von Fritz Schmidt

Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 jährt sich 2019 zum 80. Mal der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Nach dessen Ende fanden in Nürnberg Prozesse gegen führende Nationalsozialisten und Militärs statt, wobei von letzteren im Hauptkriegsverbrecherprozess zwei zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden: General­feldmarschall Wilhelm Keitel und Generaloberst Alfred Jodl.

Der Name Jodl ist mir ein Begriff seit dem Prozess vor dem Internationalen Militärtribunal 1945/46 in Nürnberg. Inhaltlich habe ich, damals 9-/10jährig, sicher nichts verstanden, aber der Name Jodl fiel mir auf, da er mir in meinem damaligen kindlich-engen Gesichtskreis nicht bekannt war, allenfalls Assoziationen auf Jodeln als oberbayrische Heimat-Sangeskunst weckend ...

Als ich mich später mit dem Nationalsozialismus, mit den Nürnberger Prozessen beschäftigte, mit einzelnen Angeklagten wie Alfred Jodl, Jahrgang 1890, kristallisierte sich heraus, dass bei diesem öfter die Rede davon war, er sei einer der zu Unrecht zum Tode verurteilten Angeklagten gewesen. Das sei dahingestellt, aber bei näherer Betrachtung zeigt es sich, dass auf die Nürnberger Anklagebank noch andere vormalige Generale gehört hätten, zuvörderst der ehemalige Generaloberst und Chef des Generalstabs des Heeres, Franz Halder.

Halder, Jahrgang 1884, wie Jodl ein Bayer, genaugenommen Franke, wurde Nachfolger von Generalstabschef Ludwig Beck, der Ende 1938 sozusagen freiwillig ausschied. Becks Abgang beruhte auf einer Kombination von moralischen Überlegungen und der Erkenntnis von rüstungstechnischen Mängeln, die bereits der Heeres-Oberbefehlshaber Generaloberst von Fritsch und Wehrminister General von Blomberg vorgebracht hatten und daraufhin unter unschönen Intrigen zum Rücktritt veranlasst wurden. (Siehe: Von Generalen und Kommissaren.)

Halder seinerseits wurde nach Tisch bekannt durch seine Kritik an Hitlers Kriegspolitik und Kriegsführung. (Franz Halder, Hitler als Feldherr. Der ehemalige Chef des Generalstabes berichtet die Wahrheit. München 1949.) Bezüglich des Krieges gegen Polen behauptet Halder in seiner Rechtfertigungsschrift, Hitler habe geschafft und geschürt, um zu der Gewaltlösung zu kommen, was zutrifft. Davor sei von militärischer Seite jedoch gewarnt worden. (Ders., Hitler als Feldherr, S. 26.) In Wahrheit allerdings war bei den Militärs seit Generaloberst Hans von Seeckt – in den 1920er Jahren Chef der Heeresleitung der Reichswehr – Parole, Polen müsse verschwinden.

Schlimmer noch: Obwohl Halder postulierte, das Tempo der Aufrüstung in den Jahren 1934–1938 sei gegen den entschiedenen Widerspruch der Heeresführung von Hitler erzwungen worden (ebd., S. 9), sah die Wahrheit wieder anders aus. Tatsächlich verhielt es sich so, dass Hitler bereits 1937/38 an kriegerische Auseinandersetzung dachte, Wehrminister Blomberg und Heeres­ober­befehlshaber Fritsch jedoch die Wehrmacht zu dem Zeitpunkt für einen Krieg mit Frankreich und Großbritannien noch nicht genügend gerüstet sahen. Dem half Hitler mit einem Revirement an der Militärspitze ab, das Halder zum Generalstabschef des Heeres beförderte. Dieser gehörte zu den Willigen: Einem Protokoll in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte (VfZ) ist zu entnehmen, dass Halder entgegen seinen nachträglichen Einlassungen im Frühjahr 1939 in einem Vortrag den Krieg gegen Polen progno­stizierte und die Überlegenheit der deutschen Wehrmacht in allen Belangen pries, so dass die Referenten des Protokolls in den VfZ, Christian Hartmann und Sergej Slutsch, zu dem Schluss kamen: »Betrachtet man das Ganze, so überrascht, ja frappiert der hochgestimmte Ton, die geradezu vermessene Siegeszuversicht, die Halder hier demonstriert. Sein forscher Optimismus – relativ ungewöhnlich für einen Generalstäbler – verdeutlicht die eigentliche Absicht dieser Ansprache«, in der natürlich Hitlers hervorragende, instinktsichere Politik gelobt wurde. Das war noch vor Abschluss des Nichtangriffspakts mit der UdSSR; der Krieg gegen diese wurde im Vortrag jedoch bereits angedeutet. (VfZ, Jg. 45/1997, Heft 3.) – Den Referenten waren Vortragender, Zeitpunkt, Ort und Publikum des Vortrags zunächst unbekannt, sie konnten jedoch zwingend auf Generalstabschef Halder und auf Frühjahr 1939 schließen. Aus Walter Warlimonts »Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939 bis 1945. Grundlagen, Formen, Gestalten« (Bd. 1, S. 37) ergibt sich, dass die Spitzen des Oberkommandos des Heeres am 23. Mai 1939 in der Berliner Reichskanzlei Hitler den Aufmarsch- und Operationsplan gegen Polen vortrugen.

