Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

von Hans von Storch

Das Drama der Überschwemmungen und Sturzfluten im Westen Deutschlands hat wieder den Irrglauben dokumentiert, dass Klimapolitik nur aus der Minderung der Emissionen, dem ›Klimaschutz‹, bestünde, während Anpassung nur eine vernachlässigbare Komponente sei. In diesem Essay wird dargestellt, wieso das ein schwerer Irrtum ist, und wem dieser Irrtum nützt.

Am 14. und 15 Juli 2021 kam es zu ganz erheblichen Niederschlägen in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz, deren Wasser sich unter Wegreißen von Häusern, Straßen, Brücken und Bahntrassen seinen Weg zur Nordsee suchte. Über 170 Menschen kamen ums Leben. Der Wetterdienst stellte in seiner Analyse (https://www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/niederschlag/20210721_bericht_ starkniederschlaege_tief_bernd.pdf) der Vorgänge fest, dass lokal zahlreiche lokale Maxima der Niederschlagsmengen überschritten wurden, obwohl es keine neuen deutschlandweiten Rekorde gab.

In den Medien wurde daraufhin sofort auf den menschengemachten Klimawandel verwiesen, der hier ursächlich sei und zweifelsfrei seiner Rolle als Weltproblem #1 dokumentiere. Zwischentöne gab es praktisch keine, fast nur die Forderung, jetzt endlich äußerst energisch gegen die weitere Freisetzung von Treibhausgasen vorzugehen. Der grüne Zeitgeist schlug populistisch zu. Von Unbewohnbarkeit von Teilen der Erde war die Rede, aber auch von der Möglichkeit, derartige Katastrophen mit einer durchgreifenden Klimaschutzpolitik zukünftig verhindern zu können; es wurde suggeriert, dass dann zukünftig solche Niederschlagsereignisse nicht mehr vorkämen. Von unzureichender Anpassung an den voranschreitenden Klimawandel oder von einer Vernachlässigung des Katastrophenschutzes war kaum die Rede.

Dabei ist in wissenschaftlichen Kreisen (Nordhaus, W.D., 1991: To slow or not to slow: the economy of the greenhouse effect. Econ. J. 101, 920-937) seit langem klar, dass eine wirksame und realistische Klimapolitik aus zwei Komponenten bestehen muss – aus der Minderung der Emissionen von Treibhausgasen, die hinter dem Klimawandel stehen, und der Anpassung an die allgegenwärtigen Gefahren des Klimas, die sich derzeit durch den Klimawandel verschärfen. (Unter Aktivisten wird die Anpassung bisweilen fälschlich missverstanden als die Anpassung an die Erfordernisse des Klimaschutzes.) Ein gewichtiges Argument für die Anpassung ist, dass sich ja schon Klimawandel eingestellt hat, und er sich weiter entfalten wird, so dass man sich zumindest an diesen nicht-vermiedenen Klimawandel anpassen muss. ( Hier in der Kolumne ›Zur Sache Klima‹ auf der Webjournal Globkult wurde die Dualität von Anpassung an Klimawandel und Vermeidung von Klimawandel unlängst diskutiert: Klimapolitische Herausforderungen: Emissionsminderung und Anpassung)

In regionalen und lokalen Behörden wird die Anpassung durchaus ernst genommen – insbesondere was den Küstenschutz angeht –, aber auf dem Marktplatz der öffentlichen Erregung wird das Thema ausgeblendet, mit Al Gore als einem aktiven Vertreter. Als ich in einem frühen Interview im Spiegel (https://www.spiegel.de/wissenschaft/wir-werden-das-wuppen-a-768d9ce8-0002-0001-0000-000028325115), in 2003, auf die Vernachlässigung der Anpassung in der Aufmerksamkeitsökonomie hinwies, wurde mir von interessierter Seite unterstellt, ich fordere Anpassung statt Vermeidung, obwohl es hätte klar sein sollen, dass beide Zugänge parallel genutzt werden müssen.

