Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

von Hans von Storch

Es gibt viele, die die Verwendung von Facebook ablehnen als nervende Gerüchteküche und Plattform für Schwachköpfe aller Art. Das kann schon sein, aber dennoch bin ich dort aktiv, gerade weil ich dort viele ungefilterte Meinungen, Wahrnehmungen und Deutungen finde. Die mich ahnen lassen, wie der Markt der Wissensansprüche aussieht. Aber klar, Schwachköpfe aller Art gibt es dort, aber der eigene zivilisierte Umgang hilft da schon bisweilen. Aber vielleicht ist man ja selbst auch nur ein Schwachkopf.

Soweit die Vorrede – hier geht es darum, dass auf Facebook jemand von diesem Buch erzählt und kurz skizziert hat: Jon Naustdalslids Klimabedrohung – eine Krise der Demokratie?. Genauer Klimatrusselen - krise for demokratiet?. Ein skandinavischer Text, was für viele schon genug Herausforderung ist, aber genauer: Nynorsk … Ich habe mich durchgearbeitet – es ging dann doch – und durfte feststellen, es mit einem Autor zu tun zu haben, mit dem ich wirklich einig bin, zumindest in Bezug auf den Inhalt seines Buches.

Jon Naustdalslid ist kein Klimaforscher, sondern ausgebildet als policy scientist, mit einer breiten Palette an Tätigkeiten (siehe: https://www.linkedin.com/in/jon-naustdalslid-9a06183b/). Es geht ihm nicht darum irgendwelche klimadynamischen Zusammenhänge vorzustellen, Missverständnisse auszuräumen oder Übertreibungen entgegenzutreten. Er geht von dem vom IPCC dargestellten Wissen aus. Seine Absicht ist zu zeigen, dass »die demokratische Willensbildung die beste Reaktion auf den unbedingt ernst zu nehmenden menschgemachten Klimawandel« (S. 31) ist. Die wesentliche vorteilhafte Eigenschaft »von Demokratie gegenüber autoritären Systemen ist ihre Offenheit gegenüber kritischen Debatten, auch über Forschung und Wissenschaft« (S. 124). Das Buch ist eine Reaktion auf die Wahrnehmung, wonach vielfach behauptet wird, dass »die Weltrettung erfordert, dass die Steuerung durch Experten mit Wissen über die ›Klimakatastrophe‹ übernommen wird, weil diese mit diesem Wissen die Gesellschaft weg von der globalen Katastrophe führen und so den Untergang der Zivilisation vermeiden können« (S. 113).

Dazu stellt er zunächst für sich fest, dass »das Klimaproblem ein großes und bedrohliches Problem ist, aber nicht das einzige, dem wir uns gegenübersehen, und keines, dass das alle anderen Probleme überragt. Vielmehr hängt das Klimaproblem mit allen anderen Problemen zusammen, und genau deshalb braucht es eines politischen Zugangs, der es als Teil des politischen Ganzen anerkennt und nicht versteht als ein Einzelthema, das alle anderen Themen dominiert.« (S. 37). Dieser Zugang führt zu der Einsicht, dass eine eigentliche ›Lösung‹ des Klimaproblems nicht möglich ist. Vielmehr bleibt die Klimaherausforderung, auch wenn es gelingt, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen. Denn auch eine solche begrenzte Klimaänderung hat eine deutliche Wirkung, auch über das Jahr 2050 hinaus. Klima hat seine Unschuld verloren; es ist ein politisches Thema geworden, und diesen Geist wird man nicht mehr in die Flasche zurückschieben können. Die sich verändernden Risiken, die sich entfaltenden Nachteile und Vorteile, widersprüchliche Wahrnehmungen und Deutungen, die Schuldzuweisungen und damit die Konstruktion von ›wir‹ und ›die‹, sowie das Potential für einzelne Akteure mit Geoengineering das Klima zum eigenen Vorteil zu ändern, all dies ist entweder schon in der Welt, oder ist dabei sich zu etablieren. Wenn es um Konflikte geht, sitzt das Klima mit am Verhandlungstisch als limitierender Faktor oder als Argument – mit dieser Konfiguration kann Demokratie besser umgehen als autoritäre Systeme, weil die gleichzeitige Verhandlung von mehreren verschiedenen Herausforderungen, Optionen und Interessen ein Kennzeichen von Demokratie ist.

