Weise, wie wir über uns selbst, unsere Gesellschaften und den Platz der Menschheit auf der Erde denken, neu gestaltet.«

In dieser Tradition steht auch sein neues Buch: In sieben Kapiteln nimmt uns Hulme mit auf eine intellektuelle Reise, bei der er den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit dem Klimathema beleuchtet. Das Licht wirft er dabei auf die fortschreitende Dogmatisierung in der Auseinandersetzung mit dem Klimathema und nennt diesen Zustand entsprechend »Klimatismus«. Sein Buch beschreibt mögliche Ursachen für die Entstehung des ›Klimatismus‹, fragt, wie sich die Wissenschaften dabei positionieren und stellt Überlegungen an, weshalb die Ideologie des Klimatismus so verführerisch und bestechend sei. Hulme erklärt, warum er die Dogmatisierung des Klimathemas für gefährlich hält und stellt schließlich einen Lösungsweg zum Klimathema vor, von dem er glaubt, dass er zu einer global tragfähigen Klimaschutzpolitik führen könne, ohne dabei im Zielkonflikt zu anderen UN-Nachhaltigkeitszielen, wie etwa der Bekämpfung von Armut zu stehen.

Der Titel des Buches hätte auch einfach Klimatismus lauten können, denn dies ist der Begriff, der sich als roter Faden durch das gesamte Buch zieht und unter dem er die derzeitige Lage zusammenfasst: Klimatismus sei, so Hulme, »die feste Überzeugung, dass die dominante Erklärung für soziale, wirtschaftliche und ökologische Phänomene eine vom Menschen verursachte Veränderung des Klimas ist«. Folglich müssten dann selbst »komplexe soziale, ökologische und politische Probleme und die damit verbundenen ethischen Herausforderungen im Kontext eines sich ändernden Klimas analysiert – und gelöst – werden«.

Dieses Master-Narrativ des Klimatismus scheint dabei sehr dehnbar zu sein, dass es den Klimawandel als Erklärung für fast alles präsentieren kann - vom Erfolg der Taliban in Afghanistan über die interethnische Gewalt in Syrien bis hin zum Rückgang der Insektenpopulationen in Europa, den dramatischen Waldbränden in Australien, der Zunahme
geschlechtsspezifischer Gewalt und der Prekarität der Sundarbans.

Hier erkennt man die enge Verwandtschaft vom Klimatismus, der sozialen Konstruktion vom menschgemachten Klimawandel, mit dem ›Klimadeterminismus‹, der bis vor circa 100 Jahren eben das Klima als Erklärung für fast jede Art von gesellschaftlichen Unterschieden vorgab (siehe etwa Stehr, N., and H. von Storch, 1999: An anatomy of climate determinism. In: H. Kaupen-Haas (Ed.): Wissenschaftlicher Rassismus - Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften. Campus-Verlag Frankfurt.a.M. - New York (1999), 137-185, ISBN 3-593-36228-7; http://www.hvonstorch.de/klima/pdf/Climate.determines.pdf). In gewisser Hinsicht wurde diese alte Theorie, die in der menschlichen, zumindest europäischen Geschichte fast immer gerne angenommen, aber zusammen mit dem Rassismus nach dem Ende des 2. Weltkrieges disqualifiziert wurde, jetzt re-animiert, wenngleich eben für den Wandel, nicht für das bisherige Klima.

Hulme warnt in seinem Buch vor eben solch einer Verlockung, alles Unheil der Welt und jede humanitäre Katastrophe mit einem Verweis auf den fortschreitenden Klimawandel erklären zu wollen. So sei das Aufhalten des Klimawandels nicht immer der direkteste Weg, um etwa die Wahrscheinlichkeit von Kriegen, das soziale Klima in der Gesellschaft oder die Auswirkungen von Starkniederschlägen (Überschwemmungen) an einem konkreten Ort zu minimieren.

Diese Reduktion auf das monokausale Klimaargument sei vor allem für die Politik attraktiv: Zum einen erzeuge es den Schein einer klaren und einfachen Welt, die mit den richtigen Klimaschutzmaßnahmen erfolgreich und planmäßig zu managen wäre. Zum anderen tauge es vor allem, um folgenreiches (innen)politisches Versagen zu kaschieren. Hierzulande konnte dieses Phänomen im Falle des Aartal Hochwassers im Sommer 2021 beobachtet werden.

