Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

von Hans von Storch

Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik ist normalerweise von einer klaren Arbeitsteilung bestimmt – der politische Prozess trägt die Entscheidungen und damit auch die Verantwortung für die Folgen der Entscheidung, während der Prozess der Wissenschaft erlaubt, Optionen einzuordnen in Bezug auf Folgen in einer Mannigfaltigkeit von Aspekten. Sehr verkürzt ist dies die ›normale‹ Situation. Aber es gibt dann noch die postnormale Situation, in der Politik ihre Entscheidungen als von der Wissenschaft alternativlos gegeben vorgibt und keine Verantwortung übernehmen kann, und wo Wissenschaft sich einem übergeordneten gesellschaftlichen Ziel unterordnet. Natürlich ist es dann nicht ›die‹ Politik und nicht ›die Wissenschaft‹, sondern es sind Politiker und Wissenschaftler.

Die Klimaforschung findet sich in dieser Lage seit zwei oder drei Jahrzehnten; die Virologie fand sich möglicherweise schon früher in einer postnormalen Situation, aber derzeit, seit Anfang des Jahres 2020, ganz klar in dieser Situation. In diesem Artikel wird diese Postnormalität diskutiert für diese beiden Fälle, die Andersartigkeit der beteiligten Disziplinen besprochen, und die Wirkung auf Politik und Wissenschaft erörtert.

Postnormalität

Das Konzept der Postnormalität wurde in den 1980er Jahren durch die Wissenschaftstheoretiker Silvio Funtowicz und Jerome Ravetz eingeführt. Es beschreibt die Bedingungen der Wissensproduktion, wenn diese von vier Besonderheiten beherrscht werden: Unsicherheit, Wertebezug, Dringlichkeit und hohes Risiko. Unter diesen Umständen kann ›die‹ Wissenschaft nicht mehr wie üblich – normal! – den politischen Entscheidungsprozess beraten, sondern wird zum interessengeleiteten Kombattanten im Entscheidungsprozess. Politik wird de-politisiert und Wissenschaft wird ent-wissenschaftlicht. (1) Beide sozialen Prozesse, Wissenschaft und Politik, verlieren gegebenenfalls dadurch ihre sehr verschiedenen Potentiale. Sowohl die Klimaforschung (2) als auch die Virologie (3) – sofern es um die gegenwärtige Pandemie geht – sind in einer postnormalen Situation.

Ausführlicher beschrieben sind die vier Besonderheiten der Postnormalität:
a) Unsicherheit. Das unter ›normalen‹ Umständen erzeugte Wissen ist von erheblichen Unsicherheiten betroffen. Unsicherheiten, die nicht auf einfache und zeitnahe Weise beseitigt werden können, da sie aus der Komplexität und der begrenzten empirischen Evidenz herrührt. Im Falle der Klimaforschung ist die sogenannte Sensitivität des Klimasystems gegenüber erhöhter Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre so eine unvermeidliche Unsicherheit, die erst dann wirklich beseitigt sein wird, wenn der Klimawandel sich deutlich länger entfaltet hat. Im Falle der Virologie gehört der Komplex der Herdenimmunität und die Frage der ›zweiten Welle‹ dazu.

Diese Unsicherheiten sind signifikant, weil sie entscheidend für den politischen Entscheidungsprozess sind. Die Sensitivität des Klimasystems ist entscheidend für die Beurteilung, wie viel Treibhausgase noch in die Atmosphäre abgegeben werden dürfen, wenn der Anstieg der Temperaturen einen vorgegeben kritischen Wert nicht überschreiten soll. Die Frage der Immunität hat maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung wie stark die mögliche Ansteckung eingeschränkt werden muss, so dass etwa die Krankenhäuser noch ordnungsgemäß funktionieren.

