Facebook ist witzig

Aus den Köpfen, das ist der entscheidende Punkt. Dieser unerträgliche Zwang, konform zu denken, wie kam er auf, wo kam er auf, in wem kam er auf? Viele empfinden ihn gar nicht, sie halten ihn für einen bösen Trick, eine Strategie des Bösen, die darauf zielt, sie aus dem Paradies zu vertreiben: »Ihr werdet sein wie Gott.« Wieso Gott? Welches Paradies? Wichtigste aller Fragen: Welche Schlange? Um sie zu beantworten, müsste einer tief in die Trickkiste der anderen greifen, die doch auch die eigene ist.

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»Eritis sicut Deus«: soll heißen, ihr dürft auf eigene Rechnung sprechen, einfach so, auf offener Bühne, und jedermann wird euch zuhören. Voraussetzung? Dass ihr nichts anderes sagt als das, was die Spatzen seit Jahr und Tag von den Dächern pfeifen. ›Nichts anderes als‹ – das kanntet ihr doch? Ich hörte es einst, als ich jung war, es war der Taschenspielertrick aller revolutionären Geister, sobald sie zur Fahne riefen: Hier wird nicht getrödelt, hier wird marschiert. Wenn ihr anderes zu sehen glaubt: Euer Pech! Alles folgt einer Regel und die geht so.

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Ein Schriftsteller ist ein Schriftsteller ist ein Schrift-… War da nicht etwas? Ein Schriftsteller ist ein Marketingprodukt, schon vergessen? Schon vergessen, wofür er steht? Wofür auch immer, doch stets auf der richtigen Seite. Ihr seid das Vorzeigematerial der Republik, die keinen Ärger wünscht – also regt euch nicht auf. Autoren, die Ärger bereiten könnten, kauft man besser im Ausland zu wie den etwas schlichten Publikumsmagneten Houellebecq, der darüber östlich des Rheins den Ruf eines Universalgenies in Sachen kultureller Nachdenklichkeit erlangte.

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Schriftsteller auf eigene Faust, gestreift von einem Hauch jener göttlichen Bosheit, die den Braven aus ihrem Heine und den Vertrockneten aus ihrem de Sade entgegen schimmert, haben so wenig mit dem subalternen Dasein der Betriebsliteraten zu tun, dass man sich verwundert die Augen reibt, wenn einmal zur Buchmessen-Zeit der Verlag selbst sich von einem distanziert, wobei zu fragen bliebe, ob er ihm zu weit oder nicht weit genug ging. Ist der Verlag jetzt auch für die Skandale zuständig, die ein Autor erregen soll? Wo bleibt das Buch zum Skandal? Wo bleibt der Autor?

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Herr Tellkamp! Ach Herr Tellkamp. Der gute Herr Tellkamp. Ist er wirklich ins Visier der Aufpasser geraten? Wie konnte das geschehen? Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr, wenn ein solcher… Warum gerade dann? Warum gerade jetzt? Warum gerade bei diesem? Weil er ein Spießer-Schriftsteller wäre wie alle die anderen, die sich jetzt langsam bedroht fühlen? Weil er ein paar Spießer-Ansichten öffentlich für erwähnenswert gehalten hätte? Wäre es wirklich ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sollte jemand deshalb im Verlag kalte Füße bekommen haben und zum Rückzug blasen? Wie lange muss Meinungsfreiheit bereits aus den Köpfen entwichen sein, damit ein solcher Schwank mühelos über die Bühne geht?

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Das Beste: es funktioniert. Der Knüller zur Buchmesse. Leute, schreibt, bis euch die Finger krachen – wir machen das elegant mit links. Oder mit rechts. Wo, bitte, ist da der Unterschied? Nun, man munkelt, man liest, der Autor fühle sich unwohl. Alles hat seinen Preis. Denn, unter Kennern der Szene, der hübsche freundliche Ruhm des Herrn Tellkamp, er wirkt bereits angekränkelt.