Es ist offensichtlich, dass Halder nicht zu denjenigen gehört hatte, die – laut Halder –, Hitler gewarnt haben wollen. Er bekam noch im Oktober 1939 für die Planung des Polen-Überfalls das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz verliehen. Sein oben referierter Vortrag widerspricht sowohl der Ansicht Ex-Generals Warlimonts wie auch der in diesen Kreisen zur Lesart gewordenen, der Krieg sei am 1. September 1939 entgegen allen Widerständen und letzten Hoffnungen nach dem Willen eines einzigen Mannes entfesselt worden. (Walter Warlimont, Im Hauptquartier, S. 19.)

Richtig daran ist, dass nun eine Grenze zur Sowjetunion vorhanden war, die Hitler und seinem Generalstab die Planung eines ihm seit jeher vorschwebenden militärischen Unternehmens gegen die Sowjetunion konkret möglich machte, was Hitler der Generalität gleich nach seinem Amtsantritt 1933 vorgetragen hatte. Das sollte kein gewöhnlicher Krieg sein, sondern ein rassenideologischer Vernichtungsfeldzug zur Ausrottung des gewähnten jüdisch-russischen Bolschewismus auf der Grund­lage von Vorurteilen eines eigentlich unerklärlichen primitiven Rassismus. So erläuterte Hitler am 24. Juni 1940, kurz nach dem Waffenstillstand mit Frankreich vom 22. Juni, in seinem Hauptquartier vor Keitel, Jodl, Bormann und anderen, die westeuropäischen Pro­bleme seien nun gelöst, es bleibe nur noch, mit Sowjetrussland fertig zu werden. (Henrik Eberle, Matthias Uhl, Hg., ДЕЛО. Hitler. Geheimdossier für Josef Stalin, zusammengestellt aufgrund der Verhörprotokolle des Persönlichen Adjutanten Hitlers, Otto Günsche, und des Kammerdieners Heinz Linge. Moskau 1948/49. Köln 2005 [da E-Book keine Paginaangabe].) Das, obwohl Großbritannien noch keineswegs besiegt oder ausgeschaltet war sowie angesichts der Tatsache, dass mit der UdSSR ein Nichtangriffsvertrag, der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt, bestand. Eingedenk der Aussage Hitlers, die sich an viele ähnliche anlehnte und sozusagen in vorauseilendem Gehorsam, ohne konkreten Auftrag ließ Generalstabschef Halder Ende Juni 1940 »die Arbeit an militärischen Planungen für einen Krieg gegen die UdSSR im OKH aufnehmen«, wobei Halder bereits seit 1938 von Hitlers Plänen bezüglich Lebensraum im Osten wusste und diese als »unveränderlich festgesetzt und entschieden« einschätzte. (Gerd R. Ueberschär, Hitlers Entschluß zum ›Lebensraum‹-Krieg im Osten. Programmatisches Ziel oder militärstrategisches Kalkül, in: ders. u. Wolfram Wette, Hg., Der deutsche Überfall auf die So­wjet­union. »Unternehmen Barbarossa«, S. 26.)

Dies nicht etwa, weil im Osten eine militärische Gefahr gesehen wurde, sondern aus den vorbenannten rassenideologisch-politischen Gründen. Die Eroberung von Lebensraum für das deutsche Volk war ein vorgeschobenes Phantomziel, denn seit Ende des Ersten Weltkriegs gingen die Geburten in Deutschland zurück. Es wäre niemals möglich gewesen, nach Dezimierung der indigenen Bevölkerung das Land ›rasserein‹ zu besiedeln, trotz aller Bemühungen von ›Reichsführer-SS‹, Heinrich Himmler, die Geburtenzahl zu erhöhen.