b) Wertebezug. Die anstehenden Entscheidungen sind stark abhängig von Werten – d.h. Menschen und Gesellschaften mit verschiedenen Wertesystemen schätzen die Situation verschieden ein. Im Falle der Klimaforschung geht es etwa entweder vor allem um zukünftige Generationen, für deren Wohlergeben die gegenwärtige Generation Sorge zu tragen hat, oder um die Verortung, die Verantwortung für das Wohlergehen bei der jeweiligen Generation selbst. Im Falle der Pandemie geht es auch um die Übernahme von Verantwortung – entweder für die eigenen ›Schwachen‹ (also Alte und ›Vorerkrankte‹) oder um das Wohlergehen von Jungen und wirtschaftlich Aktiven im eigenen Lande und im Rest der Welt.

c) Dringlichkeit. Entscheidungen müssen zeitnah getroffen werden, um Gefahren abzuwehren; ein Abwarten, etwa bis die Wissenschaft die Unsicherheit des Wissens vermindert hat, ist nicht möglich. Im Falle der Klimaforschung sind die Minderungen der Emissionen, das Herunterfahren und das Ersetzen durch negative Emissionen bis 2050 jetzt einzuleiten; andernfalls ist das Pariser Ziel einer Erwärmung von höchstens 1.5 bis 2 Grad nicht erreichbar. Ebenso im Falle der Pandemie – der Lockdown ist unverzüglich durchzuführen und durchzuhalten, andernfalls ist das exponentielle Anwachsen der Todeszahlen nicht mehr abzuwehren.

d) Hohes Risiko. Beide Entscheidungen, in die eine oder die andere Richtung, sind mit einem erheblichen Einsatz, und damit einem Risiko für ein Scheitern verbunden. Im Falle der Klimapolitik also entweder erhebliche Eingriffe in das Produzieren von Wohlstand durch eine funktionierende Wirtschaft oder aber erhebliche Schadenfolgen durch den nicht vermiedenen Klimawandel hinzunehmen. Im Falle der Pandemie – deutlich erhöhte Todeszahlen oder ein Einbruch in den gesellschaftlichen Wohlstand bzw. im Kampf gegen die weltweite Armut.

Eine Durchsicht dieser Kriterien ergibt, dass sich sowohl Klimaforschung als auch Virologie in einer postnormalen Phase befinden.

Das bedeutet nicht, dass sich diese Wissenschaftsgebiete selbst in diese Lage manövriert hätten. Zwar wurde der menschengemachte Klimawandel durch die Klimaforschung entdeckt, ist aber eine lange in der westlichen Kultur verankerte soziokulturell konstruierte Sorge. (4) So war kulturell schon vorbereitet, dass wissenschaftliche Vorstellungen vom Klimawandel schnell einen prominenten Platz in der Atmosphäre der gesellschaftlichen Sorge um die Umwelt einnehmen konnten. Die neuartige Krankheit wurde nicht von der Wissenschaft ›entdeckt‹ sondern von Praktikern; so rückte das Thema auf die gesellschaftliche Agenda und damit in den Fokus der Wissenschaft, was sicher durch böse Überlieferungen von Cholera und Pest befördert wurde.

Die Wissenschaft wurde mit einer postnormalen Herausforderung konfrontiert, und reagierte darauf. Die Gesellschaft forderte ›Wahrheit‹, eine klare Aussage über richtig und falsch, wobei oft schon a-priori feststand, was für wen richtig und was falsch ist.

Normale Wissenschaft

Zum besseren Verständnis der Erwartungen der Öffentlichkeit an die Belastbarkeit von wissenschaftlichen Aussagen ist vielleicht ein Beispiel für normale Wissenschaft hilfreich – z.B. die Entwicklung der Wettervorhersage.

In diesem Falle geht es um komplexe technologische Entwicklungen, wie die automatische Sammlung von Daten und deren zeitnahe Archivierung, die ›Assimilation‹ dieser Daten in die Anfangsbedingungen von immer komplexer werdenden Codes auf immer größeren Computern. ›Normal‹wissenschaftlich konstruiertes Wissen wird von der Öffentlichkeit gemeinhin als überlegen zu anderen Wissensformen verstanden. In diesem Falle etwa besser als die Bauernregeln oder Vorstellungen, dass ein Hurrikan Ausdruck der Strafe Gottes für New Orleans sei, weil diese Stadt den Betrieb von Abtreibungskliniken hinnahm.