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Der entkernte Utopismus einer bejahrten Elite, er hat den Europäern einen Streich gespielt, über den nachzudenken sie noch lange Gelegenheit haben werden. In Deutschland dauert das Nachdenken erfahrungsgemäß etwas länger, es setzt auch später ein, da man hierzulande zu glauben gewohnt ist, was einem vorgesetzt wird, bis einem etwas anderes vorgesetzt wird, dann glaubt man eben etwas anderes. Schriftsteller sind keine Ausnahme von der Regel, sie sind Vollstrecker. Als approbierte Vorbeter hat man sie dazu vergattert vorzutragen, was gerade nachgefragt wird, sinkt die Nachfrage, so sollten sie tunlichst, was sie am wenigsten können – schweigen. Zu sagen haben sie ja ohnehin nichts.

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Die Freiheit der Andersdenkenden – was bitte wäre das? Die Freiheit des Außenseiters – unter patentierten Außenseitern, die ein kleines Opferbudget aus eigenem Erleben oder aus Familienbesitz gewinnbringend verwalten, ist sie keinen Pfifferling wert. Im übrigen muss niemand so frei sein, Bücher zu schreiben, und niemand so frei, sie auch noch zu verlegen. Eine Zensur findet nicht statt.

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Der Deutsche kennt keine Zensur, er befindet sich nur dicht davor. In dieser Lage kann er lange verharren. Solange er sich bei alledem gut befindet, kommt ihm das Wort ›Zensur‹ übertrieben vor. Gerade hatte er noch Rechte, jetzt möchte er deswegen keinen Aufstand machen. Man kennt sich doch und kommt, die Kleinigkeit abgerechnet, gut miteinander aus. Vielleicht gelangt man auf die Weise auch einmal mehr in die Medien, ganz in persona. Und dahin wollte man doch, oder?

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Vielmehr: von ihnen kommt man doch her. Die Medien haben einen gemacht, tief innen, sie liefern den Stoff der Nachahmung, die Sockel, auf die man gern gehoben werden möchte, und sie halten das Gift bereit, einen zu vernichten. Gleichgültig, was einer sagt oder nicht sagt, schreibt oder nicht schreibt: das Gefährliche daran, das, was über Geltung und Nicht-Geltung entscheidet, steuern die Medien bei. Der Schriftsteller aus eigenem Recht, von eigenen Gnaden kommt in diesen Regionen nicht vor, er kann in ihnen nicht vorkommen, weil er jemand wäre, der mit der Zensur auf gleichem Fuß verhandelte, der sich ihr stellte und ihr nachstellte, damit sie ihm nirgends entgeht. Er wäre ›selbsternannt‹.

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Ein Schriftsteller, der nicht weiß, dass alle Gedanken, sobald man ihnen hinreichend lange nachgeht, ›verboten‹ sind oder in verbotene Gedankengänge münden, ein solcher Schriftsteller zählt nicht, es sei denn Schäfchen.

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Wenn Baberowski abends die Trommel rührt, wissen er und seine Facebook-Freunde: Er ist ein Gezeichneter. Ist das gut? Ist das böse? Auf alle Fälle ist es signifikant, auch wenn der Sinn dunkel bleibt. Das unterscheidet den Schriftsteller vom Professor – den einen macht’s bekannt, dem anderen macht es zu schaffen. Trennscharf geht das nicht.

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Hätte Facebook sich eines Tages als Partei materialisiert, es wäre, jedenfalls unter deutschen Gegebenheiten, wohl so etwas wie die AfD dabei herausgekommen. So denken die einen, man sollte aber nicht vergessen, dass auch die Linkspartei eine Art Wiedergeburt hätte feiern können. Nur die Volksparteien wundern sich, dass ihnen, wie bei einem Erdrutsch, das Volk abhanden gekommen ist, und wollen sich ›neu erfinden‹. Die Wahrheit ist: das ›Volk‹ hat sich neu erfunden, man kann es wegerklären, aber man muss dabei gewärtig sein, dass es einem leise von hinten auf die Schulter tippt: Hier bin ich. Deshalb redet alle Welt, jedenfalls im Politzirkus, unentwegt von der AfD. Sie selbst scheint sich davon nicht auszunehmen, findet aber auch nichts dabei. Wann immer die ›Etablierten‹ sich vornehmen, von dieser Partei zu schweigen, geht das Getöse erst richtig los. Dann und wann redet der eine oder andere Parteigewaltige wie sie, versuchsweise natürlich, und tritt erschrocken ins Glied zurück: Es funktioniert. »Besetzt ihre Themen!« lautet eine Parole, sie kommt etwas spät, nachdem man ihr diese Themen erst zugeschanzt hat, als hätte eine rätselhafte Geisteskrankheit und nicht die Realität sie geschaffen. Ein Blick ins Facebook lehrt: Auch das war ›Populismus‹, leider negativ.