Ab Dezember 1940 bereitete der Generalstab des Heeres unter Halder den Überfall auf die Sowjetunion im einzelnen vor, auch wenn sich Halder zunächst der Sinn des Russland-Unter­nehmens nicht recht erschloss (Gerd R. Ueberschär, Hitlers Entschluß, S. 36). Doch ist ihm dieser Sinn schon noch aufgegangen, wie ein Brief an Luise von Benda, die spätere Frau Jodls, beweist. Nachträglich spielte er die Vorbereitungen für das ›Unternehmen Barbarossa‹ herunter und postulierte, dass anzunehmen sei, der »endgültige Entschluß« sei »erst nach den raschen Erfolgen des Balkanfeldzuges gefallen«, »bei dem Russlands feindselige Haltung gegen Hitler unzweideutig zutage getreten« sei (Franz Halder, Hitler als Feldherr, S. 36, im Original gesperrt). Wieder eine dreiste Lüge, hatte Hitler doch noch vor den Gesprächen mit Molotow am 12./13. November 1940 die »Weisung Nr. 18« unterzeichnet des Inhalts, dass »gleichgültig, welches Ergebnis die deutsch-sowjetischen Besprechungen haben würden, die […] Vorbereitungen für den Krieg im Osten fortzuführen seien«. (Jürgen Förster, Hitlers Wendung nach Osten. Die deutsche Kriegspolitik 1940–1941, in Bernd Wegner, Hg., Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-Stalin-Pakt zum ›Unternehmen Barbarossa‹, München 1991, S. 122.) Der »Befehl zum beabsichtigten ›schnellen Feldzug‹ gegen die Sowjetunion« für Mai 1941 war »am 18. Dezember 1940 unter der Bezeichnung ›Weisung Nr. 21 Fall Barbarossa‹« erlassen worden (Gerd R. Ueberschär, Hitlers Entschluß, S. 39) und der Aufmarsch gegen Rußland im Frühjahr 1941 längst im Gange. Allerdings musste der Kriegsbeginn um einen Monat verschoben werden, weil der Balkan-Feldzug gegen Jugoslawien und Griechenland dazwischenkam, nach dessen günstigem Ausgang und somit der Sicherung der rumänischen Erdölgebiete die Kampftruppen erst in ihre Ausgangsstellungen an den Grenzen zur So­wjetunion zurücktransportiert werden mussten.

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht auf breiter Front die So­wjetunion, wozu sich Soldaten aus vielen Völkerschaften ähnlich wie bei Napoleons Russland-Feldzug gesellten: Finnen, Rumänen, Ungarn, Slowaken, Kroaten, Italiener, Spanier, Franzosen, Niederländer, Belgier, einige in Armeestärke, andere mit ein paar hundert Mann. Die Schweiz beteiligte sich mit einer privat von der Schweizer Industrie finanzierten ›Ärztemission‹ unter der Ägide des Roten Kreuzes am ›Unternehmen Barbarossa‹. Es waren dreißig Militärmediziner und dreißig bis vierzig Krankenschwestern in deutschen Lazaretten im Einsatz. Der ›Führer‹ erklärte sich damit einverstanden, machte jedoch zur Bedingung, dass die Ärzte Arier sein mussten … (Daniel Bourgeois, ›Barbarossa‹ und die Schweiz, in Bernd Wegner, Hg., Zwei Wege nach Moskau, S. 630 f.) Von den Verbündeten der ›Achse‹ hielten sich eigentlich nur die Bulgaren aus Russland heraus, die sich dafür in Griechenland als Besatzungsmacht austobten.

Die anfänglichen schnellen Erfolge des ›Unternehmens Barbarossa‹ hoben die Stimmung. Anfang Juli 1941 erreichte Luise von Benda ein Brief Halders: »Der Russe hat den Krieg in den ersten acht Tagen verloren. [Kein Wunder, nur ein einziger Russe, F. S.] Seine Verluste an Toten und Gerät sind unvorstellbar. Die Weite Russlands wird ihm erlauben, noch geraume Zeit zu bataillieren. Ändern wird er sein Schicksal nicht mehr können. Auch politisch nicht. Denn alle Staaten Europas, selbst die Franzosen, senden ihre Legionen nach Osten. Europa schließt sich gegen Asien zusammen und findet zu der Einigkeit, die der geschichtliche Sinn dieses Krieges ist.« (Luise Jodl, Jenseits des Endes. Leben und Sterben des Generaloberst Alfred Jodl, Wien, München, Zürich 1976, S. 55 f.)

Ich gehe davon aus, daß dieser Briefauszug authentisch ist, zumal ähnliche Äußerungen Halders bekannt sind. Überhaupt ist die Leichtfertigkeit, ja Skrupellosigkeit zu konstatieren, mit der der Generalstab unter Halder das ›Unternehmen Barbarossa‹ plante und die Rote Armee unterschätzte. (S. Rolf-Dieter Müller, Gehlen. 1902‒1979. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie, Berlin 2018.) Post festum las sich das ganz anders: »Bis kurz vor Stalingrad hielt er [Hitler, F. S.] starrsinnig an der Behauptung fest, der Russe liege in den letzten Zügen«, vermerkte Halder (Franz Halder, Hitler als Feldherr, S. 10).

Selbstverständlich trifft Halder bei der Beurteilung Hitlers ex post oft ins Schwarze, wenn auch nicht damit, dass Hitler damit recht gehabt habe, gegen Russland einen Präventivkrieg zu führen. Dieses Argument erschien, nachdem sich die Ostfront festgefahren hatte, und musste nach Tisch dafür herhalten, man habe einen heroischen Kampf für Freiheit, Kultur und Christentum gegen asiatische Horden geführt und führe ihn noch immer, denn die Angst vor den Geistern, die man nach 1916 im Juni 1941 bereits zum zweitenmal gerufen hatte, vor dem Kommunismus/Bolschewismus, brannte tief in den Köpfen der vormaligen Barbarossa-Vorbereiter ‒ oder wurde von diesen aus apologetischen Gründen vorgeschickt ... Führend darin war der ehemalige Generalmajor Reinhard Gehlen, Anfang des Krieges einer der Planer des ›Falles Barbarossa‹, später Chef der Generalstabsabteilung Fremde Heere Ost (FHO) und ‒ nachdem er sich nach Kriegsende den Amerikanern angedient hatte ‒ in der Bundesrepublik als falscher ›Dr. Schneider‹ Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Auslands­geheimdienstes (der es sich nicht nehmen ließ, innenpolitisch auszuspähen, vornehmlich die SPD, aber auch Franz Josef Strauß).