Naustdalslid empfiehlt eine Klimapolitik, die davon ausgeht, dass »dramatische Änderungen auf uns warten, deren Charakter aber unsicher ist. Daher sollte es eine breitangelegte und umfassende Klimapolitik sein, die uns wappnet gegenüber einer unsicheren Klimazukunft aber gleichzeitig darauf abhebt, die Gesellschaft unabhängig von der Klimaproblematik lebenswerter für ihre Mitglieder zu machen« (S. 59). Was wir aber tatsächlich sehen ist der Anspruch, dass das Klimathema tatsächlich alle anderen Themen dominiert – und für viele auch, dass es der Kapitalismus und das Wirtschaftswachstum seien, die eine Zukunft der Menschheit bedrohe. Konsequenterweise wird verlangt, den Konsum und den ökonomischen Output zu verringern (›degrowth‹). Aber als Reaktion auch nur maßvoller Maßnahmen zur Minderung von fossiler Energie gibt es Widerstand, vor allem in wirtschaftlich schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen, wie Naustdalslid anhand einiger norwegischer Beispiele erläutert. Dies wird in entsprechenden Kreisen, die von sich behaupten, das Problem und die Gefahr richtig einzuordnen, als Beweis genommen, dass die breite Bevölkerung unzureichend informiert oder einfach zu dumm ist, um die richtigen und unabweisbareren Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen – daher müsse Zwang angewandt werden. Entweder Zwang, sich zu informieren. Oder Zwang, Maßnahmen hinzunehmen oder gar zu begrüßen. Das nennt man dann Ökodiktatur – und erinnert an Lenins belehrenden Ansatz (S. 227).

Und, in der Tat, nicht nur auf Facebook trifft man immer wieder diese Typen, die vom ›dummen Volk‹ oder ähnlichem schwadronieren. Auch einzelne medial präsente Klimaforscher verlangen spezifische politische Maßnahmen, und rufen auf zum Protest gegen demokratisch legitimierte Institutionen, deren vorgebliche Untätigkeit unsere gemeinsame Zukunft bedrohe. Ein Phänomen, das ich schon seit Jahren problematisiere, dass solche Menschen ihre Rolle als Konstrukteure falsifizierbaren Wissens nicht mehr wahrnehmen und stattdessen politisch extreme Positionen legitimieren.

Klimapolitik wird reduziert auf Emissionsminderung. Die Ausgestaltung von Klimapolitik erscheint als »Wettbewerb, die stärkste Emissionsreduktion einzufordern. Die Partei mit den höchsten Forderungen gewinnt den Klimakampf.« (S. 75). Ob dies ein nachhaltiger Umgang mit Klimawissen ist, ist fraglich. Dabei ist es »die wohlgenährte Mittelklasse im reichen Teil der Welt, die die Tagesordnung bestimmt. Welche Wirkung ihre eingeforderte Strategie für den Unterprivilegierten in ihrer Welt haben, hat nur untergeordnete Bedeutung« (S. 109), ebenso wie die Wirkung auf den armen Teil der Welt. Aber, so Naustdalslid, politisches Tun ist als Einheit zu verstehen. Konsistent damit diagnostiziert Naustdalslid eine Tendenz bei den Umweltverwaltungen, sich auf Umweltfragen zu fokussieren und dabei die Verbindung zur sozialen Welt zu vergessen. Und, ganz im Sinne der alten Einsicht, wonach im Krieg die Hoheit über die Wahrheit wesentlich ist, wird auch im ›Klimakrieg‹ eine große Wahrheit verkündet, – nämlich, dass die Menschheit als Ganze durch die Emissionen in ihrer Existenz bedroht sei. Gro Harlem Brundtland wird mit einer Aussage im Dagbladet 2007 zitiert ›Zweifel ist unmoralisch‹ (S. 119). Der Erfolg gegenwärtiger Klimaschutzpolitik erscheint aber durchaus zweifelhaft, denn: »Trotz eines massiven Ausbaus der Erneuerbaren, werden in 2019 weiterhin 90% des Energiekonsums von 159 PWh durch das Verbrennen von Öl, Kohle und Gas gedeckt. … Der Gesamtverbrauch ist von 2000 bis 2019 um 46 PWh gestiegen, davon ca 42 PWh durch fossile Energieträger, während alternative Quellen beschiedene ca 4 PWh zum Anstieg beitrugen.« (S. 270)

Herausfordernd ist die Lage für die Klimawissenschaft, wenn Politik sich durchgehend auf ›die Wissenschaft‹ beruft, wenn Willensbildung nur noch in der Umsetzung vorgeblich wissenschaftlicher Notwendigkeiten besteht. Dies wird so dargestellt, um mögliche Kritik an der Politik abzuwehren, wird aber tatsächlich gar nicht umgesetzt, denn oft werden vorgeblich konsensuale wissenschaftliche Einsichten (etwa zu Kipppunkten) für den politischen Gebrauch konstruiert, zugespitzt – erlaubt sich der Rezensent hinzuzufügen. Verlierer ist hier die Demokratie, weil dieser vorgeblich wissenschaftliche Konsens eben die offene gesellschaftliche Debatte zu verhindern sucht. Es wird suggeriert, dass die Klimaforschung die unabweisbar richtigen Antworten auf die gesellschaftliche Herausforderung des Klimawandel hätte – aber diese Herausforderung hat sehr viele, sehr verschiedene Dimensionen, einschließlich der der Macht, und eben damit kann Naturwissenschaft nicht umgehen. Wissenschaft löst selten Probleme, aber sie arbeitet den Rahmen auf, innerhalb dessen wenn nicht Lösungen so doch zumindest Umgang möglich wird.