Mit den Extremereignissen des Wetters, die bei den Menschen zu Katastrophen werden, soll man offenbar so umgehen, dass man diese Ereignisse verhindert. Dass das durch eine energische Klimaschutzpolitik gelänge, wird von vielen Menschen zumindest stillschweigend angenommen. Man wird extreme Wetterereignisse nicht verhindern, bestenfalls eine weitere Verschärfung einschränken können. Also müsste man sich darum kümmern, die Lage ›vor Ort‹ so zu gestalten, dass mit den Folgen von Extremereignissen des Wetters – hier also: die enormen Mengen Wassers, die durch engen Raum strömen – umgegangen werden kann. Dieses ›kümmern‹ ist dann – Anpassung. Was an schlimmen Folgen nicht vermieden werden kann, wird hoffentlich von einem gut aufgestellten Katastrophenschutz aufgefangen. Zu letzterem gehört die Pflege der Erinnerung an vergangene Ereignisse, wie es etwa an der Nordseeküste erfolgreich mit der 1962er Sturmflut gelingt.

Es gibt Einwände, wie etwa, gegen solche Sturzfluten, wie sie am 14 und 15 Juli erlebt wurden, gebe es keine Mittel. – Das ist sicher nicht richtig, gibt es doch Gegenden auf der Welt, wo solche Ereignisse durchaus zwar nicht häufig aber doch weniger selten sind, aber durch geeignete Anpassung derartige Katastrophen vermieden werden. Aber man darf auch fragen, von wem man dies hört – darunter waren auch Verantwortliche aus Gemeinden, Kreisen und Ländern, denen es sicher auch darum ging, keine Verantwortung für versäumte Anpassung und Katastrophenschutz zugewiesen zu bekommen. Das Mittel heißt: Raumordnung, auf der Basis auch historisch informierter Szenarien des Seltenen aber Möglichen.

Als Beispiel für das Seltene aber Mögliche kann Ahrweiler dienen, für das der Kreis eine ganz gute Übersicht über die Ereignisse der letzten 600 Jahre anbietet (https://www.kreis-ahrweiler.de/kvar/VT/hjb1983/hjb1983.25.htm): »...so kann man 9 Hochwässer besonders herausstellen. Hiervon sind wiederum 5 Sommerhochwässer (1601, 1804, 1818, 1848, 1910) und 4 Winterhochwässer (1687, 1739, 1795, 1880)«. Demnach treten solche Sommerhochwasser im langjährigen Durchschnitt ca. 1 mal pro hundert Jahre auf. Inwieweit die aktuelle Flut die historischen Fälle übersteigt, ist nicht bekannt. Unabhängig vom Klimawandel muss man also generell mit extremen Sommerhochwassern rechnen. Alles andere wäre auch überraschend.

Kommen wir abschließend noch zur Frage der Verantwortung. Die für die Begrenzung, das ›Stoppen‹ des Klimawandels Verantwortlichen sind vor allem die nationale und europäische Ebene; in der derzeitigen Lage also Frau von der Leyen und Frau Merkel samt ihrer zuständigen Minister und Kommissare für Inneres und Umwelt. Für die Anpassung und den Katastrophenschutz sind es aber Verantwortliche auf Landes- und Kommunalebene. Also eher die Landesminister, die Kreise und die Bürgermeister. Wenn das Ganze gedeutet wird als Versagen des Klimaschutzes, dann sind Merkel & Co dran, aber wenn die katastrophale Vorbereitung vor Ort – fehlende Anpassung, schlecht vorbereiteter Katastrophenschutz – gleichermaßen in den Fokus rücken, dann sind es zunächst Landesminister und Bürgermeister, aber auch Medien und Interessenorganisationen, die ebenfalls Verantwortung tragen, dadurch dass sie der Öffentlichkeit Klimaanpassung und Katastrophenschutz als etwas dem Klimaschutz deutlich nachrangig Gestelltes darstellen. (Das man bei solcher Gelegenheit auch große Anerkennung erfahren kann, zeigt der Fall Helmut Schmidt, der 1962 als Innensenator Hamburgs die Verantwortung für den Umgang mit den Folgen de Sturmflut übernahm – siehe auch https://www.nzz.ch/international/hochwasser-politische-karrieren-ld.1636022)

Wer suggeriert, dass solche Ereignisse verunmöglicht werden könnten durch wirksamen Klimaschutz, hat dazu beigetragen, dass öffentliche Risikobewusstsein zu mindern und damit die Verletzlichkeit der Menschen erhöht. Wer dann ruft ›aber der Klimaschutz ist ja nicht wirksam genug, daher gab es ja die Katastrophe‹ ist unseriös und im Angesicht der Opfer zynisch.

Eine sinnvolle Klimapolitik sucht die Minderung der Verursachung des Klimawandels, aber sorgt mit gleicher Ernsthaftigkeit dafür, dass mit nicht vermiedenen Folgen umgegangen werden kann.