Während im Krieg in einem Flugblatt der ›Weißen Rose‹ von der »atheistischen Kriegsmaschine« zu lesen war, scheute sich Ex-General Gehlen später nicht, gegenüber Kanzler Adenauer den Generalstab der Hitler-Wehrmacht als Erhalter der christlichen Kultur zu stilisieren! Gehlen verstieg sich zu dem Ausfall, die Nürnberger Prozesse ‒ die ja Nach­folgeverfahren gegen eine Reihe von Generalen beinhalteten ‒ seien gegen eine geistige Elite gerichtet (Rolf-Dieter Müller, Gehlen. Da E-Book keine Seitenangaben) ‒ eine Elite, die gegenüber Hitler total versagt hatte.

Die Präventivkrieg-Legende beruhte neben Rechtfertigungsversuchen darauf, dass bereits kurz nach Kriegsbeginn hunderttausende sowjetische Kriegsgefangene gemacht wurden, die, so die Truppenführer, nur zu einem Angriff bereitgestanden haben konnten. Von den Bevölkerungsmassen, über die die Sowjetunion verfügte – der deutschen Obersten Heeres­leitung vor Beginn des Ersten Weltkriegs war diese Tatsache fürs Zarenreich wohlbekannt –, konnten sich Hitler wie Wehrmacht offensichtlich kein Bild machen. Das zeigte sich auch bei den Massen an Kriegsgefangenen im weiteren Verlauf des ›Unternehmens Barbarossa‹, mit denen die Wehrmacht überfordert war bzw. die von vornherein als ›Untermenschen‹ dem Tod überantwortet wurden. Gleichwohl wurden die Gefangenen propagandistisch als die asiatischen Horden und Untermenschen ausgeschlachtet, die uns überfallen wollten. Dagegen schließe sich Europa gegen Asien zusammen (so Halder, siehe oben).

Neben Halder wollte auch Walther von Brauchitsch den Sinn des Ostkrieges nicht recht verstanden haben, aber beide enthielten sich der Einrede. Von Brauchitsch (1881–1948), Generalfeldmarschall seit Juli 1940, war als Nachfolger Fritschs Oberbefehlshaber des Heeres, des Wehrmachtteils, der die Hauptlast des Russland-Krieges zu tragen hatte. Während der Krise des Vormarschs vor Moskau im Herbst/Winter 1941 kam es zu Differenzen Brauchitschs mit Hitler, so dass Brauchitsch im Dezember 1941 verabschiedet wurde. Den Oberbefehl des Heeres übernahm, neben dem der Wehrmacht insgesamt, Hitler selber, eine Kon­stellation, die in einem modernen Krieg zu Überforderung, Verzettelung, Fehlentscheidungen und zum Desaster führen musste, ungeachtet der Tatsachen, dass dieser Krieg von Beginn an moralisch verwerflich war und die deutschen Ressourcen für solche Anforderungen nicht ausreichten. Letzteres war Hitler wohlbekannt, und er trachtete danach, diese Ressourcen zu erhalten und zu verbessern.

Im Dezember 1941 stand die Wehrmacht nach dem erwartbaren Wintereinbruch vor Problemen, die teils auf unzureichender Ausrüstung mit Winterbekleidung wie auch auf nicht winterfestem Material beruhten, aber auch darauf, dass die Truppe dezimiert und abgekämpft war. Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass die deutsche Strategie, nicht nur in der Person Hitlers, sondern auch mit Halder und der überwiegenden Generalität davon ausging, der Ostkrieg sei in wenigen Monaten beendet. Dies war bekanntlich Irrglaube. »Nie habe ich Hitler mehr bewundert als jetzt, als er kraft seines eisernen Willens die wankende Front gegen den Bolschewismus bis zur vordersten Linie zum Stehen brachte«, schrieb Jodl im Dezember 1941 an Luise von Benda (Luise Jodl: Jenseits des Endes, S. 57). Nach Ansicht vieler Militärexperten ist ihm bezüglich des Haltens der Front speziell vor Moskau zuzustimmen, aber Jodl stellte auch fest: »Die Krise des Winters 1941 hat die Nervenkraft Hitlers verbraucht, und es kann nicht bestritten werden, daß Hitler von dieser Zeit an Hunderttausende deutscher Soldaten durch seine Unnachgiebigkeit und seine bewußte Unterbindung der operativen Elastizität in der Führung im Osten opferte« (ebd., S. 257).