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Routinierte Medienleute machen sich zum Gespött der Welt, sie sind außerstande, einen simplen Trump-Scherz zu begreifen, das schlichteste Betroffenheitstremolo gelten zu lassen, sobald es einmal nicht aus den eigenen Reihen ertönt. Das ist ihr Markenzeichen, das ist ›deutsch‹. Wer wissen will, wie deutsch diese folgsamen Deutschen bereits wieder ticken, der braucht nur ihre Schmähsucht bis an die Punkte zu verfolgen, an denen sie andockt: Schmutz, Häme, grobschlächtiges Propagandagetöse, von dem jeder, der halbwegs bei Sinnen ist, sich angewidert abwendet, gleichgültig, ob sie den amerikanischen Präsidenten oder das östliche Reich des Bösen ins Visier nimmt. Solche Menschen brauchen keine ›Literatur‹.

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Warum gerät alles, was diese braven Europäer anfassen, mit der Zeit ins Stocken? Selbst Herr Juncker, Mr. Project, steckt plötzlich die Fahne weg und verhandelt mit Polen, wo es nichts zu verhandeln gibt. Er ist, bei alledem, doch kein Deutscher. Was ist er dann? Ein guter Europäer? Vielleicht. Schlechte Europäer sind jene Joschka-Deutschen, die mit verzerrtem Gesicht Europas Sündenböcke in die Steppe hinausjagen wollen wie einst … lassen wir jeden Vergleich, er wäre abgeschmackt. Ganz bei sich sind sie erst, sobald sie die nächste hausgemachte Katastrophe ansteuern, nur um zu beweisen, dass sie alles im Griff haben.

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Alles im Griff… eine deutsche Leidenschaft, voll entfaltet erst dann, wenn der Griff ins Leere geht. Diese Leere – ist sie nicht längst ›gegeben‹? Die Lücke, die England in der Union hinterlassen wird, die es bereits jetzt hinterlässt, wird die Spielräume Deutschlands nicht erweitern. Sie wird es weiter isolieren. Dieses Deutschland wirft niemanden aus Europa hinaus. Es scheiterte bereits an den Griechen und es wird weiter scheitern. Seit ein paar Jahren ist es öffentlich damit ausgelastet, seine klugen Köpfe, soweit sie zur Vorsicht raten, ihrerseits zur Vorsicht zu zwingen. Das ist ein alter Zug, er setzt sich immer aufs Neue durch.

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Wussten Sie bereits, dass ›uns‹ der Russe schwächt, indem er ›Meinungen fördert‹? Nein? Dann wäre es jetzt an der Zeit, sich mit dem Gedanken anzufreunden. Putin-Freunde weisen den Weg. Jeder Schuss ein Russ. Pluralismus ist Infiltration. Russisch. Geht doch nach drüben! Noch Fragen?

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Heute verhüllen sie Bilder, morgen Menschen. Wer weiß, was ihnen übermorgen noch einfällt. Apropos: Deutschsein ist, unter anderem, genau zu wissen, was kommt, und dann kommt etwas anderes.


Aufnahme:
Lesende, 1892,von José Ferraz de Almeida Júnior. (Pinacoteca do Estado de São Paulo). The Photographer - Own work, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37806971

Geschrieben von: Siebgeber Ulrich
Rubrik: Der Stand des Vergessens