Diese Wahrnehmung wird vermutlich davon begünstigt, dass diese Wissenschaft vorgeblich nach stringenten Normen – CUDOS – durchgeführt wird, wenngleich im Einzelfall immer wieder erheblich, aber eben ›von außen‹ nicht gut erkennbar davon abgewichen wird.

CUDOS, ein Satz von Normen für eine professionelle naturwissenschaftliche Herangehensweise, steht für Kommunalität (C), Universalität (U), gesellschaftliches Desinteresse (D) und auf wissenschaftliche Skepsis (organized skepticism, OS). Formuliert von dem US-Wissenschaftstheoretiker Robert Merton (1942). Das C verweist darauf, dass die Nutzung wissenschaftlichen Wissens nicht durch den Erzeuger kontrolliert wird, also dass das Wissen Allgemeingut ist; das U verweist darauf, dass es bei dem Wissen nicht darauf ankommt, wer es konstruiert hat; das D, dass das Wissen ohne Rücksicht auf gesellschaftliche oder wirtschaftliche Interessen konstruiert wurde; und das OS, dass Wissenschaft Wissen dadurch stärkt, dass man kollektiv versucht nachzuweisen, dass es falsch ist. Das sind hehre Forderungen, die in der Praxis oft, wenn nicht meistens, nicht erfüllt werden, aber durchaus als Ideal anerkannt werden in wissenschaftlichen Zirkeln. (5)

Wir vermuten, dass aus der Vorstellung, dass Wissenschaft ein idealer wahrheitsfindender und unbestechlicher Prozess ist, zumindest im Westen die Autorität der Wissenschaft als objektivem Wahrheitsverkünder erwächst. Dabei wird dann übersehen, dass Wissenschaft von Menschen praktiziert wird, die natürlich auch ihren Interessen und Werten folgen, dass Wissenschaft ein sozialer Prozess ist und unausweichlich sein muss.

Wirkung der Postnormalität auf Politik und Wissenschaft

Aber Wissenschaft verkündet nicht Wahrheit, sondern liefert nur beste Erklärungen, die widerspruchsfrei sind mit Beobachtungen und beste Erklärungen anderer Phänomene. Aber im Fall der Postnormalität ist das anders; vor allem der Außenauftritt verändert sich.

Das Mertonsche D gilt nicht mehr, die Akteure haben gesellschaftliche Interessen, treten als Kombattanten für das jeweils als das ›Gute‹ verstandene auf. Das C wird auch widerrufen, sobald die Sorge geäußert wird, dass negative Zirkel die eigenen Ergebnisse ›missbrauchen‹ für deren finstere politische Zwecke. Dem U entsprechend sollten alle einschlägigen Wissenschaftler als Experten anerkannt werden, aber Experten sind meist jene, die die Mehrheitsmeinung der jeweiligen Klientel aussprechen.(6)

Dies ist sicher nicht die ›Schuld‹ der Wissenschaftler; es ist wohl mehr die Dynamik des Halb sank er hin, halb zog sie ihn. Obwohl es natürlich auch professorale Akteure gibt, die durchaus um ihre Manipulationen wissen.

So entsteht ein Wissenskonglomerat, dass als Waffe eingesetzt und beliebig erweitert wird, um dem eigenen Narrativ Wirkung zu verschaffen. So sieht man auf den Demonstrationen von ›Fridays for future‹ allenthalben Plakate, die signifikante Umweltprobleme als durch die Klimapolitik der Minderung der CO2-Emissionen lösbar darstellen – etwa Plastik im Meer. Darauf angesprochen, wurde aufgeklärt, Plastik sei schließlich auch aus Erdöl hergestellt, also sei das ein Klimaproblem. Eine phantasievolle Antwort. In eine ähnliche Richtung geht die Spekulation einer Autorin in einem Essay (7) über den Corona-Virus: »Es sei in der Lage, ›von Wirt zu Wirt zu springen […]. Womöglich haben die Abholzung und der Klimawandel‹ diese Wirtswechsel begünstigt«.. Sie hätte ebenso spekulieren können, dass ein umfallender Sack Reis diese Wirtswechsel begünstigt habe. Beide Aussagen haben die gleiche Plausibilität, aber die erste Aussage entspricht einem festen Weltbild im postnormalen Kontext, während die zweite erkennbar Unsinn ist.