Dem Lügner Halder kamen erste Bedenken im März 1941, noch vor dem Balkan-Feldzug, als der Operationsplan des Generalstabs des Heeres zum zweitenmal, von Hitler inspiriert, abgeändert werden musste, weil Hitler Kräfte von der Mittelfront abzweigen wollte, da er auch wirtschaftsstrategisch dachte. (Walter Warlimont, Im Hauptquartier, S. 153–157.) So diente Hitlers Absicht des ›Eindrehens‹ von Truppen nach Norden dem Freihalten der Ostsee für kriegswirtschaftliche Transporte. Die Besorgnis um Öl, Kohle und seltene Erze im Gebiet der Südfront kam hinzu.

Ende 1941, nach dem Winterdesaster, wurden die Aufgaben der Kriegführung so aufgeteilt, dass Hitler in der Nachfolge Brauchitschs, der auch gesundheitlich angeschlagen war, die Verantwortung im Ostkrieg übernahm, für die restlichen ›Nebenkriegsschauplätze‹ aber der Wehrmachtführungsstab unter Generaloberst Jodl und dessen Stellvertreter General Walter Warlimont zuständig wurde, was jedoch hieß, für deren Belange musste jeweils die Erlaubnis von ›ganz oben‹, also von Hitler, eingeholt werden – eine Erschwerung, die keiner eigenen Begründung bedarf.

Im Frühjahr 1942 wollte die Wehrmacht die Initiative wieder an sich reißen; Hitler nahm die Operationsplanung selbst in die Hand. Schwerpunkt sollte der Südabschnitt mit dem Kaukasus bis zum Kaspischen Meer mit den dortigen Ölvorkommen sein, nachdem die Krim in Besitz genommen worden war. Das führte zu Spannungen zwischen Hitler und Halder, weil dieser zu Recht die weitgespannten Ziele als mit den vorhandenen, geschrumpften Kräften, die dafür auch noch aufgesplittert werden mussten, für nicht erreichbar hielt. Am 24. August 1942 kam es nach lange schwelenden Gegensätzen zum Zusammenstoß zwischen Hitler und dem Generalstabschef. Halder hielt Hitler vor, unnötig tausende Soldaten zu opfern, weil der Führung die Hände gebunden seien, Hitler polterte, Halder komme nur immer mit dem gleichen Vorschlag des Zurückgehens, und fragte ihn, was er überhaupt an der Front erlebt habe und wo er im Ersten Weltkrieg gewesen sei? (Nach Warlimont., S. 263.) Ob der Wortlaut der Auseinandersetzung, den General Heusinger übermittelt hat, den Tatsachen entspricht, sei dahingestellt – das Tischtuch zwischen Oberbefehlshaber und Generalstabschef war zerschnitten.

Am 24. September 1942 wurde der Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, entlassen, nicht jedoch Jodl, der ebenfalls mit Hitler eine heftige Auseinandersetzung hatte. Halders Nachfolger wurde General Zeitzler. Es schloß sich Stalingrad an, was für jedermann sichtbar machte, dass dieser Krieg als ›Front gegen den Bolschewismus‹ verloren war.

Der Freiburger Historiker Jörn Leonhard erzählte im Fernsehen, dass er seinen Studenten empfehle, die Wendung, ›es kam, wie es kommen musste‹, aus ihrem beruflichen Wortschatz zu streichen. Im allgemeinen kann dem Freiburger Professor zugestimmt werden, aber der Zweite Weltkrieg, von Hitler-Deutschland begonnen, konnte von diesem nicht gewonnen werden, ›es kam, wie es kommen musste‹. Allerdings hätte es, des Freiburger Professors eingedenk, Spielräume gegeben, die Nieder­lage in Grenzen zu halten oder den Krieg mit einem Remis zu beenden. Der für die Rüstung zuständige ehemalige Straßenbauingenieur Fritz Todt, Hitler seit langem verbunden, soll bereits 1941 angesichts der Krise vor Moskau den Despoten zur Beendigung des Krieges gemahnt haben. Todt verunglückte bei einem Flugzeugabsturz im Februar 1942 tödlich; ein gemutmaßtes Attentat von seiten Hitlers erscheint mir unwahrscheinlich. Für weitere Initiativen zur Beendigung des Krieges hätte es den Mut der Feldmarschalle und Generale gebraucht, doch der blieb aus.

Als in Russland kein Sieg absehbar war, im Gegenteil die Rote Armee die Initiative ergriff, bestand die »geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten« (6. Flugblatt der Weißen Rose) im unbedingten Halten der jeweiligen wankenden Front – die schlussendlich nach großen Verlusten doch aufgegeben werden musste. Doch die Alternative der elastischen Kriegführung, die die Militärs anzubieten hatte, bedeutete nichts anderes als ständigen Rückzug, so dass die Obengenannten so oder so davor gestanden und die Pflicht gegenüber ›Führer, Volk und Vaterland‹ gehabt hätten, Hitler mit der Option zur Beendigung des Krieges zu konfrontieren. Dies geschah nicht; als wohlfeile Ausreden auf die gezeigte Feigheit boten sich der Eid auf den ›Führer‹ sowie die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation seitens der Alliierten an.

