Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

von Hans von Storch

(Helmut Schmidt Gespräch, Hamburg, 24.-25. März 2022, veranstaltet von der Helmut­-und-Loki-Schmidt Stiftung)

Der Zweck unserer Veranstaltung ist, das Verhältnis von Klimawissenschaft und Politik zu diskutieren. Im Folgenden mache ich ein paar Anmerkungen zur Problematik.

Wissenschaftlich steht das Klima für die Statistik des Wetters in Atmosphäre, Ozean und anderen Komponenten des Erdsystems. Statistik heisst: Mittelwerte, Häufigkeiten, Varianzen, Kreuzkorrelationen, Eigenvektoren, Spektren usw. Die Vermutung, dass menschliche Aktivitäten den Zustand des Klimas ändern könnten, entstand schon Ende des 19ten Jahrhunderts. Nachdem die wesentlichen Fragen der Dynamik und der Vorhersagbarkeit des globalen Klimasystems geklärt sind, wendet sich die Klimaforschung den Fragen der Wirkung des Klimawandels zu, auch in der ursprünglichen geographischen Tradition des Regionalen.

Die politische Dimension stützt sich auf die wissenschaftliche Dimension, fügt aber in das Verständnis soziale Konstruktionen ein wie die der Klimakatastrophe oder ›Die Natur schlägt zurück‹. Alle Extreme werden zum Ausdruck der Klimakatastrophe, ganz so als habe es früher keine solchen Extreme gegeben wie die Flutkatastrophen an der Ahr in 1910 und 1804 oder die Nordsee-Sturmflut 1962. Aus diesem Missverständnis ergibt sich auch die Erwartung, eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik, in Form der Beendigung von Treibhausgasemissionen, könnte solche Extreme verhindern – und nicht nur deren Verschärfung. Das politische Konzept vom Klima motiviert einen radikalen Umbau von Gesellschaft und Klima, wird zum Vehikel zur Konstruktion politischer Macht.

Wissenschaftlich konstruiertes Wissen repräsentiert nicht ewige Wahrheit. Es gilt grundsätzlich nur auf Abruf, bis Widersprüche erscheinen aufgrund neuer Daten oder Einsichten. Es besteht aus zur Zeit besten Erklärungen, die widerspruchsfrei sind mit allen bis dato vorliegenden Daten und Einsichten. Der ab und an erforderliche Häutungsprozess wird in Ludvig Flecks Entstehung einer wissenschaftlichen Tatsache dargestellt. Meist macht die Wissenschaft graduellen Fortschritt, repariert diese und jene Lücke, merzt kleine Irrtümer aus, aber baut unverdrossen weiter an der bisherigen großen Linie. Aber dann gibt es Ausnahmewissenschaftler, die erkennen, dass etwas grundsätzlich an der bisherigen großen Linie nicht stimmt – und es kommt zum Paradigmenwechsel. Klaus Hasselmanns Stochastic climate model war so ein Wechsel in der Klimaforschung, als er – jetzt reichlich verkürzt ausgedrückt – mit der Aufspaltung des unendlich-dimensionalen Phasenraumes des Klimasystems in einen deterministischen und einen stochastischen Teil die Entstehung unprovozierter Variabilität erklärte, und die Notwendigkeit und Möglichkeit zwischen deterministischer Wirkung aufgrund erhöhter Konzentration von Treibhausgasen, und den stochastischen Schwankungen zu unterscheiden.

Können Wissenschaftler konstruktiv in den Prozess der politischen Willensbildung eingreifen? Politik ist die Kunst des Ausgleichs von verschiedenen gesellschaftlichen Interessen. Oft genug wird versucht, diesen Ausgleich zu sabotieren, indem die eigene Position als alternativlos, als wissenschaftlich oder normativ zwingend dargestellt wird, was aber im Widerspruch zu anderen dominanten Zielen relevanter gesellschaftlicher Akteure stehen kann. Aber in demokratisch verfassten Gesellschaften sind es Werte, Präferenzen, soziale Konstruktionen von Wirklichkeit, Wahrnehmungen, die zu Interessenunterschieden führen, die es im Prozess der Politik auszugleichen gilt. Nicht umsonst sind es 16 Punkte in den sogenannten UN-Millenniumszielen, mit der Bekämpfung von Armut und Hunger vorneweg.

Wissenschaft kann zum politischen Willensbildungsprozess beitragen, aber ihn nicht abschließen. Sie kann klären, wie Dinge zusammenhängen, ob vorgeschlagene Maßnahmen die gewünschten oder behaupteten Folgen haben können oder nicht. Sie hat geklärt, dass der andauernde Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre zu Klimaänderungen führt; dass die Änderungen erst zu einem Ende kommen, nachdem es weltweit keine netto-Emissionen von Treibhausgasen mehr gibt, und ein Erreichen des Pariser Ziels erfordert, alle Netto-Emissionen bis circa 2050 weltweit auf Null zu bringen und durch signifikante negative Emissionen zu ersetzen. Mit welchen gesellschaftlichen Kosten dies verbunden ist, also etwa im Sinne von Entwicklungszielen im ärmeren Teil der Welt, bleibt hier erst mal unklar. Es heisst nur: wenn ihr das Pariser Ziel einhalten wollt, dann ist dies und jenes zwingend nötig. Wenn – dann.

Eine Frage ist, wie Wissenschaftler am politischen Willensbildungsprozess teilnehmen sollten. Sind sie privilegierte Träger abschließender Weisheit oder nur Bürger mit Werten und Präferenzen, wie jeder andere auch, gleich ob Friseur, Taxifahrer oder Journalist?