Eine unabhängige politische Beratung findet im Bereich der Klimaforschung nicht mehr statt, sondern nur noch ein Bestätigen einer zuvor auf welcher Basis auch immer festgelegten Argumentationslinie. So erstaunt es auch nicht, dass etwa die Beratungsgremien der Bundesregierung durchaus konsistent festgelegt zu sein scheinen, die Umwelt- und Klimaproblematik als prioritär zu verstehen. Dies wurde unlängst anhand eines Gutachtens des ›Sachverständigenrat für Umweltfragen‹ deutlich, als man nicht das erste Mal Probleme mit einem Minderheiten-Votum hatte. In einem früheren Gutachten ein wurde ein »›Rat für Generationengerechtigkeit‹ vorgeschlagen. Das Gremium sollte mit einem aufschiebenden Vetorecht bei der Gesetzgebung ausgestattet werden, wenn Gesetze aus seiner Sicht nicht nachhaltig genug seien.« (8) Ein prominenter Klimaforscher hatte schon früher die Richtung vorgegeben, er erläuterte, er könne sich »vorstellen, zehn Prozent aller Parlamentssitze an Ombudsleute zu vergeben, die ausschließlich die Interessen zukünftiger Generationen vertreten.« (9) Eine selbstreflexive Diskussion zu Aufgaben und Selbstbeschränkung der Klimaforschung findet kaum mehr statt. Medial prominente Vertreter der Klimaforschung treten regelmäßig auf mit dem Anspruch, bestimmte Politiken einzufordern, bzw. Politik als richtig oder falsch zu bewerten. Sie nehmen, ganz im Sinne der Postnormalität des Themas, in Anspruch, alle Aspekte von Klimapolitik, auch die nicht intendierten Folgen, bewerten zu können und vergessen darüber, dass sie doch bestenfalls nur Fachidioten sind, die möglicherweise ihr Fach richtig gut kennen, aber in allen anderen Fragen einfach Laien sind. Dies scheint aber eine ›normale‹ Erscheinung in der postnormalen Situation zu sein.

Die Situation in der Virologie scheint anders zu sein, vielleicht weil das Thema noch jung ist. So beschreibt die WELT den Standpunkt von Christian Drosten so: »Aufgabe der Politik sei es, diese unter anderem mit wirtschaftswissenschaftlichen Informationen zu bündeln und dann eine Entscheidung für die Gesellschaft zu treffen. […] Einzelne Politiker mit ›naher Verbindung zur Wissenschaft‹ würden versuchen, diese Verantwortung auf Wissenschaftler abzuladen. ›Und dann kommen wir in diesen – wie ich finde – etwas gefährlichen Bereich rein, dass dann, sagen wir mal einem Institutsdirektor, zum Beispiel gesagt wird, du bist hier doch der Chef vom Ganzen, wir brauchen jetzt Zahlen von deinen Mitarbeitern.‹ Dann gehe der Direktor zu seinen Mitarbeitern mit ›erst halb vollen Tabellen‹: ›Der Minister, der will jetzt, dass wir was veröffentlichen, jetzt nehmen wir mal die halben Tabellen und schreiben die schon mal zusammen. Manchmal würden dann diese unfertigen Tabellen noch nicht einmal von Wissenschaftlern, sondern von Pressestellen zusammengefasst. Und das auf eine ›plastische‹, ›für die Öffentlichkeit gedachte Weise‹, kritisiert Drosten.« (10) Dass sich etwas verändert in der wissenschaftlichen Community durch den äußeren Druck, zeigt ein Bericht über die Zurückhaltung von Virologen, sich frei zu äußern. (11)

Was tun?