Die hohen Militärs, die sich nach Kriegs- und NS-Ende in apologetischen Schriften zu salvieren trachteten, allen voran Halder (als Korrektiv hierzu Hermann Graml, Die Wehrmacht im Dritten Reich, VfZ, Jg. 45/1997, Heft 3), gingen in ihren Vorkriegsplanungen davon aus, dass nach der Zerschlagung der Hauptmasse der Roten Armee vor und nach der Einnahme von Moskau ›der Russe‹ am Ende, der Krieg gewonnen sei. Was zu dieser Annahme berechtigte, erschließt sich mir nicht, zumal sich zeigte, dass weder Leningrad noch Stalingrad eingenommen werden konnten, geschweige denn Moskau. Doch beim Kampf um Stalingrad war Generalstabschef Halder bereits nicht mehr im Amt.

Die andere Alternative, der anscheinend Hitler anhing, stellte das Erreichen einer Linie vom Weißen bis zum Kaspischen Meer dar. Bis dorthin sollte die Wehrmacht vordringen, dann könne der Krieg als gewonnen angesehen und eingestellt werden. Beide Kriegsziele waren Illusion, was nicht einmal begründet werden muss, wobei sich herausstellte, was Hitler und Wehrmacht überhaupt nicht auf der Rechnung hatten, der »Russe kämpft nun nicht für die So­wjets, sondern für sein Land«. So der Schweizer Nachrichten­dienst (in Bernd Wegner, Hg., Zwei Wege nach Moskau, S. 633). Das hätte bei besserer Behandlung der Bevölkerung anders verlaufen können, am letztlichen Kriegsausgang hätte es nichts geändert.

Die Illusion fand nach unzähligen Menschenopfern auf beiden Seiten, Soldaten und Zivilpersonen, im Mai 1945 ihr bitteres, jedoch vorhersehbares Ende, und Alfred Jodl, der in Reims die Kapitulation hatte unterzeichnen müssen, sah sich nach diesem Ende als Angeklagter vor dem Internationalen Militärgericht in Nürnberg wieder, nicht dagegen Franz Halder. Das verwundert, aber Halder hatte den Bonus, dass er von Hitler entlassen worden war und nach dem 20. Juli 1944 auch noch mit Frau und Tochter ins KZ kam. Es war ruchbar geworden, dass er jeweils 1938 und 1939, in der Sudetenkrise und nach dem Sieg über Polen, einer Fronde höchster Offiziere angehört hatte, die Hitler stürzen wollte, wenn es zum Krieg gekommen wäre. 1938 mit der Sudeten-Krise ist eingängig, aber 1939 bedarf der Erklärung: In der Hybris des Sieges über Polen wollte Hitler noch im selben Spätjahr im Westen losschlagen, für die Militärs undurchführbar und ein Albtraum; der Angriff unterblieb. Wie ernsthaft die Fronde jedoch gemeint war, ist unbekannt; die spätere Frau Alfred Jodls, Luise von Benda, die in der entsprechenden Zeit im Vorzimmer Halders gesessen hatte, bekam davon nichts mit, registrierte allerdings, dass in den hohen militärischen Kreisen ständig geschimpft und gemeckert wurde …

Den gleichen Bonus wie Halder hätte auch Hjalmar Schacht aufzuweisen gehabt; auch er musste seinen Abschied nehmen und wurde ins KZ verbracht. Doch Schacht saß in Nürnberg auf der Anklagebank, Halder nicht. Dafür in Nachfolgeprozessen einige Generale, darunter Walter Warlimont, 1894–1976. Zweifelsohne waren die Nürnberger Prozesse berechtigt, trotz des Post-ex-facto-Charakters, also des Grundsatzes, dass nicht bestraft werden kann, was vorher nicht Gesetz war, oder gewisser Unfairness, wie Frau Jodl mitteilt: Im Hinblick auf spätere Verfahren sei der einschlägige Paragraph im britischen »Manual of Military Law«, der den Schutz durch höheren Befehl regelte, im Jahre 1944 abgeändert worden wie auch das amerikanische »Basic Field Manual on Rules of Land Warfare«. Letzteres sei später wieder in seine ursprüngliche Fassung zurückversetzt worden. (Luise Jodl, Jenseits des Endes, S. 225 u. S. 344, Anm. 35.)