Wie kann man das Problem in dieser Welt angehen, wie sie ist, mit vielen Milliarden Menschen, von denen sehr viele aus der Armut herauskommen wollen und dies enorme Mengen an Energie benötigt? Faith Birroll, der Direktor der Internationalen Energieagentur wird die Beobachtung zugeschrieben, dass selbst wenn es gelänge, die Erneuerbaren in 2021 um 8 Prozent und in 2022 um 6 Prozent zu steigern, dies nur die Hälfte des wachsenden Energiebedarfs decken würde – und der Rest mit fossilem Mitteln abgedeckt würde (S. 206). Das Klimaproblem hat eine wesentliche gesellschaftliche Dimension, und es hilft nicht, wenn versucht wird, ihm mit einfachen Konzepten und einfachen ›Lösungen‹ zu begegnen. Eines dieser einfachen Konzepte ist das der ›Klimakrise‹, was impliziert, dass nach dem Einsatz geeigneter Lösungsmaßnahmen das Problem verschwinden würde, wir wieder zu ›Normal‹ zurückkehren könnten, etwa was Extremereignisse angeht. Krisen sind temporär, aber das Klimathema wird nicht verschwinden, es bleibt – in anderen Formen.

Ein Vorschlag zur Lösung des Klimaproblem ist ›degrowth‹, also eine nachhaltige Rezession. Solch eine Umkehr des wirtschaftlichen Wachstums würde aber auch die technologischen Möglichkeiten der Mitigation von Klimawandel und Anpassung an den Klimawandel treffen, und ist eigentlich nur eine Option für eine wohlgenährte postmaterielle Klasse im reichen Teil der Welt, die dreist genug ist, dem Rest der Welt den richtigen Weg weisen zu wollen (S. 254). Tatsächlich muss der Umgang mit dem Klimawandel nicht nur umwelteffektiv sondern auch volkswirtschaftlich ›lohnend‹ sein, zu Wachstum und Arbeit führen. Um zu gelingen, darf der grüne Deal nicht zu weniger Energie führen, sondern muss mehr Energie zur Verfügung stellen.

Naustdalslid gibt keinen Königsweg an, wie mit dem Klimawandel umzugehen sei – dies muss seiner Meinung ja Resultat der demokratischen Willensbildung in einer offenen gesellschaftlichen Debatte sein, aber er stellt zwei Eckpunkte fest. Zunächst, dass das wirtschaftliche Wachstum zugunsten einer kohlenstofffreien Wirtschaft genutzt werden sollte und zum anderen »Es reicht nicht, sich nur mit Maßnahmen zur Begrenzung der Emissionen zu kümmern. Wir müssen uns mindestens ebenso mit der Anpassung an wärmere Bedingungen und vor allem an einem immer schwieriger vorhersagbaren Klimawandel kümmern« (S. 276). Gerade das Thema der Klimaanpassung war für lange Zeit tabuisiert, und in Norwegen kam das Thema ernsthaft erstmalig in 2010 auf die öffentliche Tagesordnung. Und auch heute noch kommt Anpassung in vielen norwegischen Kommunen in den Planungen nicht vor.

Naustdalslid beendet sein Buch mit dem »Traum vom Paradies«. Dies Paradies war, in der Fantasie von Klimaaktivisten, das Holozän, und die Vertreibung der Menschen aus diesem Paradies brachte die Menschen in das Anthropozän. Und viele wollen zurück in dies Paradies vom glücklichen Zusammensein von Natur und Mensch. Dass das illusionär ist, zeigt einerseits die deutlich stärkere Umweltnutzung in der vorindustriellen Zeit in Norwegen, ein Zustand, der auch sonst keinesfalls ein solches Paradies darstellte, und die überwältigend erhöhte Anzahl der Menschen, die auf der Erde leben und leben werden. Auch unterscheidet sich die Welt nicht nur durch viel mehr Bewohner, sondern auch im Umfang des Wissens – »Wir haben vom Baum der Erkenntnis gegessen – und wir wissen ja, wie das beim ersten Mal ablief: Die Menschen wurden aus dem Paradies geworfen. Auch diesmal ist das Paradies der Unschuld verloren – und wir können diesem Wissen, dem Anthropozän, nicht mehr entkommen« (S. 295). Die radikalen Vorschläge erinnern an eine Episode aus Holbergs Dramen, wo ein Patient an einem Medikament stirbt, und die trauernde Witwe mit dem Hinweis getröstet werden soll: Ihr Mann ist tot, ja, aber das Fieber ist besiegt.

Ich wünsche mir, dass das Buch eine deutsche oder zumindest englische Übersetzung finden würde.

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