Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

von Hans von Storch

Wozu ist Wissenschaft eigentlich da – warum leisten wir uns den Luxus, viele Menschen über eine breite Spanne an Themen forschen zu lassen? Wenn es um Projekte geht, kriegen diese Menschen gesagt, was sie erforschen sollen, in vielen anderen Fällen, etwa bei Universitätsprofessoren, sind sie frei in der Wahl Ihrer Themen. Warum zahlen wir dafür viel Steuergeld?

Eine Antwort ist: Wenn unter 100 Forschungen 99 ohne wirklichen Nutzen bleiben, eine Forschung aber doch durchschlägt, dann hat sich das ›Geschäft‹ gelohnt. Einen empirischen Beweis, für diese Behauptung kenne ich nicht. Man kann aber auch sagen, wie es Reimar Lüst einmal tat, dass Wissenschaft einfach Teil unserer Kultur sei; so wie eine Oper gehöre auch eine Universität zur Kultur in Hamburg.

Wissenschaft befriedigt unser gesellschaftliches Verlangen, Dinge zu verstehen, Sinn zu machen in einer komplexen natürlichen und sozialen Umwelt. Selbst wenn dieses Sinn-machen nicht auf ›richtigem‹“ Verständnis beruht, so schafft es Lebensqualität, weil es ein Sich-Einrichten auf Herausforderungen ermöglicht. Wenn Wissenschaft sich an ihre eigenen Normen hält, dann wehrt sie auch Wissensansprüche ab, die von interessierten Seiten vorgebracht werden, um weltanschauliche oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Gerade im Falle von Umweltwissenschaften machen sich aber einige Wissenschaftler zu Anwälten solcher Interessen und setzen ihre Autorität als vorgeblich objektive Wissenschaftler zugunsten einer wertegeleiteten Agenda ein.

Die Mertonschen Normen der Naturwissenschaften sind: Ergebnisse sind Gemeineigentum; Eigenschaften der Erzeuger von Ergebnissen sind für die Bewertung der Qualität unbedeutend; Forschung wird nicht mit politischen Agenden betrieben, und alle Ergebnisse werden einer kritischen, offenen Überprüfung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft unterzogen.

Ursprünglich nahm die Kirche die Aufgabe in Anspruch, die Deutung von Ereignissen und Entwicklungen zu liefern. Die Kirche hielt ›Wissen‹ vor, das erlaubte, zielgerichtet mit Herausforderungen umzugehen, und Schuldige zu bestimmen für Naturkatastrophen. Dummerweise hielt dieses Wissen einer kritischen Überprüfung anhand unabhängiger Daten selten stand.

So waren schwerste Sturmfluten Ausdrucks des Zorns Gottes über sündiges Verhalten der Küstenbewohner, und Wind samt Hochwasser gemeinsamer Teil dieser Strafe. In dieser Deutung waren also die Küstenbewohner selbst schuld an ihrem Leid, und die angezeigte Mitigationsstrategie das Führen eines christlichen Lebenswandels. (Vernünftigerweise wurde die Deutung ergänzt um die Einsicht, dass Küstenschutz nur solche Sturmfluten abwehren könne, die nicht göttliche Strafe seien; gegen göttliche Strafen aber sei jeder Küstenschutz vergeblich.)

Das war natürlich alles Unsinn, aber diese Sichtweise erfüllte ihren Zweck, nämlich den Menschen zu erklären, dass Sturmfluten konsistent mit der Gottgegebenen Weltordnung sind, und welche (relligiösen) Maßnahmen nötig sind, um solche Desaster zu vermeiden. Dass dabei auch die Deutungshoheit des christlichen Narrativs abgesichert wurde, wird zur Stabilisierung der Machtverhältnisse beigetragen haben.

Der Unterschied zur modernen Naturwissenschaft zeigt sich auch in den Mertonschen Normen: Wissen gehörte der Kirche; es war durchaus von Bedeutung, von wem welche Deutungen vorgetragen wurde; die Deutungen sollten natürlich die von der Kirche vertretene Weltsicht stützen; eine Kritik der Aussagen durch unabhängige Dritte war unerwünscht. Hier wird schon der Fortschritt deutlich, den das Kind der Aufklärung, nämlich die moderne Wissenschaft, darstellt. Wissenschaft kann nicht Politik bestimmen, aber Sinn ermöglichen. ›Gute‹ Wissenschaftler sind Fachidioten mit einer engen aber tiefen Expertise. Wenn sie nichts taugen, sind sie einfach Stammtischler.

Oft werden die Mertonschen Normen als unrealistische Idealisierung gesehen, die so gar nicht umgesetzt werden könnten. Dies mag oft so sein, aber ich postuliere, dass die Autorität der Naturwissenschaften als Dienstleister, dominanter Sinn-Macher westlicher Gesellschaften zu sein, daran hängt, dass so etwas wie diese Normen als leitende Prinzipien für die wissenschaftliche Praxis wahrgenommen werden. Und tatsächlich, eine Umfrage unter internationalen Klimaforschern ergab, dass das Selbstbildnis der befragten Forscher diese Prinzipien einfordert.

Das hindert eine Minderheit von Forschern aber durchaus nicht, etwa die Forderung der Interesselosigkeit zurück zu stellen zugunsten der Forderung, dass wissenschaftliche Ergebnisse einem als ›gut‹ konstruierten politischen Zweck dienen sollten. Die Ergebnisoffenheit und die Bereitschaft zum wissenschaftlichen Streit, wie es Virologen im Angesicht der dringenden Fragen der Corona-Pandemie zeigten, unterscheidet sich wohltuend von manchen wissenschaftlichen Begleitungen von Umweltthemen.

Hier scheint mir eine Diskussion erforderlich sowohl innerhalb der Wissenschaften als auch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zur Klärung dessen, was denn ›gute‹ Wissenschaft ausmachen soll.