»Die Enthüllungen über Nazigreueltaten waren furchtbar, und die Richter erwiesen sich als gerechte und humane Männer.« So urteilte nachträglich in eigener Sache der US-amerikanische Hauptankläger bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen, Telford Taylor (ders., Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht, München 2001, S. 732), was ich so stehen lasse, aber dennoch darauf verweise, dass z. B. der deutsche Bombenkrieg kein Anklagepunkt war, wären dann doch die westalliierten Massen­bombardements zur Sprache gekommen. Jodl zum Beispiel konnte mit Hinweis auf Dresden die Befragung über das Bombardement von Belgrad im April 1941 beenden. Er hob auch darauf ab, dass die Wehrmacht sauber und anständig gekämpft habe. Harte Maßnahmen gegen »Partisanen«, die »jedes, auch jedes Mittel anwandten, das ihnen zweckmäßig erschien«, seien kein Verbrechen gegen Moral und Gewissen, zumal in Deutschland »durch Bombenteppiche Hunderttausende von Frauen und Kindern vernichtet wurden«. (Aus der Erklärung Alfred Jodls vom 31. 8. 1946 vor dem Internationalen Militärgericht in Nürnberg; in Luise Jodl, Jenseits des Endes, S. 300.)

In Nürnberg wurden vor allem Anklage und Verurteilung wegen Führung eines Angriffskrieges vorangetrieben. Gerade dem US-amerikanischen Chefankläger Robert H. Jackson war die Strafbarmachung des Angriffskrieges ein Anliegen, das ins Völkerrecht einging, sich allerdings in den folgenden Angriffskriegen der USA nicht auswirkte wie auch der Anklagepunkt Kriegsverbrechen. (Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hatte vor nicht allzu langer Zeit erwogen, US-Soldaten und CIA wegen vermuteter Kriegsverbrechen in Afghanistan vor Gericht zu bringen, worauf die USA mit Sanktionen drohten ‒ das Gericht hat aus Angst vor den USA diesen Casus umgehend fallengelassen.)

Somit ist vorderhand völlig unverständlich, dass Halder, der Chefplaner der Angriffskriege gegen Polen und Sowjetrussland, in Nürnberg als Zeuge auftreten konnte und von einer Anklage verschont blieb. Verschont deshalb auch von den Vorwürfen des ›Kommissarbefehls‹, denen sich Keitel, Jodl und Warlimont gegenübersahen und die auch für Halder zugetroffen hätten. Jodl dagegen wurde in Nürnberg in allen vier Anklagepunkten schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Punkt eins: Der gemeinsame Plan oder Die Verschwörung; Punkt zwei: Verbrechen gegen den Frieden; Punkt drei: Kriegsverbrechen; Punkt vier: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, alles Punkte, die um so mehr auf Halder anwendbar gewesen wären. Ex-General Warlimont wurde im sogenannten OKW-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. 1951 zu 18 Jahren Gefängnis begnadigt, kam er 1954 frei, weil inzwischen die deutsche Wieder­bewaffnung insgeheim weit fortgeschritten war und die darin involvierten Kameraden darauf drangen, dass zuvor Todesurteile und Zeitstrafen aufgehoben werden müssten. In der Folge betätigte sich Warlimont als Militärexperte und arbeitete auch Eisenhower zu. Er schrieb das Buch »Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939 bis 1945. Grundlagen, Formen, Gestalten«, zwei Bände, die sich genau­genommen als Anti-Jodl lesen, d. h. der eigenen Salvierung dienen und keinen Zweifel an nachträglichem Besserwissen des Verfassers lassen, jedoch ausnahmsweise dem Grundsatz widersprechen, dass eine Krähe der andern kein Auge aushacke …

Im Gefolge des Zweiten Weltkriegs und nach dem Ende des NS-Regimes bedienten sich die Siegermächte an der Konkursmasse des ›Dritten Reichs‹, hier die USA. Allgemein bekannt geworden ist die Übernahme Wernher von Brauns mit seinem Raketenprogramm sowie der Strahltriebwerke, etwas weniger schon die des Chefs von Fremde Heere Ost mitsamt seines Materials, Reinhard Gehlen, noch weniger die diverser Gestapo-Angehöriger, denen zum Teil nach Überlassung ihrer Erkenntnisse freies Geleit nach Südamerika mithilfe der sogenannten ›Rattenlinie‹ (rat lines) verschafft wurde. Was Hitler vergebens gehofft hatte, trat nach 1945 ein: Das Zerwürfnis zwischen Angloamerikanern und der Sowjetunion. Schon lange, bevor der sogenannte Kalte Krieg für jedermann sichtbar wurde, brachten sich US-amerikanische Institutionen gegen die vormaligen sowjetischen Waffenbrüder in Stellung, waren die USA vor und nach Roosevelt neben dem Deutschen Reich unter Hitler doch das klassische Land des Antikommunismus, und nicht nur dies. Seit jeher unterdrückte das FBI unter Herbert Hoover mit allen gesetzlichen und außergesetzlichen Mitteln linke Strömungen im Land der Menschenrechte, der großen Freiheit und doppelten Moral, letztlich mit ein Grund dafür, dass in den USA keine sozialdemokratische Partei exi­stiert. (Tim Weiner, FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation, Frankfurt/M. 2012.)

