Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

von Hans von Storch

Am 5. Oktober hat die Schwedische Akademie der Wissenschaften mitgeteilt, dass erstmals Klimaforscher mit dem Nobelpreis für Physik in 2021 ausgezeichnet werden. Klaus Hasselmann und Suki Manabe, for the physical modelling of Earth’s climate, quantifying variability and reliably predicting global warming. Die Medien in Deutschland waren begeistert und berichteten prominent.

Klima – das ist die Statistik des Wetters, in Atmosphäre, Ozean und anderen Komponenten des Klimasystems. Klimaforschung fragt, wie diese Statistiken zustandekommen, wie sie sich verändern, wie das Klimasystem funktioniert und wie es auf externe Störungen reagiert. In den letzten 50 Jahren sind gewaltige Fortschritte gemacht worden in diesem Wissen. Inzwischen geht es fast nur noch um den Klimawandel, der sich seit 30 Jahren immer deutlicher herausschält.

Die Klimaforschung findet sich derzeit in einer ›postnormalen‹ Phase, in der die öffentliche Aufmerksamkeit vor allem auf die politische Nützlichkeit dieses Wissens fokussiert, und weniger, worin es besteht und wie es abgeleitet wird. Dies sehen wir auch in der Berichterstattung über Klaus Hasselmann. Summarisch wird festgehalten, dass er den Nachweis über die menschliche Wirkung der erhöhten Treibhausgaskonzentrationen auf das Klimas erbracht hat. Aber worin besteht dieser Nachweis?

Tatsächlich hat Klaus Hasselmann eine zielführende Analyse von Klima und Klimawandel erst ermöglicht, als er 1976 mit Gründung seines Instituts klarstellte, dass Schwankungen im Klimasystem auch Ausdruck interner Vorgänge sind, also nicht notwendigerweise mit externen Faktoren verbunden sein müssen. Das Klimasystem kann in zwei Teile aufgeteilt werden, in einen kleinen Teil, der die langsame Klimadynamik repräsentiert und einen riesigen Teil, der kurzfristige, intern erzeugte Schwankungen, Wetter, generiert. Letztere führen selbst wiederum zu Klimaschwankungen, die aber eben nicht Ausdruck der Gegenwart äußerer Einflüsse sind. Diese konkurrieren mit Klimaschwankungen, die etwa auf erhöhte Konzentrationen von Treibhausgasen zurückgehen.

Um Letzteres zu bestimmen, müssen die beiden Arten von Klimaschwankungen unterschieden werden. Wie man das machen kann, war 1979 Klaus Hasselmanns zweiter wesentlicher Beitrag in diesem Kontext. Diese Unterscheidung muss statistisch geschehen, und der Vergleich muss auf wenige Indikatorgrößen beschränkt werden. Dies geschieht durch Projektion der beobachteten Änderungen auf Muster, die sich aus theoretischen Überlegungen oder durch Klimawandelsimulationen als Reaktion auf vermutete externe Faktoren ergeben. Zunächst klärt man in der ›Detektion‹, dass die Vermutung ›keine externe Wirkung‹ mit dem beobachteten Befund unverträglich ist, und dann in der ›Attribution‹ welcher Mix an vermuteten Änderungen am besten zur Beschreibung der aktuellen Änderung passt. In den 1970er Jahren war sowohl die Datenlage für eine erfolgreiche ›Detektion und Attribution‹ unzureichend, und die Klimamodelle noch zu wenig ausgereift, um detaillierte Vorschläge für erwartete Änderungen zu konstruieren. Aber Anfang der 1990er war es dann soweit – die menschliche Natur des beobachteten Klimawandels wurde in Hamburg nachgewiesen.

Das ist natürlich nur eine grobe Skizze der von Klaus Hasselmann geschaffenen Wissenschaft. Allgemeiner, und für Laien nur schwierig zu verstehen, ist die grundsätzliche Trennung in ein ›niederdimensionales‹ und ein ›hochdimensionales‹ Teilsystem im Ansatz der ›principal interaction patterns‹ von 1988. Das erste Teilsystem ist klein, aber beschreibt den Teil, der interessiert, der untersucht werden soll, der vorhergesagt werden soll. Das zweite Teilsystem ist sehr groß, und nur seine Wirkung auf das niederdimensionale Teilsystem ist von Interesse. Diese Wirkung hängt aber vom unbekannten Zustand im hochdimensionalen Teilsystem ab – man postuliert, dass ihre Statistik vom Zustand im niederdimensionalen System ›parametrisiert‹, genauer ›konditioniert‹ werden kann. Dieser Ansatz beschreibt auch die Konstruktion von Klimamodellen, die es gestatten, das großräumige Klimageschehen darzustellen, ohne kleinräumige Vorgänge explizit zu berücksichtigen: Klimamodelle kennen den Globus, aber nicht St. Pauli.

Über diese innovativen Zugänge zum Beschreiben und Verstehen der Klimaschwankungen hinausgehend umfasst das Werk von Klaus Hasselmann vor allem Grundlegendes zur Analyse und Vorhersage von Seegang sowie zur Wechselwirkung von Klima und Ökonomie im Zusammenhang mit Klimapolitik.

Eine vollständigere Sichtung der Leistung von Klaus Hasselmann wird demnächst bei Springer Publisher als open access erscheinen – von Storch, H., (ed.),2021/22: From Decoding Turbulence to Unveiling the Fingerprint of Climate Change: The Science of Klaus Hasselmann.

Aus Anlass des neunzigsten Geburtstages von Klaus Hasselmann erschien eine ähnliche Fassung in der Welt: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article234605066/Klaus-Hasselmann-Seine-Methode-gleicht-der-polizeilichen-Analyse-eines-Mordes.html