Viele Sozialwissenschaftler reagieren auf die Feststellung einer postnormalen Situation mit der Forderung nach »extended peer community«: »In PNS, the whole world becomes an extended peer community, as the appropriate behaviour and attitudes of individuals and masses become crucial for a successful response to the virus. […] It’s a community where all those with an interest have a say, from the experts of various scientific disciplines, to stakeholders, whistle-blowers, investigative journalists, and the community at large.« (12)

Es ist zweifelhaft, dass die Berücksichtigung von Laien-Meinungen für den Prozess der wissenschaftlichen Analyse und des wissenschaftlichen Test von Hypothesen konstruktiv ist, jedenfalls sofern Naturwissenschaften betroffen sind – Laien können methodische Vorbehalte nicht einschätzen, wie etwa die Homogenität von Daten, die Gegenwart von interner, nicht von außen provozierter Variabilität. Sie können aber bei der Formulierung von Fragestellungen oder auch von Hypothesen erforderlich oder zumindest nützlich sein.

Wenn eine Fragestellung die disziplinären Grenzen sprengt, dann muss in der Tat eine ›extension‹ der wissenschaftlichen Community erfolgen – im Falle der Virologie also etwa die Resultate der Virologie ›mit wirtschaftswissenschaftlichen Informationen zu bündeln‹. Das bedeutet aber nicht, dass man abgebrochene Studenten der Theaterwissenschaften zur Problemlösung hinzu bittet.

Wenn es an die politische Beratung geht, dann ändert sich die Lage. Dann steht nicht mehr die Frage im Vordergrund, wie Dinge zusammenhängen, sondern wie man mit dem Problem umgeht, wie man gesellschaftlich tragbare Lösungen findet, die einen gesellschaftlichen Ausgleich zwischen diversen teils kontroversen Interessen erlaubt.

Im Rahmen der Postnormalität klingt das so: »In a post-normal perspective, the normal science task of ›getting the facts right‹ is still regarded as necessary but no longer as fully feasible nor as sufficient to interface science and policy. It needs to be complemented with a task of exploring the relevance of deep uncertainty and ignorance that limit our ability to establish objective, reliable, and valid facts.« (13)

Werner Krauss und Hans von Storch haben in ihrer »Klimafalle« (14) dazu das Bild des Lagerfeuers gewählt, um das herum die gesellschaftlichen Akteure sitzen und eine Lösung zu erarbeiten versuchen. Bei diesem Bild gehören die Wissenschaftler dazu, aber sie sind nur einige unter vielen. In ihrer beengten Weltsicht, in der das eigene Fach besonders wichtig ist und besonders gut verstanden wird – in ihrer ›Fachidiotie‹, können sie gut beurteilen, ob Lösungsoptionen die gewünschte Wirkung haben werden in ihrem Bereich, aber schon nicht mehr im Nachbarbereich. Weder ein Klimaphysiker noch ein Virologe kann beurteilen, welche weiteren Wirkungen, insbesondere im gesellschaftlichen Bereich, die Optionen haben können. Aber in der Gemeinschaft von betroffenen Laien, von Praktikern und Fachleuten anderer Bereiche kann es gelingen, wirksame Optionen zu wählen, deren Wirkungen auf alle Bereiche hoffentlich verstanden sind. Man nennt diesen Prozess politische Willensbildung, der von wissenschaftlicher Partikular-Kompetenz begleitet werden sollte, aber schlussendlich nach politischer Logik abläuft und nicht in der Kategorie von falsch oder richtig.

Klimaforschung kann mit großer Sicherheit feststellen – wenn die Nettoemissionen von Treibhausgasen bis circa 2050 nicht auf Null sinken und durch negative Nettoemissionen ersetzt werden, ist ein Erreichen des 1.5-2 Grad Ziels nicht möglich. Die Virologie kann ebenso feststellen – wenn die Ansteckungsmöglichkeiten nicht drastisch gemindert würden, werde es sehr viele Corona-Tote geben. Aus beiden Aussagen folgt noch nicht politischer Wille, sondern dazu braucht es eine Abwägung gesellschaftlicher Werte, welche von den damit verbundenen Nachteilen hinnehmbar sind und welche nicht. Dies muss die Gesellschaft entscheiden, und Wissenschaft hat nichts mehr zu sagen.

