Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

von Hans von Storch

Wir sind alle Altruisten.

RTL-West verkündet auf Facebook: »Querdenker warnen vor Masken – Sogenannte Querdenker haben im Regierungsbezirk Köln Broschüren mit irreführenden Informationen an Lehrer verteilt. Darin wird unter anderem vor dem Tragen von Masken gewarnt. … Die Broschüren waren an die einzelnen Lehrer adressiert und wurden in Schulen abgegeben.« Meine Frage auf Facebook »Was für ein Sendungsbewusstsein treibt solche Leute eigentlich an? Wollen die die Menschheit retten oder so was?« wurde dann u.a. mit »die Kinder« (samt Umarmungssymbol) beantwortet. Andere Reaktionen waren von dieser Art »Es gibt heute Masken Rückruf von DM, Masken haben vergifteten Stoff z.b, kann jeder googeln. … Wie stand es nochmal um den Bildungsstandort Deutschland, hat euch Corona alle die Gehirne und den Verstand vernebelt.«

Insgesamt 248 Zuschriften, Anzahl steigend. Eine Flut von angsterfüllten, besserwisserischen und bösartigen Kommentaren. Eine Beschimpfungsorgie. Aber die umarmende ›die Kinder‹ -Frau meint es ernst. Es bricht sich etwas Bahn.

Fast gleichzeitig, am 2. Dezember, berichtet die Tagesschau: »Mit deutlichen Worten hat UN-Generalsekretär Guterres zu mehr Klimaschutz aufgerufen. Bereits jetzt seien apokalyptische Feuer und Überschwemmungen die neue Realität. … Zum Ende eines Jahres der Wetterextreme mit Hurrikanen, Waldbränden und Hitzewellen hat UN-Generalsekretär António Guterres die Menschheit zu einem Ende ihres ›Krieges gegen die Natur‹ aufgerufen. Sie solle sich verpflichten, den Ausstoß von Treibhausgasen zu beenden, sagte er in einer Rede. … Guterres fand deutliche Worte zum Zustand der Erde: ›Unser Planet ist kaputt!‹ Der Weg aus der Coronakrise biete in dieser Hinsicht aber eine Chance. ›Die Corona-Erholung und die Reparatur des Planeten können zwei Seiten derselben Medaille sein‹, sagte der UN-Chef.«

Auch Herr Guterres will retten, nämlich zunächst das Klima, dann Natur und Menschheit. Er forderte so eine Priorisierung der Weltaufmerksamkeit ein, als ob es 17 Millenniumsziele der UN nie gegeben hätte – die am 9. September 2000 von 189 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen beschlossen worden sind. Nummer 1 auf der Liste ist Armut.

Gleichzeitig nimmt der Umfang der Infektionen zumindest in jenen Teilen der Welt, über die unsere Medien eine Berichterstattung für lohnend halten, massiv zu, die Möglichkeiten der Eindämmung mit geeigneten gentechnisch erzeugten Impfstoffen machen erhebliche Fortschritte, die Schäden durch klimatische Ereignisse werden geringer und die Emission der Treibhausgase wachsen weiter an. Man fordert Rettung, engagiert sich in symbolischen Akten, feiert sich als Forst- bzw. Kneipen-bewahrende Widerstandskämpfer, aber dennoch wird nichts gerettet. Im Hintergrund aber werkeln Ingenieure durchaus mit Erfolg an Möglichkeiten, die Pandemie einzuhegen, die Patienten zu heilen, die Emissionen zu mindern und die negativen Folgen des Klimawandels zu mindern. Aber die Straße marschiert, in den bürgerlichen Heimen blühen Ängste, wilde Theorien, Globuli, Schuldzuschreibungen und wundersame Lösungsvorstellungen.

Die Mittelschicht rotiert, findet einen neuen Lebenssinn, die Rettung, die Abschaffung des Bösen, des Ungerechten, des Gefährlichen in der Welt. Wiewohl die Anerkennung der Identität der Minderheiten und Schwachen zum Maß des Guten erhoben wird, so wird durchaus nicht damit gerechnet, dass diese selbst für sich sprechen könnten. Stattdessen werden wir alle zu ihren Anwälten, des Klimas, der Natur, der Frauen, der Enkel der Kolonisierten, der Kinder und so fort.

Woher kommt dieser Furor, der mir in Deutschland besonders ausgeprägt zu sein scheint? Solange es noch um die materielle Sicherstellung ging, standen das Auto, das Häuschen die Weihnachtsgans im Vordergrund, und die Vietnamesen im Osten und die Gastarbeiter im Westen konnten ungestört ausgebeutet werden. Aber dann begann die Abwehr der Gefahren – vor allem das Atom, die Nazis, das Waldsterben –, die Besinnung auf naturnahes Leben und trat seinen Siegeszug in der westlichen Republik an. Dann fiel die Bedrohung durch ›den Russen‹ weg, und wir wurden wiedervereinigt. Die 17 Millionen Neubürger stellten keine schützens- und förderungswürdige Minderheit dar. Vielmehr sollten sie ihre verqueren Vorstellungen zum gesellschaftlichen Umgang, von Werten aufgeben, hinnehmen, dass unzählige Biografien als belanglos erklärt wurden.

Das ging lange gut, aber irgendwann fiel im Osten wohl auf, dass man doch die erste erfolgreiche Revolution in Deutschland durchgezogen hatte, dass man genauso mitreden könne wie die aus dem Westen. So wie die Umweltbewegten Ableger im Osten aufbauten, so fanden die Antiautoritären im Westen Geistesverwandte. Beide Bewegungen, die Umweltbewegten und die Antiautoritären wollen das Gute – wohlgemerkt in der jeweils eigenen Wertewelt; sie sind beide besserwisserisch, inszenieren symbolische Akte, achten wenig auf die Frage, ob die gewünschten Ziele mit den eingeforderten Maßnahmen erreicht werden können.

Die beiden Bewegungen unterscheiden sich in ihren Werten erheblich, aber Ähnlichkeiten gibt es schon. Es sind Vettern bzw. Cousinen im Geiste, die – wie oft in Familien – in tiefer gegenseitiger Verachtung zueinander stehen, gestählt durch die eigene Besserwisserei und den jeweiligen Rettungsanspruch. Sie sind ideologisch weit voneinander entfernt, in ihren Denkmustern jedoch ähnlich.

Wir sind auf dem Weg in eine neurotische Gesellschaft. Wir lernen dazu, aber jedes Lernen führt zu einer Einengung der Optionen, und die Optionen in verschiedenen gesellschaftlichen Blasen schließen einander antagonistisch aus. Die Panik, die Angst, die Hybris der altruistischen Rettung ist das neue Normal. Im Angelsächsischen hat man dafür einen Begriff: ›German Angst‹, die ebenso lange das Wohlbefinden vieler Mitbürger prägt wie etwa Feuerwerke des esoterischen Unsinns.

(Dank an EZ und AS für konstruktive Kommentare)