Dem verbreiteten Umkehrschluss zufolge, Hulme nennt dies die »Klimalogik«, dass jede Maßnahme, die dazu beiträgt, den Klimawandel zu bekämpfen, auch dazu diene »alle anderen« Probleme abzumildern, erteilt Hulme eine Absage. Im Gegenteil, sagt er, »der Klimawandel sei [eben] nicht das Einzige, was zählt« und zu Krisen in der Welt führt; und folgert: » … all das, was man um jeden Preis tun kann, um den Klimawandel zu stoppen, [kann] manchmal sogar davon ablenken, die Dinge zu tun, die wirklich [in einer bestimmten Sache] etwas bewirken«.

Hulme erinnert daran, dass neben dem Klimaschutz weitere politische und gesellschaftliche Ziele und Werte existieren, die eine ebenbürtige soziale Berechtigung und das gleiche politische Gewicht wie die Pariser Klimaziele haben: Im Jahr 2015 wurde im Anschluss an die ›Milleniumsziele‹, die ›Agenda 2030‹ (Sustainable Development Goals, SDGs) einstimmig von allen 193 Mitgliedstaaten der UN verabschiedet. In der Praxis würden diese pluralistischeren und auf die Nachhaltigkeit bezogen deutlich weitergehenden Ziele den Klimazielen jedoch untergeordnet. Dies sei mit ein Ausdruck davon, dass die Herausforderung des menschgemachten Klimawandels oder genauer: der Netto-Null der Emissionen vor allem ein Thema des Westens ist. Insbesondere für den Globalen Süden bedeuteten die Ziele der ›Agenda 2030‹ den Umgang mit und die Verminderung vielerlei aktueller Nöte. Hulme zeigt an konkreten Beispielen, dass Klimaschutz, der nicht die lokale Realität (Kultur) berücksichtigt, die regionalen Probleme oft sogar verschärft.

Hulme plädiert daher für einen Weg, der unter dem Dach der ›Agenda 2030‹ seine Konturen erhalten soll und die regionale und globale Diversität von Werten berücksichtigt. Um aber solch einem Werte-Pluralismus gerecht zu werden seien auch Vorgehensweisen zu etablieren, um mit Widersprüchen und Uneinigkeit zu arbeiten ohne sie systematisch zu negieren. Dazu gehöre es auch Argumente, Protagonisten, Werte und Ziele wieder konkret zu benennen anstatt sie mit einem Slogan wie etwa ›follow the science‹ zu versehen. Nur wenn es gelänge Ansichten und Wissensansprüche wieder kontrovers und demokratisch zu debattieren könnten Widersprüche und Probleme in den Klimaschutzstrategien aufgedeckt und schließlich bearbeitet werden und eine umfassende Transformation der Gesellschaft hin zu nicht fossiler Energie gelingen.

Mike Hulme erwartet Widerspruch zu seinen Thesen, und er versucht, diese im abschließenden Kapitel zusammenzustellen und zu entkräften. Er erwartet außerdem, dass er infolge seines Buches als sogenannter »climate delayer« bezeichnet werde. Dies sei ein Sammelbegriff für Menschen, »die für geringere Klimamaßnahmen plädieren, auf die Seite der negativen sozialen Auswirkungen der Klimapolitik aufmerksam machen oder auch Zweifel daran äußern, dass eine Abschwächung des Klimawandels überhaupt möglich sei«. ›Climate delayer‹ förderten außerdem illegitime politische Positionen, vor denen die Öffentlichkeit ›gewarnt‹ und vor deren beabsichtigten Auswirkungen sie ›geschützt‹ werden müsse. Mit dieser Bezeichnung müssen auch die Autoren dieser Besprechung rechnen, und alle, die nicht bereit sind, ohne weiteres das Klimaproblem als die größte Herausforderung der Menschheit zu sehen, die nicht meinen, dass die ›Lösung‹ des Klimaproblems auch alle anderen Politiken zu anderen Problemen auf die richtige Spur setzt.

Auch Mike Hulme, wie die Autoren dieser Zeilen, muss sich die Feststellung eines westlichen Bias gefallen lassen – fast alles verwendete Material geht auf angelsächsische Autoren und Veröffentlichungen zurück, während nur sehr selten Zitate von Verantwortlichen aus dem ›Rest der Welt‹ in diese Analyse eingehen. Aber immerhin, im Westen zeigt sich auch intellektueller Widerstand gegen die simplistische Reduktion durch den ›Klimatismus‹.

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