Wenn man sich nun unsere beiden postnormal geforderten Disziplinen ansieht, kann man feststellen, dass die medial wahrgenommene Klimaforschung der Versuchung erlegen ist, weit jenseits ihrer Kompetenz Entscheidungen einzufordern, Alternativlosigkeit zu suggerieren. Diese Klimaforschung hat versagt in ihrer Selbstreflektion und sich selbst entwertet, so dass die Klimaforschung in der Öffentlichkeit vor allem als eine Art NGO erscheint. Demgegenüber ist es der Virologie gelungen, sich selbst auf die Aufklärung von Zusammenhängen und den Hinweis auf Möglichkeiten zu beschränken. Der Umgang mit der Pandemie ist bisher ungleich erfolgreicher als der Umgang mit dem menschengemacht Klimawandel. Spätere Analysen werden zeigen, ob dies an der Fähigkeit der Kerndisziplinen gelegen hat, mit der Postnormalität umzugehen.

Nachweise

(1) von Storch, H. und W. Krauss, 2013: Die Klimafalle. Die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung, Hanser Verlag, ca. 250 pp
(2) Bray, D. and H. von Storch, 1999: Climate Science. An empirical example of postnormal science. Bull. Amer. Met. Soc. 80: 439-456
(3) D. Waltner-Toews, A. Biggeri, B. De Marchi, S. Funtowicz, M. Giampietro, M. O’Connor, J. R. Ravetz, A. Saltelli and J. P. van der Sluijs, 2020: Post-normal pandemics: Why Covid-19 requires a new approach to science. Discover Society. Measured – Factual – Critical.; 22. May 2020
(4) Stehr, N., and H. von Storch, 1995: The social construct of climate and climate change. - Clim. Res. 5, 99-105 von Storch, H., and N. Stehr, 2000: Climate change in perspective. Our concerns about global warming have an age-old resonance. nature 405, 615
(5) Stehr, N. 1978: The norms of science revisited: social and cognitive norms. Sociological Inquiry 48: 172 Bray, D., and H. von Storch, 2017: The Normative Orientations of Climate Scientists. Science and Engineering Ethics 23:1351–1367 Kim, S.Y., and Y. Kim, 2018: The ethos of science and its correlates: An empirical analysis of scientists’ endorsement of Mertonian norms. Science Technology & Society 23(2)
(6) Z.B. Peters, H.-P. and H. Heinrichs, 2005: Öffentliche Kommunikation über Klimawandel und Sturmflutrisiken. Bedeutungskonstruktion durch Experten, Journalisten und Bürger. Schriften des Forschungszentrums Jülich, Reihe Umwelt/Environment 58, ISBN 3-89336-415-3, 221 pp
(7) https://www.spiegel.de/kultur/corona-krise-und-klimawandel-das-ende-der-gegensaetze-a-f63ef44f-9b9e-44a3-a4c5-e5398c414da4
(8) https://www.tagesschau.de/inland/sachverstaendigenrat-umwelt-103.html
(9) https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-73290108.html
(10) https://www.welt.de/vermischtes/article207769731/Drosten-Podcast-Virologe-kritisiert-Druck-auf-Wissenschaft-durch-Politiker.html
(11) https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-virologen-fuerchten-um-meinungsfreiheit-in-der-wissenschaft-umfrage-a-775f272f-ba4f-4bd7-a8b3-140d2f795bd
(12) David Waltner-Toews et al., op cit.
(13) J.P. van der Sluijs, 2012: Uncertainty and Dissent in Climate Risk Assessment: A Post-Normal Perspective, Nature and Culture 7(2) 174–195 doi:10.3167/nc.2012.070204
(14) von Storch, H. und W. Krauss, op cit.