Die USA spielten ein doppeltes Spiel. Standen auf anderer Ebene deutsche Militärs in Nürnberg in kargen Verhältnissen vor Gericht, zelebrierten ehemalige Standesgenossen unter Anführung von Generaloberst a. D. Franz Halder in angenehmer Atmosphäre, bei vorzüglicher Speis und ebensolchem Trank sowie guten Zigarren und gutem Sold nichts anderes, als was Alfred Jodl vor den Schranken des Gerichts auch getan hatte: Sie legten akribisch Zeugnis ab für den nach ihrer Ansicht ehrenwerten, sauberen Kampf der Wehrmacht gegen den Bolschewismus. Die Ex-Generalstäbler, die natürlich genau wussten, wie sie zum Debakel beigetragen hatten, konstatierten entgegen der Wahrheit: »›Die Wehrmacht insgesamt, vor allem aber die Heeresführung [waren] geradezu historische Opfer Hitlers, zumindest aber mißbrauchte Instrumente seiner verbrecherischen Politik.‹ Der ›Krieg [sei] ein Verhängnis‹, wenn nicht sogar ›notwendiger Präventivschlag‹ gewesen, der insbesondere, was den Deutsch-Sowjetischen Krieg ab 1941 betrifft, vor allem durch den ›Dilettan­tismus und [die] Unbelehrbarkeit Hitlers‹ verloren worden sei«. (Nach Wikipedia, aufgrund Bernd Wegner, Erschriebene Siege. Franz Halder, die ›Historical Division‹ und die Rekonstruktion des Zweiten Weltkrieges im Geiste des deutschen Generalstabes. In: Ernst Willi Hansen, Gerhard Schreiber, Bernd Wegner, Hg., Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs – Festschrift für Klaus-Jürgen Müller. München 1995, S. 295.)

Eingeladen zur Formulierung solcher Apologetik wurden die Ex-Generale von der Historical Division der US Army, dieweil US-Ober­befehls­haber Dwight D. Eisenhower, der für Jodl nicht bereit war, ein gutes Wort einzulegen, für die Erkenntnisse der Herren um Halder, der sich laut Wegner und Wette als Herr Generaloberst titulieren ließ (Bernd Wegner, Erschriebene Siege), sehr wohl Interesse bekundete. (Feldmarschall von Hitlers Gnaden wäre Halder wohl gern geworden.) Die Historical Division hintertrieb auch die Vorladung Halders vor das Spruchkammergericht, das sich ihn im Zusammenhang mit dem ›Kommissarbefehl‹ vornehmen wollte.

Ab 1950 wurde die Wiederbewaffnung der erst ein Jahr zuvor gegründeten Bundesrepublik vorbereitet. Man traf sich im exklusiven Ex-Generals- und bald wieder aktiven Kreis in Himmerod/Eifel. »Die operativen Experten des Ostfeldzuges der Wehrmacht gaben der künftigen Bundeswehr das Format. Der Stellvertreter von Halder in der ›Historical Division‹, Heusinger, organisierte den Transfer der Informationen. […] Gemäß den überlieferten Maximen der generalstabsmäßig angelegten Bahnen der operativen Kunst wurde die Bundeswehr in Himmerod auf einen den gesamten Kontinent Europa umfassenden Kampf ausgerichtet, auf eine ›Gesamt­verteidigung von den Dardanellen bis nach Skandinavien‹.« (Detlef Bald, Kämpfe um die Dominanz des Militärischen, in D. Bald, Johannes Klotz, Wolfram Wette: Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege, Berlin 2001, S. 23.)

Der vorgenannte Adolf Heusinger, 1897–1982, gehörte auch zu den Planern des Überfalls auf die Sowjetunion und war im Krieg General in der Operationsabteilung des Generalstabs im Oberkommando des Heeres, somit wie Halder, Jodl oder Warlimont in Führernähe. Nach dem 20. Juli 1944 in Verdacht geraten, eröffnete er Hitler in einer Denkschrift alles ihm Bekannte über den 20. Juli. (Adolf Heusinger, Befehl im Widerstreit. Schicksalsstunden der deutschen Armee 1923–1945, Tübingen/Stuttgart 1950, S. 362.) Nach NS-Ende wie oben tätig, gestand er ein, dass die deutsche Generalität gegenüber Hitler versagt habe. Der einstige Paladin Hitlers wurde von 1955 bis 1964 General der Bundeswehr und schließlich Vorsitzender des Nato-Militärausschusses in Washington.

Die Sowjets hatten mit der Berlin-Blockade und vor allem mit dem Korea-Krieg 1950 den westlichen Ideologen ermöglicht, alle Propagandaregister zu ziehen und bis an die Zähne bewaffnete sowjetische Angreifer buchstäblich an die Wand zu malen, so dass die zu diesem Zeitpunkt eigentlich unzumutbare Wiederbewaffnung Wirklichkeit wurde. Dabei hielten die Geheimdienste, sei es der BND Gehlens oder die CIA der USA, ihre Erkenntnisse unter Verschluss, dass die UdSSR weder beabsichtigte noch in der Lage war, den Westen breiträumig militärisch anzugreifen.

Geschrieben von: Schmidt Fritz
Rubrik: Geschichte